«Die Leuchtsterne der Friedensbewegung» – Onlinekurs mit Daniele Ganser

«Beleuchte zusammen mit Daniele Ganser die drei Leuchtsterne des 21. Jahrhunderts» – so wirbt die Veranstalterin «Die Quelle» für den Onlinekurs von Daniele Ganser. In vier kostenlosen Lektionen à je 20 Minuten soll die Friedensbewegung durch den selbsternannten Friedensforscher und studierten Historiker Daniele Ganser gestärkt werden. Das Seminarzentrum «Die Quelle», dass für ihre Angebote im esoterischen Bereich bekannt ist, organisiert den Kurs. Ganser, dem wiederholt die Verbreitung von Verschwörungstheorien vorgeworfen wird, scheint sich somit immer mehr in esoterischen Kreisen zu bewegen.

«Daniele Ganser persönlich»

Früh am Samstagmorgen bekomme ich eine E-Mail: das erste Video des Onlinekurses von Daniele Ganser ist aufgeschaltet! Der Titel des ersten von insgesamt vier Modulen, «Daniele Ganser persönlich», lässt die Erwartung aufkommen, einen intimen Einblick in das persönliche Leben von Ganser bekommen zu können. Stattdessen folgen lediglich Informationen, die auch in einer kurzen Google-Recherche über Ganser gefunden werden können. Während er erzählt, sitzt er in einem hellblauen Hemd vor einem vollen Bücherregal, dass verschwommen ist. Nur ein Buch ist erkennbar: sein im April 2020 erschienenes Buch «Imperium USA – Die skrupellose Weltmacht». Die Kamera wechselt ab und an zwischen zwei Perspektiven, ansonsten passiert in den Videos nichts. Die Aufmerksamkeit ist somit vollständig auf Gansers Worte gerichtet.  

Historische Fragestellungen?

Daniele Ganser stellt sich sofort zu Beginn als Historiker vor. Dabei treiben ihn vor allem folgende Fragen umher: Warum gibt es Krieg? Wie können wir Frieden finden? Wie können wir Frieden in uns selbst finden? Besonders die letzte Fragestellung würde wohl nicht ins Forschungsfeld eines Historikers fallen. Sodann stellt er sein Buch «Imperium USA» vor, dass auch im Hintergrund ersichtlich ist. Das Buch ist an alle Menschen gerichtet, die Krieg, Terror, Folter und Kriegspropaganda aus tiefstem Herzen ablehnen und sich mit Ausdauer und Freude für den Frieden einsetzen. So sei auch dieser Kurs an jene Menschen gerichtet, mit dem Ziel, die Friedensbewegung zu stärken. Zuerst wolle er aber seinen persönlichen Weg zur Friedensbewegung erläutern.

Die kritische Hinterfragung

Eine der Hauptaussagen in seiner Arbeit ist, dass der Mensch durch Informationen gesteuert wird. Dies hat er bereits in seinem Studium der Geschichte in Basel gemerkt. Als er mit seinem naiven Blick auf das Thema Information begann zu studieren, merkte er schnell, dass verschiedene Professoren (die weibliche Form, die für einen öffentlichen Auftritt eigentlich selbstverständlich sein sollte, braucht er nie), verschiedene Dinge erzählten. Es sei alles eine Sache der Perspektive, sodass der Mensch immer hinterfragen muss: was stimmt denn jetzt eigentlich? Dies hat er auch beim Verfassen einer Seminararbeit über die Kubakrise gemerkt. Verschiedene Bücher beleuchten unterschiedliche Blickwinkel und lassen Dinge aus. Dass nicht alles thematisiert werden kann in einem Buch sei völlig legitim, das Problem wäre nur, dass man nicht wissen könne, was ausgelassen wird. Bis zu diesem Zeitpunkt des Onlinekurses sind die Aussagen Gansers völlig berechtigt. Das kritische Hinterfragen ist ein integraler Bestandteil eines jeden Studiums. Man muss dabei bedenken, dass Ganser sicherlich kein schlechter Geschichtsstudent gewesen sein kann, da er in der Hierarchie der Universität hochgestiegen ist, wozu nicht jede Person fähig ist. Problematisch wird es erst, als er zu seinen Thesen zu den 9/11-Terroranschlägen kommt.

