MTO Shahmaghsoudi Deutschland feiert Noruz – Erfahrungsbericht Online-Live-Stream

Was ist Noruz?

Noruz ist das persische Neujahrsfest, das seit über 2’500 Jahren gefeiert wird. Es findet jeweils am Frühlingsanfang vom 20. Auf den 21. März statt und ist mit vielen verschiedenen Bräuchen verbunden. Die Feierlichkeiten ziehen sich insgesamt über 13 Tage.

Üblicherweise wird im Wohnzimmer ein Haftsin aufgestellt, ein Tisch, gedeckt mit sieben Gaben. Diese beginnen im persischen alle mit «S» und haben symbolische Bedeutung. «Sabzi» (Weizen oder Linsenkeimlinge) stehen für Wiedergeburt und Fruchtbarkeit. «Sir» (Knoblauch) und «Somaq» (Sumak-Gewürz) symbolisieren die Gesundheit im neuen Jahr. «Sib» (Apfel) und «Senjed) (getrocknete Mehlbeeren) reflektieren Liebe und Lebensfreude. «Serkeh» (Essig) steht für Geduld und ein langes Leben. «Sonbol» (Hyazinthe) symbolisiert die Schönheit. Zu diesen Gaben gesellen sich oft noch weitere, wie Silbermünzen, Kerzen, Eier oder ein Spiegel.

Die Veranstaltung

MTO veranstaltete eine Noruz-Feier in Form eines Live-Streams. Um Zugang zu erhalten, musste man sich online anmelden. Die Veranstaltung dauerte rund eine Stunde und dreissig Minuten. Die Zuschauerzahl schwankte dabei, lag aber um die 770 Teilnehmer. In der ganzen Veranstaltung wurde Deutsch gesprochen, es gab aber auch englische Untertitel.

Zu Beginn der Veranstaltung wurden einige Videobotschaften eingespielt. Gezeigt wurden verschiedene Politiker und Vertreter von sozialen Stiftungen, die MTO für ihren Einsatz während der COVID-Pandemie dankten und allen «Noruz mobarak!», ein fröhliches Noruz, wünschten. Es waren alles wichtige Leute, wohl um zu verdeutlichen, wie gut vernetzt MTO in Deutschland ist und dass es eine Stütze für die Gesellschaft ist. Interessant zu sehen, da viele diese Organisation ausserhalb des iranischen Kulturkreises gar nicht kennen.

Im Studio sassen einige Gäste, die nun als erstes vorgestellt wurden. Den Anfang machte eine Journalistin vom ARD Weltspiegel. Die Musikerin und Komponistin des Orchesters, das später noch eingespielt wurde, war ebenfalls zu Gast. Ausserdem ein Anwalt und Vorsitzender der SPD Hessen Süd und ein Bundestagsabgeordneter. Bis auf die Musikerin hatten alle anwesenden Wurzeln im Iran oder wurden sogar dort geboren.

Das erste Thema war, wie leider so oft in diesen Zeiten, das vergangene Pandemie-Jahr. Die Gäste erzählten von ihren eigenen Eindrücken und Erfahrungen, die nicht immer negativ waren. Die Journalistin konnte auch positive Veränderungen für sich sehen. Sie konnte dank des Lockdowns in ihrem Leben einmal innehalten, eine Pause machen von all dem Stress. Gleichzeitig war das Jahr für viele auch fordernd, so die Musikerin. Es war für sie als Künstlerin nicht leicht mit all den Einschränkungen, aber es seien so viele gute Initiativen im letzten Jahr gestartet worden, um einander zu unterstützen. Sie bedankte sich vor allem bei der MTO, dass sie sich so gut um ihre Mitmenschen gekümmert haben und das Miteinander stärkten. Auch der Anwalt sagte, dass es für ihn zu Beginn der Pandemie eigentlich ganz gut war, mal eine Pause zu haben vom Alltag. Doch mittlerweile dauere das ganze zu lang schon an und viele seien jetzt nur noch erschöpft. Ähnlich war es auch für den Bundestagsabgeordneten. Für ihn und seine Arbeitskollegen hätten sich viele Fragen im letzten Jahr gestellt und es hätte sich alles verändert. Auch simpel erscheinende Dinge im Büro, wie «Wer öffnet die Post?» musste man jetzt überdenken. Wer tut so etwas, wenn alle im Homeoffice sind? Alle wurden aus ihrer Routine geworfen, was das letzte Jahr sehr anstrengend gestaltet hatte.

