Besuch eines Gottesdienstes der Church Alive in Aarau

Laura Patrizzi, 2016

Um viertel vor zehn traf ich vor dem Kino Ideal in Aarau ein. Eine ChurchAlive-Fahne wehte vor dem Gebäude und im Eingang standen Leute im Alter von 20 bis 40 Jahren. Ich wurde begrüsst, sobald ich mich näherte. Ein junger Mann schüttelte mir die Hand und führte mich in das Gebäude, wo er mich an eine ältere Dame in einem Welcome-Team-T-Shirt weiterleitete. Auch sie schüttelte mir sofort die Hand, beantwortete mir einige Fragen zur Gemeinde und wies mich dann zum Saal Eins, in dem der Gottesdienst stattfinden sollte. Kaum war ich einige Schritte gegangen, als mir die nächste Hand zur Begrüssung gereicht wurde. Eine Frau mittleren Alters und ihr Mann stellten sich vor und forderten mich auf, mich zu ihnen zu setzen, was ich gerne tat. Fünf Minuten vor Beginn der Predigt wurde auf der Leinwand ein Countdown eingeblendet, und die Musik aus den Lautsprechern wurde langsam lauter.

Ich hatte Gelegenheit, mich umzusehen; etwas mehr als die Hälfte der insgesamt knapp 300 Plätze war besetzt, mehr, als ich bei meinem letzten Kinobesuch gezählt hatte. Kurz vor dem Ende des Countdowns stürmte die Band auf die Bühne: sechs grösstenteils junge Menschen, drei Frauen und drei Männer. Die Band setzte sich zusammen aus zwei Gitarristen, einem Schlagzeuger, einem Mädchen am Keyboard und drei Sängern. Die Musik war der für ICF und andere moderne Freikirchen typische Jesus-Pop, erstaunt hat mich allerdings, dass der grössere Teil der Lieder nicht auf Englisch, sondern auf Schweizerdeutsch gesungen wurde. Der Text war auf Englisch und Deutsch auf die Leinwand projiziert.

Danach trat der Pastor Edward Wells, genannt Ed, auf die Bühne und trug die während der Woche eingegangenen Gebetsanliegen vor: jede Menge Heilungen, eine Operation und ein Hauswunsch. Bevor er die Gemeinde bat, mit ihm zu beten, erzählte er, dass während des letzten Gottesdienstes ein Mann eine Heilung erlebt hatte. Wie beinahe der gesamte Gottesdienst wurden seine mit einem starken englischen Akzent gesprochenen Worte von Musik und Zwischenrufen („Yes!“, „Amen!“) begleitet. Auf das recht inbrünstige gemeinsame Beten folgte ein Aufruf zum „Geben“, worauf ein Eimer beträchtlicher Grösse durch die Reihen ging. Auf seinem Sitzplatz konnte jeder Besucher einen Umschlag finden, in den er einen Betrag stecken und diesen dann in den Eimer legen durfte.

Dann trat eine junge Frau mit den Church News auf die Bühne, berichtete unter anderem vom Sisterhood-Event der letzten Woche und kündete den Training Track des heutigen Sonntags an.

Schliesslich wurde der Gastprediger Kirk McAtear unter Applaus auf die Bühne gebeten. McAtear von der Connect Church in Birmingham stammt ursprünglich aus Schottland, lebte in Australien und arbeitet heute in England. Er begann mit einer Art Aufwärmübung, bei der die Gottesdienstbesucher „pumped up, psyched up, ready to go“ rufen und dabei aufspringen und mit den Armen fuchteln sollten. Das Ganze filmte er mit seiner Handykamera – ich versuchte, mich hinter meiner Sitznachbarin zu verstecken. Seine Predigt, die den Titel „Durchbruch“ trug, hielt er auf Englisch, während ein junger Herr auf Schweizerdeutsch übersetzte. McAtear stützte sich dabei auf 1. Chronik, 14, 8-12, wo es um Davids Kampf mit den Philistern geht, und um den Durchbruch, den David dabei erreichte. McAtear leitete daraus ab, dass die gegenwärtigen Umstände („present conditions“) nicht die Zukunft bestimmen sollten, sondern dass durch die Kraft Gottes Änderungen bewirkt werden können. Es gäbe Feinde, die zu verhindern suchten, dass die eigene Berufung wahrgenommen werden kann, und diese könne man nur durch Gottes Hilfe besiegen. Es gelte also, Gott um Hilfe anzurufen und dann seinen Rat zu befolgen. Nur mithilfe unseres „awesome God“ könnten Veränderungen bewirkt werden.