Superheld Ganser

Gansers steile Thesen zu den 9/11-Terroranschlägen sind wohl der Hauptgrund für dessen Bekanntheit in der Schweiz. Er erläutert sie nochmals kurz im Video, ist aber vergleichsweise ziemlich vorsichtig mit seinen Behauptungen. Er weiss wohl nach den zahlreichen negativen Reaktionen, die er zu diesem Thema bekommen hat, wie er seine Worte bündeln muss. So lässt er es darstellen, als ob er bloss einen anderen Blickwinkel aufzeigen möchte, damit sich die Bevölkerung selber ein Bild machen kann. Darauf habe sie nämlich ein Recht, sodass Ganser der Held ist, der dies ermöglicht. Im Video kommt er auch auf die Folgen seiner Thesen zu den Anschlägen zu sprechen. Er wurde angeklagt, Verschwörungstheorien zu verbreiten und diffamiert, was geschmerzt hat. Als Ganser auf dieses Thema zu sprechen kommt, ändert sich weder sein Gesichtsausdruck noch seine Tonlage. Es scheint, als ob er sich mit den negativen Reaktionen abgefunden hätte. Nach diesen Ereignissen verliess er seinen damaligen Arbeitsort, die ETH Zürich, da er sich den Rücken nicht verbiegen und «weiterhin die Wahrheit erzählen» wollte. Dies sei keine einfache Aufgabe und um dabei fröhlich zu bleiben brauche man ein Instrument: die Achtsamkeit.

Von Achtsamkeit und Kriegspropaganda

In seinem zweiten Video erläutert Ganser die Wichtigkeit der Achtsamkeit. Das Prinzip der Achtsamkeit ist in der heutigen Zeit omnipräsent, jedoch vor allem in esoterischen Kreisen anzutreffen. Ganser bewertet die Achtsamkeit als «Leuchtstern der Friedensbewegung». Dabei folgt er der Argumentationslinie, dass Krieg organisiert ist und in den Medien durch Kriegspropaganda getrieben wird. So wird Angst, Wut und Hass erzeugt, was die Zutaten für Krieg sind. Es ist unmöglich Kriegspropaganda zu stoppen, man kann jedoch kontrollieren, wie darauf reagiert wird. Die eigenen Gedanken und Gefühle sollen beobachtet werden, sodass man nicht in Hass fällt. Fazit: man solle die Achtsamkeit auf Kriegspropaganda anwenden. Ganser erläutert daraufhin diverse Übungen, in denen die Achtsamkeit trainiert werden kann. So beispielsweise unter der kalten Dusche, wo der Verstand sich selbst Angst macht, da kalt duschen gefährlich sein könnte. Wenn man seinen Verstand jedoch achtsam beobachtet, merkt man, dass dieser Unrecht hatte und dass kalt duschen gar kein Problem darstellt. Man soll also immer nach Innen gehen, wenn Aussen etwas passiert.

Friedensforscher brüllen nicht

Weitere Beispiele von Übungen machten weniger Sinn oder wurden ungenügend ausgeführt, um die Rolle der Achtsamkeit darin explizit zu sehen. Früher wollte Ganser unbedingt, dass die Kinder um 20.45 Uhr im Bett waren, damit er um 21 Uhr bereit für den Anpfiff der Fussballspiele der Champions League war. Wenn dies nicht der Fall war, erhob er manchmal die Stimme worauf seine Tochter sagte: «Du musst jetzt nicht rumbrüllen, du bist ja der Friedensforscher.» «Schachmatt», schmunzelt Ganser.

«Glaube nicht alles was du denkst»

Der Geheimtipp Gansers lautet: «Glaube nicht alles was du denkst». Man solle sich nicht in den eigenen Gedanken verkrampfen, denn dies würden nur Fanatiker machen und ein Fanatiker enthauptet Menschen, die eine Gegenmeinung äussern. Ob Ganser hier auf die Ereignisse um den Französischen Lehrer Mitte Oktober 2020 Bezug nimmt, bleibt offen. Stattdessen nimmt er als Beispiel die Religionskriege zwischen Reformierten und Katholiken und, um seinen Aussagen mehr Gewicht zu geben, sagt er: «Ich spreche hier als Theoretiker». Man solle also achtsam mit den eigenen Gefühlen und Gedanken umgehen, den dies wäre ein zentrales Element für den Frieden. Zum Schluss des Videos schaut er sehnsüchtig in die Ferne und sagt: «Wenn ich mir etwas wünschen könnte für die Friedensbewegung, dann ist es mehr Achtsamkeit».

Die Menschheitsfamilie

Zu Beginn des dritten Videos meldet sich Ganser wieder als Historiker. Durch historische Untersuchungen habe er gesehen, dass vor einer Tötung immer die Abwertung des Opfers geschehe. Somit sei das Wort «Menschheitsfamilie» enorm wichtig. Jeder Mensch auf der Erde, unabhängig von Nationalität, Hautfarbe, Geschlecht, Bildung, Religion oder Vermögen, gehört zu dieser Menschheitsfamilie und in der Familie gilt die Regel, dass man verschiedene Ansichten vertreten darf aber einander nicht töten soll. Diesen Abschnitt liest Ganser aus «seinem Buch», wie er es nennt, anstatt den tatsächlichen Titel anzugeben. Mit einem extremen Beispiel versucht er das Prinzip der Abwertung, Tötung und Menschheitsfamilie zu erklären: den Atombombenabwürfen durch die USA auf Hiroshima und Nagasaki im Jahr 1945. Im 2. Weltkrieg wurden die Japaner von den Amerikanern aus der Menschheitsfamilie ausgeschlossen, indem sie als Affen bezeichnet wurden. Daraufhin geschah das Kriegsverbrechen, dass ein Ausmass hatte wie noch nie zuvor – insgesamt ca. 100’000 Tote in 2-3 Sekunden und weitere unzählige Tote durch Folgeschäden. Solche Verbrechen haben immer denselben Auslöser: ein Land, dessen Bevölkerung und/oder Herrscher werden von der Menschheitsfamilie ausgeschlossen.