Erst nach diesen Erlebnissen der Gäste, stellte sich dann auch endlich die Moderatorin des Abends vor. Etwas verspätet, wie ich fand. So ist es doch sinnvoll sich als Moderatorin gleich zu Beginn vorzustellen. Sie gehörte zum MTO Vorstand und war Leitende Oberärztin in einem Krankenhaus. Von ihren eigenen Eindrücken berichtete sie allerdings nicht, es ging weiter mit einem Video. Darin wurde gezeigt, was Noruz eigentlich ist und wie die Menschen es feierten. Dazu lief eine sehr dominante Hintergrundmusik, die eher zu einem Heldenepos gepasst hätte als zu einem Informationsvideo. Man lernte, was die Gaben auf dem Haftsin-Tisch für Bedeutungen hatten und sah durch die spannungsvolle Musik beinahe wie der grosse Held vom Haftsin-Tisch aufstand und sich aufmachte das Monster zu töten, dass die Menschen in Angst und Schrecken versetzte.
Nachdem Herakles die Hydra besiegt hatte, also die Zuschauer über Noruz-Bräuche informiert wurden, ging es im Studio weiter. Die Journalistin erzählte von ihren Noruz-Erinnerungen. Ihr Vater war Iraner du so hatte sie das Fest immer im Iran mit der Familie verbracht. Der Anwalt hatte auch immer bei seinen Eltern gefeiert oder in der Stadthalle, wo es jeweils ein grosses Fest gegeben hatte. Dazwischen erklärte die Moderatorin, dass ein Besuchsmarathon unbedingt zu Noruz dazugehören würde. Man musste alle Verwandten nacheinander besuchen, sonst würde furchtbar über einen getratscht werden. Die Musikerin hatte einen anderen Bezug zu Noruz, da sie keine iranischen Wurzeln hatte. Sie feierte das erste Mal Noruz, nachdem sie auf einem Noruz-Fest Musik gemacht hatte und war begeistert davon.

Nach dieser kurzen Unterhaltung folgte das nächste Video, dieses Mal das eines Musik-Ensembles. Sie spielten traditionelle iranische Musik mit traditionellen Instrumenten. Die, für «westliche» Ohren etwas seltsam klingende Musik, hatte eine leicht einschläfernde Wirkung. So als würde man gleich einschlafen, aber man könne einfach nicht ganz entspannen. So dämmerte ich in einem halbwachen Zustand vor mich hin. Das Ambiente des Videos trug auch dazu bei. Die Musiker sassen in einer leeren Kirche, in der es immer leicht hallte. Aber vielleicht war das ja auch der gewünschte Effekt der Musik.

Eine gefühlte Ewigkeit später war das Ensemble fertig und es konnte im Studio weitergehen. Der Bundestagsabgeordnete wurde gefragt, ob es im Bundestag auch einen Haftsin-Tisch für Noruz gäbe. Noch nicht, aber er sagte, dass viele dafür offen wären. Es wäre sicher eine gute Idee das in Zukunft zu machen. Er war einmal in den USA beim Aussenministerium während Noruz, da gab es schon einen Haftsin-Tisch, was ihn sehr gefreut hatte.

Die Moderatorin schaltete sich wieder ein und wollte von den Anwesenden wissen, wie es denn in Deutschland in der Zukunft besser werden könne. Was ihre Träume für das Land seien. Die Journalistin sagte, dass sie erst auf Reisen ausserhalb Europas realisiert hatte, wie gut es doch in Deutschland sei. In anderen Ländern gibt es Hunger, Armut und immer wieder auch Verletzungen der Menschenrechte. Das kannte sie aus Deutschland nicht. Man muss es einmal gesehen haben, um das Gute im eigenen Land zu erkennen. Was sie aber auf ihren Reisen auch erfahren hatte, war das Miteinander und die Gastfreundschaft der Menschen ausserhalb Europas. Das wäre für sie etwas, das Deutschland auch mehr gebrauchen könnte. Die Menschen hier sollten auf der Strasse viel mehr lächeln und nicht immer alles so ernst nehmen. Oft würde in Deutschland die herzlichkeit der Menschen fehlen. Auch die Musikerin fand dies sehr wichtig. In Deutschland fehle oft das Miteinander, dabei würden die Menschen vor allem in diesen Zeiten von COVID auch Nahrung für die Seele brauchen. Es ginge hier auch um Identität und Integration. Dazu stellte sie das neue Album ihres Orchesters mit dem Titel «Identigration» vor. Gut platzierte Werbung, keine Frage, doch war es wenig hilfreich für die eigentliche Fragestellung.

Der Anwalt sah die Situation etwas pragmatischer als die Damen vor ihm. Für ihn sei es wichtiger sich zuerst auf die realen Probleme zu konzentrieren die sich in dieser Zeit stellen würden. Erst wenn diese bewältigt wären, würde die Zeit zum Träumen kommen. Allgemein müssten die Menschen in Deutschland aber lernen ihre Privilegien mehr zu schätzen zu wissen. Sein Traum wäre es, dass alle Kinder auf der Welt die gleichen Chancen im Leben hätten, auf Nahrung, Bildung und Menschenrechte.

