31. Messe Lebenskraft in Zürich Oerlikon

Vom 8. bis 12. Mai findet in der Messehalle Zürich in Oerlikon die 31. Lebenskraft statt, wie immer organisiert von Angelika Meier und ihrer Firma Kryon GmbH. Während 29 Jahren wurde die Lebenskraft jeweils im Kongresshaus Zürich veranstaltet, wo sie die vorhandenen Räume gut auffüllte und so den Eindruck von Gefragtsein und Trendiness vermittelte, auch wenn aussenstehende Beobachtende vermuteten, dass die Besucherzahl in den letzten Jahren eher abnahm, wie es ja bei Messen zu anderen Themen zurzeit ähnlich zu beobachten ist. Im weit grösseren Gebäude der Messehalle Zürich belegt die Lebenskraft nunmehr nur die oberste Etage, was zwar das Interesse eines Grossteils der Anbieter an höheren Welten schlagend abbildet, aber durch die Tatsache, dass die Besuchenden mit Rolltreppe und Lift an mehreren leerstehenden Stockwerken vorbeifahren müssen, um zur Lebenskraft zu gelangen, eine Empfindung  des Abgehobenseins und der Weltfremdheit auslöst.

Dass die Lebenskraft darauf bedacht ist, sich den Trends der Zeit nicht zu verschliessen, wird gleich beim ersten Stand deutlich, welcher die Besuchenden empfängt: vorgestellt wird die Online-Präsenz der Lebenskraft selbst. Dem Zeitgeit verpflichtet ist auch die Entwicklung der Bezeichnung der Lebenskraft: Während sie Mitte der Neunzigerjahre mit dem Untertitel «Esoterische Messe und esoterische Tage» den damals trendigen Begriff der Esoterik gleich doppelt im Namen trug, wird dieser heute, wie auf der Esoterik-Szene allgemein üblich, vermieden, indem sich die Lebenskraft 2019 als «31. Erlebnismesse und Konress für Bewusstsein, Gesundheit und Transformation» bezeichnet.

Während die Online-Präsenz und der Verzicht auf den Begriff der Esoterik zu erwarten waren, kann dies bei einem anderen Trend der 31. Lebenskraft nicht gesagt werden: Insgesamt gleich vier Stände der Lebenskraft 2019 werden von einer freikirchlichen Trägerschaft geführt:

– Schon seit vielen Jahren an der Lebenskraft vertreten sind die «Christen in der Umgebung», es handelt sich um Menschen aus unterschiedlichen Freikirchen (gut vertreten ist dem Vernehmen nach das Missionswerk Mitternachtsruf in Dübendorf), die evangelistische Schriften gratis anbieten, dieses Jahr vornehmlich aus dem Verlag des Missionswerkes Werner Heukelbach. Mir wird eine Broschüre mitgegeben mit dem Titel «Das Beste kommt noch! Gedanken zum Älterwerden.»

– Auch schon seit ein paar Jahren dabei ist Daniel Hari, der nach seinem Theologiestudium an der evangelikalen Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule STH in Basel von 1992 bis 1996 nationaler Berater für Gemeindewachstum der Heilsarmee war und seither als freischaffender Pfarrer tätig ist. Daniel Hari präsentiert an der Lebenskraft das christozentrische Heilen, wie er es auch in seinen Büchern, etwa «Heilen wie Jesus», vorstellt.

– Am Stand der «Himmelsbotschafter» sind Heilung, prophetische Zusprüche und Ermutigungen sowie Traumdeutung zu erhalten. Im Aussteller-Verzeichnis erscheinen die «Himmelsboschafter» nur mit Mobiltelefon-Nummer und mit E-Mail-Adresse. Dem Vernehmen nach handelt es sich um Menschen aus unterschiedlichen Freikirchen. Auf einem am Stand verteilten Flyer wird ein Vortrag von Angi und Attila Szilagyi angekündigt.