Erfolgreich diskutieren!

Sobald man diesen Mechanismus verstanden hat, kann man der Friedensbewegung helfen. Immer wenn jemand ausgeschlossen wird, muss man daran denken, dass diese Person auch zur Menschheitsfamilie gehört. Dasselbe gilt, wenn man sich über jemanden beklagt. So erläutert Ganser einen Dialog mit seiner Frau, wo er sich über jemanden beklagt hat aber am Schluss sagte: «Er gehört auch zur Menschheitsfamilie». Was wie eine Lektion aus dem Kindergarten klingt, rundet Ganser etwas unpassend ab, indem er die Regel betont, dass man sich in der Familie nicht gegenseitig tötet. Bei Kriegen wird trotzdem immer wieder erzählt, dass diese dazu dienen würden, Gewalt zu beenden. Ganser räumt hier aber, wieder als Historiker wie er betont, ein, dass dies ein Irrtum sei. Er habe alles gelesen, alles studiert – eine etwas steile Behauptung – und könne klar sagen, dass Gewalt nicht durch Gewalt ausgelöscht werden kann. Am Ende des Videos gibt Ganser einen Tipp für den Alltag: wenn über einen Krieg diskutiert wird, über den man nicht viel weiss, und man sich dennoch äussern möchte, solle man einfach sagen, dass alle Beteiligten zur Menschheitsfamilie gehören.

Macht oder Ohnmacht?

Das vierte Video ist mit dem Titel «Macht» beschrieben, es stellt sich aber ziemlich schnell heraus, dass genau das Gegenteil behandelt wird: die Ohnmacht. Leute in der Friedensbewegung würden sich nämlich oft machtlos fühlen, da sie ihre Achtsamkeit auf Dinge richten, an denen sie sowieso nichts ändern können. Stattdessen sollte man seinen Fokus auf etwas richten, dass man beeinflussen kann. So ist es beispielsweise möglich, das eigene Bewusstsein zu verändern, indem man ein Buch liest. Dies könne zwar keine Kriege verhindern, dafür fühle man sich danach weniger machtlos. Als zweiter Schritt soll aktiv entschieden werden, welche Medien konsumiert werden. Ganser spricht sich hier gegen den Fernseher aus, welchen er als «Propagandaprodukt» bezeichnet, und schlägt ein digitales Timeout vor. Zudem soll man sich überlegen, welche Zeitung gelesen wird, denn man hat die eigene Macht über die Informationskultur. Auch was man isst, kann beeinflusst werden, so empfiehlt Ganser beispielsweise teures Gemüse zu kaufen statt jenes mit Giftstoffen. Dabei vergisst er in seiner privilegierten Lage, dass nicht jede Person das Geld dazu hat. Man hat auch die Macht zu entscheiden, über was man sprechen will. So soll stets Verantwortung für das eigene Leben, die Gedanken und Gefühle übernommen werden. Ohne Verabschiedung beendet Daniele Ganser damit seinen Onlinekurs.

Onlinekurs zur Rekrutierung?

Ich hatte verschiedene Erwartungen an den Kurs, die sich vor allem in Richtung Verschwörungstheorien bewegten. In der Realität war er jedoch eher esoterisch, was unter anderem an der Veranstalterin gelegen haben könnte. So lag der Fokus auf der Achtsamkeit und der Verantwortung des Individuums nach dem Prinzip: Veränderung beginnt immer bei uns selbst. Dabei wurden viele Themen angesprochen und diverse Beispiele erläutert aber etwas Konkretes kam dabei nicht wirklich heraus. Oft kam Ganser auch nicht ganz zum Punkt oder beendete seine Überlegungen nicht. Insgesamt, wenn man Daniele Gansers Name und seine sonstigen Aussagen nicht kennen würde, hätte dieser Onlinekurs einen einigermassen seriösen Eindruck gemacht. Ganser stellt sich als Historiker dar, der den Krieg ablehnt, Informationen kritisch hinterfragen möchte und sich in der Achtsamkeit übt. Dabei hat mich aber das Gefühl nicht verlassen, dass er mit diesen eher milden Aussagen neue Menschen ansprechen möchte, die sich daraufhin mit seinen restlichen, nicht-so-milden Aussagen, auseinandersetzen und sich ihm idealerweise anschliessen.

Louisa Bernet, Oktober 2020

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