Der Bundestagsabgeordnete konnte dem nur beipflichten. Seine Utopie wäre es, dass keine Kinder auf der Welt mehr leiden müssten und in Wärme und Geborgenheit aufwachsen können. Das erinnere ihn stark an seine Kindheitserinnerungen von Noruz und die Wärme, die er dabei verspürt hatte.

Die Moderatorin wünschte sich konkret, dass alle Menschen in Deutschland einen Haftsin-Tisch zu Noruz aufstellen würden. Die Menschen sollten sich alle darum herum versammeln und gemeinsam Noruz feiern.
Ein interessanter Vorschlag, der bei den meisten Menschen in Deutschland allerdings auf wenig Begeisterung stossen würde. Wieso sollten alle Menschen Noruz feiern? Würde der Vorschlag der Moderatorin doch Millionen von Menschen in Deutschland eine Tradition aufzwingen, die nichts mit ihnen zu tun hat. Oder war damit gemeint, dass alle Menschen zum iranischen Sufismus konvertieren sollten? Ich hoffe nicht.

Auf jeden Fall ging es bei der Veranstaltung mit einem weiteren Video weiter. Es handelte sich um deutsche und persische sufistische Gesänge. Dazu wurden verschiedene Tänze gezeigt. Im Anschluss ging es gleich weiter mit einer Meditationsübung, also einer Kombination von Atemübungen und Bewegungen. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass das wichtigste im Sufismus die Selbsterkenntnis sei.

Weiter ging es mit einer Lesung aus der sufistischen Literatur. Es ging dabei um Selbsterkenntnis und um die Besinnung auf die Familie als wichtigste Einheit im Leben eines Menschen.

Die Veranstaltung neigte sich nun langsam dem Ende zu und so wurden noch einmal Videobotschaften eingespielt. Glückwünsche zu Noruz wurden von den unterschiedlichsten Leuten überbracht. Einer Schriftstellerin, einem Politiker, einem Polizisten, einem Pfarrer, einer Klimaaktivistin und so weiter. Es war nicht ersichtlich warum gerade diese Leute eine Botschaft schickten, so wirkte ihre Auswahl doch sehr willkürlich. Sollte das nur zeigen, wie gut vernetzt die MTO ist? Oder dass sie so offen und bekannt in der ganzen Bevölkerung sind?

Ein etwas längerer Beitrag kam von der Direktorin des Goethe-Museums. Sie sprach von Neubeginn, der Verständigung miteinander, davon, dass das Leben in dieser zeit aufblüht, die Menschen aufeinander zugehen und Gegensätze überwinden sollen. Sie redete sehr lange und leider auch etwas einschläfernd. Das monotone und etwas lustlose herunterrattern ihrer Rede erinnerte doch stark an den Geschichtsunterricht in der Schule, von der man heute nur noch weiss, dass man anwesend war, aber schon nach dem Läuten der Schulglocke nicht mehr sagen konnte, ob es um den römischen Senat oder Hitlers Machtübernahme gegangen war.

Kurz bevor ich eingeschlafen wäre, war es dann aber auch schon vorbei und die Studiogäste wurden verabschiedet. Zum Schluss spielte noch das Orchester der anwesenden Musikerin. Dabei handelte es sich um eine Mischung aus traditioneller iranischer und moderner Orchestermusik.

Zwischen den Studiobeiträgen und den Videos wurden immer wieder kurze Clips von Haftsin-Tischen in ganz Deutschland eingespielt, immer unterlegt mit Musik, die gut zu einem Monumentalfilm gepasst hätte. Unter dem Video des Live-Streams war auch die ganze Zeit ein Chat aktiv, wo sich die Zuschauer auch rege beteiligten. Der Inhalt der Nachrichten war allerdings stets derselbe. Alle bedankten sich für die tolle Organisation des Noruz-Festes und für den spannenden Abend. Diesem Urteil konnte ich mich aber leider nicht ganz anschliessen. Es wurde weder wirklich gefeiert, noch viel iranische Kultur geboten. Es wurde vor allem geredet und das auch noch über COVID. Abgesehen von der Meditation und der Lesung hatte der Abend auch nicht wirklich etwas mit Glauben oder Religion zu tun. Es wirkte eher wie ein Versuch der MTO sich säkularisiert und aufgeklärt zu zeigen. Die Wärme des Noruz-Festes von der immer wieder die Rede war konnte ich an dem Abend nicht erkennen. Die Veranstaltung wirkte auf mich eher steif und abgeklärt.

Jasmin Schneider, März 2021

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