– Dieses Jahr das erste Mal mit einem Stand vertreten ist die Heilsarmee Zürich-Oberland, geleitet von Beat Schulthess. Am Stand werden die Angebote von Beat Schulthess in den Bereichen Heilung und Häuserbefreiung vorgestellt. Zum letzteren Thema ist am Vortag der Lebenskraft eine neue Publikation fertig gestellt worden unter dem Titel: «Schreck lass nach! Ungestört leben und schlafen dank christlicher Häuserbefreiung». Angeboten wird aber auch die im freikirchlichen fontis-Verlag erschienene Autobiographie von Zoë Bee, welche eine Zeitlang Schülerin eines umstrittenen esoterischen Meisters war, sich von diesem lösen konnte und später die Ausbildung bei Beat Schulthess absolvierte. Zoë Bee berichtet davon, dass die Häuserbefreiungen so zahlreich nachgefragt werden, dass mittlerweile vier unterschiedliche Teams tätig sind.

Angesichts dieser wachsenden Präsenz freikirchlicher Angebote an der Lebenskraft ertappe ich mich beim Gedanken, ob wohl die Lebenskraft nächstens mit der von Campus für Christus organisierten Explo fusionieren wird…

Selbstverständlich finden sich nach wie vor reichlich Angebote aus dem Bereich von Theosophie und Esoterik, so ist wie jedes Jahr auch diesmal die Organisation Share International vertreten, deren Gründer, der Engländer Benjamin Creme (1922-2016), im Jahr 1982 in weltweit erschienenen Zeitungsinseraten das baldige Auftreten des Maitreya ankündigte, der als Weltenlehrer eine Friedenszeit schaffen würde. In der Folge verkündete Creme, dass der Maitreya im Jahr 1977 aus dem Himalaya nach London gereist sei, wo er seither als Sprecher der pakistanischen Community wirken würde, und nächstens an die Öffentlichkeit träte, indem er sich als der Weltenlehrer zu erkennen geben würde. In Erwartung dieser Offenbarung haben Cremes Anhänger in den folgenden Jahrzehnten Hinweise auf Maitreyas Gegenwart gesammelt und von übernatürlichen Erscheinungen berichtet. Personen, die als Maitreya im Gespräch waren, haben jeweils selbst abgewinkt. Nach Cremes Tod im Jahr 2016 scheint sich eine gewisse Enttäuschung breit zu machen, so berichtet ein junger Mann am Stand von Share International davon, dass daran gedacht würde, die lokale Gruppe in Zürich aufzulösen, da sie immer kleiner geworden sei.

Auch schon zum Lebenskraft-Urgestein gehört der Stand der aus der sikhistischen Sant-Mat-Bewegung stammenden Organisation Eckankar. Eckankar lehrt wie Sant Mat die Meditation von Ton und Licht als spirituellen Weg. Der Gründer von Eckankar, Paul Twitchell, hat seine Bezüge zum Sant Mat in seinem ersten Buch, «Der Zahn des Tigers», das am Eckankar-Stand angeboten wird, aber verschwiegen, und stattdessen behauptet, seine Lehren von einem geheimnisvollen Meister namens Rebazar Tarzs erhalten zu haben. Dies hat Twitchell den Vorwurf des Plagiats eingetragen. Heute geht Eckankar, inzwischen vom zweiten Nachfolger von Twitchell geleitet, mit seiner Geschichte unbefangener um.

Eine problematische Person bleibt der Gründer Twitchell dennoch, so wird am Eckankar-Stand sein aus dem Jahr 1972 stammendes Buch «Das Eck-Vidya. Die uralte Wissenschaft der Prophezeiung» angeboten, welches unter anderem die theosophische Rassenlehre mit der hinduistischen Zeitalterlehre verbindet. So schreibt Twitchell etwa: «Zur Zeit sehen wir, dass die arische Rasse die Vorherrschaft über diese Welt innehat, aber dies wird sich innerhalb einiger Jahre wieder zugunsten der Ulemanen ändern, einer Rasse, die gegenwärtig den Planeten Jupiter bewohnt. Diese Rasse wird auf die Erde und andere Planeten im Bereich des Sonnensystems herunterkommen und sie mit absoluter Herrschergewalt in Besitz nehmen.» Auf die Ulemanen werden dann, so Twitchell, als nächste «Rasse» die Shatikayas folgen, deren Kultur «eine der höchsten Zivilisationen sein» wird, «die es je auf diesem irdischen Planeten gegeben hat». Sie wird für 1000 Jahre herrschen, dann folgt ihr Ende so: «Nach und nach werden Krankheiten und Mischehen diese Rasse schwächen und sie wird sich als bedeutende Rasse auflösen und von der arrianischen Rasse überwältigt werden.» (s. 232f.) Über die Vergangenheit weiss Twitchell zu berichten, dass die «weisse Rasse», die «schwarze Rasse», die «gelbe Rasse» und die «rote Rasse» in vergangenen Jahrtausenden miteinander Kriege geführt hätten, was unter anderem dazu geführt habe, dass die «rote Rasse» «auf eine fast primitive Stufe zurückgesunken» sei (s. 241). Solche aus heutiger Sicht unerträglich rassistischen und kulturimperialistischen Aussagen finden sich in theosopischer Literatur aus dem 19. und 20. Jahrhundert häufiger, sie aber heute unkommentiert zu verbreiten – und dies noch mit dem Anspruch, es handele sich um höheres Wissen – ist hoch problematisch.

