Staatsverweigerer im Restaurant Raten in Zug

Ein wohliges Beisammensein

An einem Samstagmorgen um 9:00 Uhr befinde ich mich im Restaurant Raten: Der kleine Kreis von rund 30 Anwesenden scheint sich zu kennen. Trotz vielen Sitzmöglichkeiten setzen sich fast alle an denselben langen Tisch und trinken ihren Kaffee. Es herrscht eine lockere Stimmung, als wäre es ein Brunch unter Freunden. Ich falle auf, allein an einem kleinen Tisch als 20-jährige Frau in einem mehrheitlichen männerdominierten Umfeld. Einige Gäste befinden sich in Begleitung ihrer Partnerin. Gesprochen wird mit mir nicht. Nicht vor, und auch nicht nach dem Vortrag. Wohl angemerkt habe ich das Geschehen einfach auf mich wirken lassen, ohne gross den Kontakt zu suchen. Das durchschnittliche Alter der Teilnehmenden schätze ich auf Mitte 50. Mehrheitlich – so scheint es mir – Schweizer*innen ohne Migrationshintergrund. Dass diese Menschen den Staat ablehnen und in ihrer eigenen Welt leben, lässt sich durch ihr äusseres Erscheinungsbild nicht erahnen.

Ein erfolgreicher Referent?

Referent «:markus :zimmermann» fängt mit seinem Vortrag an. Die Kennzeichnung des eigenen Namens mit Doppelpunkten ist charakteristisch für die Szene der Staatsverweigerer. Als wohl bekannter Referent in der Szene lässt er vor seinem Vortrag Raum für Diskussionen über seine vergangenen Referate. Ebenfalls wirbt er bei dieser Gelegenheit für seine aufkommenden Vorträge und die Mitgliedschaft im selbsternannten Gerichtshof «Trivium United». Bei der Frage in die Runde, wer bereits alles Mitglied ist, erheben sich fast alle Hände. Dass er gerne spricht und das nicht wenig, merkt man ihm an. Doch die Substanz des Gesagten, lässt aus meiner Perspektive an sich zweifeln:

Einigkeit über Ablehnung

Zimmermann lehnt jegliche Autorität der Regierung und der Gesetzgebung ab. Die Existenz der Schweiz als Staat mit seiner Rechtsordnung wird von ihm geleugnet. Als unabhängige und souveräne «Menschen», wird geglaubt, keine staatlichen Verpflichtungen zu haben und keinerlei andere Vorschriften der Regierung befolgen zu müssen. Die alternative Sichtweise auf das Verhältnis zwischen «Mensch» und «Person» im Hinblick auf die rechtliche Identität einer Person, scheint allgemein bekannt und anerkannt.

Mit dieser Grundeinstellung wird in den Vortrag gestartet. Es gibt keinen roten Faden, keine konsequente Argumentation. Die Überzeugung von dem selbst Gesagten ist dafür umso grösser.

Person vs. Mensch – das Fundament der Bewegung

Bevor die eigentliche Thematik des Vortrages angesprochen wird, erhellt «:markus» das Publikum mit einer Parole über das Verhältnis zwischen «Person» und «Mensch». Argumentiert wird, dass die rechtliche Identität einer «Person», die durch die Ausstellung von Geburtsurkunden, Personalausweisen und anderen Identifikationsdokumenten geschaffen wird, nicht wirklich mit der natürlichen Identität eines «Menschen» übereinstimmt. Der Staat und seine Institutionen zwingen die «Menschen» ihrer Ansicht nach dazu, eine rechtliche Identität anzunehmen, die nicht mit ihrer wahren Natur übereinstimmt. Die rechtliche Identität eines Menschen als «Person» sei eine Schöpfung des Staates. Dass es diesen Staat nach der Auffassung der Anwesenden gar nicht rechtmässig geben soll, findet hier keine Beachtung. Durch die Schaffung von «Personen» würden die «Menschen» entmenschlicht und in ihren natürlichen Rechten eingeschränkt.  Das Fehlen der rechtlichen Identität entbindet sie in ihrer Vorstellung von den Gesetzen des Staates. Diese Argumentation dient als Grundbaustein für alles, was im Verlaufe des Vortrages folgt.

Bösewicht Kirche

Einführend wird das Verhältnis der einzelnen Gesetze erläutert. Die Anwesenden lehnen die hierarchische Struktur zwischen Verordnung, Gesetz und Verfassung ab. Die höchsten Gesetze stammten nicht von der Regierung oder Institutionen, sondern seien die Schöpfung der universellen Gesetze der Natur. Den Ursprung der Länderrechte finden sie im kanonischen Recht als Erfindung der Päpste.