Auf diese Predigt folgte ein erneuter Auftritt von Pastor Wells, der meinte, er spüre unter den Anwesenden jemanden, der ein Ohrenproblem habe, jemanden mit einem finanziellen Problem und eine Familie, die Schwierigkeiten mit ihrem Sohn habe, und versicherte ihnen, dass Gott ihnen helfen werde. Erneut wurde gemeinsam gebetet, und wiederum wurde der zwischenzeitlich geleerte Spende-Eimer durch die Reihen gegeben. Ein junger Mann machte Werbung für das kommende Praise Camp. Edward Wells bedankte und verabschiedete sich. Der Gottesdienst wurde nach eineinhalb Stunden von einem Lied beendet, das bereits am Anfang gesungen wurde.

Ich ging noch nicht nach Hause, sondern besuchte den Connection Point, wo neuen Mitgliedern Infos angeboten werden. Dort unterhielt ich mich mit einer Frau und hatte wieder Gelegenheit, einige Fragen zu stellen. Bald wurde ich aber an ein Mitglied meines Alters vermittelt, und während unseres Gesprächs überreichte man mir ein kleines Geschenk. Ich möchte hier kurz die Eindrücke und Ergebnisse meiner Gespräche mit den verschiedenen Mitgliedern der Church Alive schildern. Es waren ganz unterschiedliche Personen, mit denen ich mich unterhielt – eine ältere Frau aus der Schweiz, ein Herr Mitte zwanzig, ein Mädchen aus Südostasien. Insgesamt schien es in der Gemeinde etwas mehr Frauen als Männer zu geben und das Durchschnittsalter würde ich auf 35 schät- zen, ansonsten empfand ich die Gemeindemitglieder im Bezug auf Bildung, soziale Schicht und Herkunft als sehr durchmischt. Alle schätzen die zeitgenössischen Gottesdienste und die familiäre Atmosphäre. Sie waren durch Freunde auf die Gemeinde aufmerksam geworden und machen von den vielen Angeboten der Church Gebrauch, sind entweder in einem Team engagiert oder besuchen die Training Tracks und Connection Groups. Ich sprach sie auf den ICF an: Unterschiede zwischen ICF und Church Alive sahen sie nur bei der Grösse. Die Church Alive sei sehr bibeltreu, versicherten mir alle, die Vision sei die der urchristlichen Gemeinde. Es sei wichtig, immer zu den Wurzeln zurück zu kehren. Auf die Frage, wie es mit der Evolutionstheorie stehe, wurde viel darum herum geredet, die generelle Antwort war, dass man an die Bibel glaube, und eine meiner Gesprächspartnerinnen sagte, sie glaube nicht an die Evolution, weil diese für sie keinen Sinn mache. Beim Thema Homosexualität waren die Antworten ähnlich ausweichend, eine Person meinte, Gott nehme alle Menschen an, eine andere, dass sie in der Gemeinde nur das Beste für die Menschen wollten.

Nach beinahe drei Stunden machte ich mich wieder auf den Heimweg. Ich war in der Church Alive sehr herzlich empfangen worden, hatte so viele Hände geschüttelt wie schon lange nicht mehr, und wenn ich tatsächlich auf der Suche nach einer Gemeinde wäre, würde ich es mir zumindest überlegen, am nächsten Sonntag wieder hinzugehen. Allerdings hat mich die Kombination eines betont jugendlichen und modernen Gottesdienst-Stils mit einer sehr konservativen Weltanschauung stark befremdet. Auch mit den Versprechungen der Heilung durch Gebete hatte ich Mühe. Als ich nach Hause kam, war ich ziemlich erschöpft. Dort erst packte ich das Geschenk aus, das mir gegeben wurde: Es war ein werbendes Buch: „Wozu um alles in der Welt lebe ich?“ von Rick Warren.

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