Wieder dabei ist der Stand der Attilio Ferrara AG mit Produkten des 1950 in Sardinien geborenen Heilers Attilio Ferrara. Ferrara führt mit seinem Aunda Healing und seinen Produkten seit Jahren zu Anfragen bei Beratungsstellen. Ebenso seit Jahren vertreten ist die Firma Fostac AG, deren Gründer Hans Seelhofer (1949-2011) mit seinem im fostac-Verlag erschienenen Buch «Wegleitung zum Aufstieg 2012» nicht unwesentlich zu den Erwartungen im Zusammenhang mit dem 21. Dezember 2012 beigetragen hat.

Dass unter Esoterikern Verschwörungstheorien eine immer stärkere Verbreitung finden, zeigt sich auch an der Lebenskraft, etwa am Stand der ExpressZeitung, die vom Verlag InfoXpress GmbH in Oberwil produziert wird und monatlich themenzentriert über eine bestimmte angebliche Verschwörung berichtet. Die aktuelle Ausgabe vom April 2019 ist – wenig überraschend – dem Thema des Mobilfunkstandards 5G gewidmet: «Mit 5G in eine strahlende Zukunft!» Hier wird vor 5G heftig Panik gemacht, etwa mit Titeln wie «5G: Leben im Mikrowellenherd» «Schweiz: Umbau auf 5G mit verheerenden Folgen?« »Mobilfunk: Bedrohung für Tiere und Pflanzen?« »Rattenversuch: Beschleunigt elektromagnetische Strahlung den Alterungsprozess?» Ältere Ausgaben der ExpressZeitung beschäftigen sich mit der Mondlandung, mit der Psychiatrie («Werden kritische Gedanken bald auch zu Krankheitsbildern mit Behandlungszwang?»), mit multinationalen Organisationen wie der UNO, der EU und G20, mit dem Klimawandel, mit Impfungen und, vielleicht am problematischsten, die Ausgabe vom August 2018 mit dem Thema Migration. Hier wird die rechtsextreme These vom angeblich geplanten Bevölkerungsaustausch in Europa gleich auf der Titelseite verbreitet.

Erstaunliches zu erfahren ist am Stand des KenntnisBuches. Hier wird ein violetter, in Goldschnitt gehaltener Wälzer mit dem Titel «Bilgi Kitabi. Das Kenntnis Buch» angeboten. Es handelt sich um Channelings, welche die 1923 geborene türkische Esoterikerin Vedia Bülent Corak in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts empfangen hat. Inhaltlich handelt es sich um Verlautbarungen höherer und ausserirdischer Gremien und Wesenheiten, welche die Menschen auffordern, ein neues Zeitalter einzuleiten. Mose, Jesus und Muhammad erscheinen als Vorläufer der Offenbarungen des Bilgi Kitabi. Die Anhänger treffen sich in Gruppen, in der Schweiz gibt es bereits mehrere, und lesen dort wöchentlich jeweils ein Kapitel aus dem Bilgi Kitabi. Das Buch kann aber auch als Orakel dienen, so soll bei einer Frage das Bilgi Kitabi unwillkürlich aufgeschlagen werden. Die so aufgefundene Seite würde die Antwort enthalten. Diese ans «Bibelaufschlagen» pietistischer Kreise erinnernde Methode habe ich mit meinem Bilgi Kitabi, das ich an der 29. Lebenskraft vor zwei Jahren gekauft habe, einmal ausprobiert, ohne sinnvollen Erfolg. Dieses Jahr erfahre ich am Stand, dass der Name der Person, welche das Buch besitzt, mit schwarzer Tinte (schwarz, weil schwarz alle Farben umfassen würde, und Tinte, weil diese Wasser enthalte) auf die Titelseite des Buches geschrieben werden müsse. Nur so könne das Bilgi Kitabi seine Energien entfalten.

