Hans Küng 1928-2021

Ist ein Stern am Theologenhimmel erloschen? Vor vier  Jahren wurde der Asteroid 190139, um den bekannten Theologen zu ehren, Hansküng benannt.  Ein Star (Stern) war Hans Küng nur in den Augen seiner Fangemeinde. Und Kritiker meinten, dass er sich selber manchmal auch so sah. Aber für die zahllosen andern, die gerne auf theologische Stars verzichten und sich ebenso gerne durch seine vielen Publikationen und Interventionen inspirieren liessen, glich er in der Tat ein wenig einem Asteroiden: beweglich, weite Räume durchschreitend, über engen, irdischen Konzepten schwebend, dem Himmel näher als viele seiner Kritiker, aber auch nicht ungefährlich: Was könnte geschehen, wenn der Asteroid der Erde zu nahe kommt? Seine Kirchenkritik hat zahllosen Christen jeder Schattierung geholfen, wieder ihren Glauben zu finden. Aber was wäre geschehen, hätte sie auch die festgefahrenen Kirchenhierarchien erschüttert? Die Hierarchien wussten nur zu gut, warum sie ihm die Lehrbefugnis entzogen.

Während meines Studiensemesters in Rom zur Zeit der ersten Session des zweiten vatikanischen Konzils konnten wir Hans Küng als theologischen Begleiter und Berater seines Bischofs erleben. Er brachte seine schon damals zutiefst ökumenische Gesinnung neben seinem damaligen ebenso jungen und dynamischen Kollegen Joseph Ratzinger in die gleiche Vortragsreihe ein. Später gingen die Wege auseinander. Joseph Ratzinger wurde konservativer Theologe, Bischof, Kardinal, Leiter der Glaubenskongregation und Papst. Hans Küng entwickelte seine ökumenische Grundhaltung bis über alle Grenzen der Religionen hinaus und wurde neben Eugen Drewermann zum bekanntesten kirchenkritischen Theologen. Tragik einer alten Bekanntschaft? Oder schicksalhaftes Dokument für die Situation der Kirche im ausgehenden 20.Jahrhundert?

Die Ausweitung seines Arbeitsfeldes über alle Grenzen der Religionen und Kulturen hinaus war zwar, verfolgen wir den Lebenslauf von Hans Küng über den Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis hinaus, durchaus folgerichtig. Aber sie hat – wie könnte es anders sein? – auch nicht alle Beobachter der religiösen Gegenwart begeistert. Hatte Küng sich durchs Feld christlicher Traditionen noch für zahllose Leser völlig überzeugend bewegt, so fragten sich manche, ob er sich als Interpret anderer Religionen nicht überforderte. Fand er in diesem neuen Arbeitsfeld noch zu jener Sachkenntnis und Tiefgründigkeit, über die er bisher noch verfügte?

Unter den vielen Ehrungen, die ihm Verlauf seines langen Lebens zuteil wurden, findet sich die 2008 verliehene «Auszeichnung für Zivilcourage des Freundeskreises Heinrich Heine, Düsseldorf». Mir scheint, diese Ehrung hat Hans Küng besonders verdient. Als er nach dem Erscheinen seiner papstkritischen Publikationen nach Rom beordert wurde, um dort vor Glaubenskongregation Red und Antwort zu stehen, formulierte er seine an sich plausiblen Bedingungen für seine Teilnahme an seinem «Glaubensprozess». Diese Bedingungen wurden ihm nicht zugestanden. Also stellte er sich dem Glaubensgericht nicht. Das kostete ihm in der Folge sein kirchliches Lehramt, sodass er auf einen erst noch zu schaffenden fakultätsunabhängigen Lehrstuhl wechseln musste. Diese Monate der Verurteilung einiger seiner Lehren und des Umbruchs in seiner Laufbahn zählte er später zu den schlimmsten seines Lebens. Dass er zu seinen Überzeugungen stand und vor den kirchlichen Obrigkeiten nicht einbrach, gehört zu den bewundernswertesten Leistungen seines Lebens. Die Ehrung seines Zivilicourages hat er sich reichlich verdient.

Prof. Georg Schmid, 7. April 2021