Als Mittel der Unterdrückung durch die katholische Kirche wird in diesen Kreisen das kanonische Recht und alles, was dadurch entsteht, abgelehnt. Die Kirche habe ihre Autorität missbraucht, um Menschen zu kontrollieren und manipulieren. Das Schweizerische «Länderrecht» sei eine einzige Schöpfung aus dem Vatikan und eine Folge des Machtmissbrauchs. Die Gesetze, welche sie Statuten nennen, stehen nur unter dem Vatikan. Wenn man also gegen die Schweiz klagt, klagt man direkt auch gegen den Vatikan. Eine unverständliche Begründung und Schlussfolgerung resultiert darin, dass der Vatikan jedoch seit 2021 nicht mehr existiere und somit auch jegliche Grundlage für unser Länderrecht entfallen ist.

Nationen als Firmen

Ein anderer, zusammenhangsloser Erklärungsstrang mündet darin, dass die Gesetze («Statuten») und das Völkerrecht auf Verträge zwischen den einzelnen Ländern («Firmen») basieren, welche in keinem Zusammenhang zum Naturrecht stehen. Einzelne Paragrafen aus Gesetzen und Verfassungen dienen ihnen – durch eigenartige Auslegung – als Grundlage für diese Argumentation. Ohne weitere Ausführungen blieb das so im Raum stehen.

Ein bezeichnendes Menschenbild

Der Versuch, elegant zum Völkerrecht überzuleiten, wird durch die Frage in die Runde unternomme, was «Volk» bedeute. Einstimmig, im Chor, kommt als Antwort aus dem Publikum: «Sklaven». Eine Begründung dafür blieb aus. Das sei einfach so und das könne man überall nachlesen.

Das Völkerrecht wird in den Kreisen abgelehnt, da dies als Teil einer globalen Verschwörung zur Kontrolle der Bevölkerung diene. Das Völkerrecht beruhe auf ungültigen und illegalen Verträgen und habe keine rechtmässige Grundlage. Auch dieses stehe im Zusammenhang mit dem Länderrecht, welches wiederum auf den Vatikan beruhe (welcher anscheinend nicht mehr existiert). Der rote Faden war hier längst verloren.

Feindbild Weltgesundheitsorganisation

Beim Stichwort «Weltgesundheitsorganisation» (World Health Organization, WHO) schlugen die Alarmglocken. Als grosse Gefährdung für das Völkerrecht wird die NGO als weiteres Machtelement dargestellt. Die WHO wolle das Völkerrecht aushebeln und überschreiben. Hier wird die Widersprüchlichkeit des Gesagten abermals deutlich: Das Völkerrecht wird einerseits abgelehnt und andererseits wird es im Angesicht der Bedrohung durch die WHO verteidigt.

Einschlägiger Dualismus

Weiter führt der Vortrag durch die Erklärung des «Trivium United» Logos, sowie einzelner Rechtsmaxime. Staatliche Organisationen wie die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) werden als Bedrohung dargestellt und deutschen Wörtern wurden neue Bedeutungen gegeben.

Grenzwertige Wortspielereien

Als Beispiel sei die Bezeichnung «Frau» eine Beleidigung und man solle sich nicht davon angesprochen fühlen. Stattessen seien Frauen ab anhin als «Weiber» zu bezeichnen. Ihre Erklärung fundiert auf Goethes Hexeneinmaleins, ein beliebtes Dokument in der verschwörungsideologischen Szene. Ein Zusammenhang ist nicht ersichtlich, aber an Kreativität nicht zu übertreffen. So wird aus «Frau» die «Sexsau». Verschiebt man mit viel Fantasie das «R» im Alphabet um eine Stelle, wird daraus ein «S». Zählt man an welcher Stelle das «F» im Alphabet steht, kommt man auf die sechste Stelle. Eingedeutscht wird aus der «6», «Sex» und führt man alles zusammen resultiert daraus «Sexsau».

Staatsverweigerung – eine Frage des Bewusstseins?

Schwierig zu folgen und noch schwieriger zu verstehen, endete der Vortrag in der erneuten Werbung für den selbst erfundenen Gerichtshof «Trivium United». Die Schlussworte lauteten: «Eine geglückten Stärkung des Bewusstseins für das richtige Handeln im Zusammenhang mit dem Staat».

Lisa Loepfe, 22. März 2023

Lexikoneintrag Staatsverweigerung