Wie in den Vorjahren vertreten ist Shiva Guruji Aruneshvar alias Arun Kalwankar mit seiner Schülerin Shivani Himalaya alias Katrin Suter. Shiva Guruji bietet sein Shiva Dhyan Yoga an, das er u.a. in der Schweizer Bergwelt praktiziert. Daneben ist er als spiritueller Maler tätig, einige seiner Werke können an der Lebenskraft bewundert werden. Eine Broschüre zeigt auf diversen Abbildungen Shiva Guruji und Shivani Himalaya vor dem Matterhorn, wobei offensichtlich viel Photoshop im Spiel ist. Als ich die Broschüre erwerben will, erfahre ich, dass sie 25.- Fr. kostet. Das scheint mir für eine zwar vierfarbig gedruckte, aber bloss 48 Seiten umfassende Broschüre eine doch etwas gar gewagte Preisgestaltung zu sein.

A propos Geschäft: Einen der flächenmässig grösseren Stände führt Norbert Brakenwagen mit seiner Sendung Time To Do. Am Stand werden, wie es Brakenwagen in seinem Newsletter angekündigt hat, Produkte der Gäste seiner Sendung angeboten, so die beiden Christina-Bände von Bernadette von Dreien für je Fr. 28.- (bei Amazon kosten die Werke je € 19.90). Offeriert wird auch das Buch «Unchurch now. Befreiung aus der kirchlichen Matrix und anderen Abhängigkeiten» von Kurt Meier, der nach eigenen Angaben acht Jahre Mönch und acht Jahre Priester in einer Pfarrei war. Meier unterstellt der katholischen Kirche übelste Absichten, so behauptet er von der katholischen Taufe etwa das folgende: «Sie legt einen Angelhaken in dein Energiefeld, sodass du manipulierbar und abhängig bist. Sie schliesst dein Drittes Auge, sodass du keinen intuitiven Zugang zu Gott mehr hast. … Es werden folgende Programme eingepflant: Ego, Erbsünde, Trennung Schuld, Angst, Sühne, Zweifel, Anti-Weiblichkeit.» (s. 93). Wer die üblen Wirkungen von Kirche und Religion loswerden will, kann das in Workshops von Kurt Meier tun, für welche im Buch geworben wird. Unter dem Namen «Unchurch Now» soll, so Meier, eine «weltweite Bewegung» entstehen, «die eine befreite Menschheit anstrebt und unterstützt.» (s. 210)

Daneben vertreibt der Stand von Norbert Brakenwagen für Fr. 1’057.- einen sog. Biophotonen-Home-Generator, der aussieht wie eine runde Metalldose, die auf einem Stecker aus Plastik montiert ist, so dass sie sich in einer Steckdose applizieren lässt. Informationen über den Inhalt des Geräts lassen sich die Verkäuferinnen am Time To Do-Stand nicht entlocken, bemerkt wird aber, dass vor allem die Energetisierung des Geräts aufwändig sei. Mit ähnlicher Begründung hat schon Uriella die z.T.  hohen Preise der Kochsalzampullen ihrer sog. Apotheke Gottes gerechtfertigt. Wie dem auch sei, wir können uns weder zum Kauf des Biophotonen Home Generators entschliessen noch zur Anschaffung des mit Fr. 527.- deutlich günstigeren Biophotonen Car Generators, der in der Bordspannungssteckdose des Autos zum Einsatz kommt.

Beim Elementewirbel-Anhänger, einem Metallring aus versetzt übereinander gelegten Metallstiften, der für Fr. 102.- erhältlich ist, besteht die Verkäuferin den Test, ob sie das von ihr empfohlene Produkt auch selbst verwendet, mit Bravour, indem Sie den Ring unter ihrem Shirt hervorzieht. Trotzdem sehen wir von einer Anschaffung ab.

Von Time To Do vertrieben werden für Fr. 36.90 ferner Flaschen mit Zedernnussöl aus der umstrittenen Anastasia-Bewegung. Angesichts der Tatsache, dass Norbert Brakenwagen den Anastasia-Gründer Wladimir Megre in seiner Sendung empfangen hat, ist das wenig erstaunlich.