Staatsverweigerung

Verwandte Bewegungen: Freemen, Reichsbürger, Selbstverwalter

Zur Szene der Staatsverweigerung zählen Menschen mit verschiedenen Überzeugungen. Gemeinsam ist ihnen die Ansicht, dass der Schweizer Staat nicht legitim ist und sie sich deshalb der Schweiz gegenüber zu nichts verpflichtet fühlen, nicht zu Steuern, Abgaben oder Bussen. Diese Menschen werden «Staatsverweigerer» oder Staatsverweigernde genannt, weil sie sich dem Staat verweigern.

Ursprung in den USA

Frühe Formen systematischer Ablehnung von etablierten, demokratischen Staaten tauchten zunächst in den USA auf. Zu nennen sind dabei die sogenannten Freemen on the land, auch Freemen genannt, sowie die das Sovereign Citizen Movement (deutsch: Bewegung souveräner Bürger). Soziologisch betrachtet, lassen sich beide Bewegungen auf rassistische und radikale Anti-Regierungs-Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre in den USA zurückführen. Ihre Anhängerschaft wuchs insbesondere während der agrarwirtschaftlichen Krise in den späten 1970er und 1980er Jahren sowie während der Zinskrise, die sich in den USA und Kanada im gleichen Zeitraum ereignete[1]. Die Anti-Regierungs-Bewegung zweifelte die Legitimität der Einkommenssteuer an, was sich graduell zu der Überzeugung erweiterte, dass gesamte Regierungen und Staaten illegitim seien. In den 1990er Jahren und den frühen 2000er Jahren fand eine Ausbreitung in weitere englischsprachige und vereinzelt in deutschsprachige Länder statt.

Die ideologische Wurzel beider Bewegungen findet sich im angelsächsischen Recht, das zwischen Statue Law, der Gesetzgebung aus Gesetzesrecht und Verordnungen, und Common Law, dem Gewohnheitsrecht, das sich nach dem Prinzip der Analogiebildung auf massgebliche richterliche Urteile aus der Vergangenheit stützt (sog. Präzedenzfälle), unterscheidet.

Beiden Bewegungen liegt die Überzeugung zu Grunde, dass das Statue Law individuell anerkannt oder abgelehnt werden könne. Sie bekennen sich zum Common Law, das jedoch idiosynkratisch zu einem menschlichen Naturrecht umgedeutet wurde. Dabei wird sich auf ein in der Antike formuliertes Prinzip bezogen, nach welchem die Regeln menschlichen Zusammenlebens an der «Natur» des Menschen orientiert sein sollen. Gegenwärtige Gesetze werden als nicht natürlich betrachtet und gelten laut der frühen Staatsverweigerungs-Szene als illegitim. Von Seiten der Freemen wurde zudem vermehrt von einem See- und Handelsrecht gesprochen, dass die tatsächliche Gesetzgebung aufgrund der angeblichen Insolvenz aller Nationalstaaten ersetze.

Ausgehend von dem Grundgedanken, Gesetzgebung individuell ablehnen zu können, entstand die Vorstellung, einen Austritt aus dieser erwirken zu können. Zu diesem Zweck wurden bereits in den frühen 2000er Jahren pseudojuristische Dokumente erstellt, die einen angeblichen Austritt aus den USA oder eigene Fahrzeugzulassungen und Führerausweise bescheinigen sollten. Zusammen mit der Weigerung, Steuern und Bussen zu zahlen, wurde in den USA von Papierkriegen auf Ämtern berichtet – ein Phänomen, das sich heute in der schweizerischen Staatsverweigerungsszene wiederholt. Zwischen 2000 und 2010 fanden zudem mehrere Gerichtsprozesse mit Freemen oder der Anhängerschaft des Sovereign Citizen Movement statt, die allesamt von Seiten der Staatsverweigerer verloren wurden. Seitdem scheint die Szene im angelsächsischen Raum zu schrumpfen, obgleich die staatsablehnende Haltung durch andere, verwandte Ideologien ersetzt worden sein könnte.

Verbreitung im deutschsprachigen Raum

Aus der Freemen-Bewegung ging One People´s Public Trust (OPPT) hervor, eine Bewegung, die die Legitimität aller Nationalstaaten anzweifelt und in der die Vorstellung herrscht, dass es sich bei Staaten um Firmen handle. In den USA entstanden, wurde OPPT vor allem in Österreich aktiv, wobei einzelne Bezüge zur Schweiz bestehen. Charakteristisch für die OPPT waren zahlreiche Pfändungsforderungen gegen Staaten und Banken. Dass keinerlei Institution diese ernstnahm, interpretierte die Anhängerschaft als stille Zustimmung, die angeblich als Willenserklärung im Vertragsrecht gelte. Solche von aussen betrachtet unbestreitbar falschen Annahmen, die nach innerer Logik jedoch kaum widerlegbar sind, sind typisch für Verschwörungstheorien und insbesondere die Staatsverweigerungsszene.

Von Österreich in die Schweiz

Im Jahr 2014 wurde von OPPT-Kreisen in Österreich das Scheingericht International Common Law Court of Justice, Vienna (ICCJV) gegründet. Der Verein erklärte, Räumlichkeiten bestehender Gerichte nutzen zu wollen und Personen zu suchen, die Personen aus Politik und Justiz festnehmen. Obgleich keines von beidem stattfand, weitete sich der Personenkreis um das Scheingericht aus. 2016 wurde im Kanton Thurgau der Verein IIA – International Intelligence Agency gegründet, dessen Adresse der des «Modelhofs» von Daniel Model entspricht. Auch der offizielle Sitz des ICCJV wurde auf den Modelhof verlegt. Model hatte bereits 2006 seinen Scheinstaat Avalon ausgerufen und kann zu den ersten öffentlich auftretenden Staatsverweigerern gezählt werden. 2022 wurde er von Landesgericht Graz wegen der Mitgliedschaft bei einer staatsfeindlichen Verbindung zu einer millionenhohen Geldstrafe sowie einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt.

Dem ICCJV gehörte ausserdem der Schweizer Heino Fankhauser an, der mit seiner Plattform Ciné12 in den Jahren 2012 bis 2018 massgeblich an der Verbreitung verschiedener Staatsverweigerungsideen in der Schweiz beteiligt war. Fankhauser beschreibt sich für den Zeitraum seiner Mitgliedschaft beim ICCJV in der Position als «Major Chief Sheriff» als oberster Militär- und Polizeichef der Schweiz. Infolge von Korruption habe er das Gericht jedoch verlassen. Heute tritt Fankhauser als Redner bei Graswurzle zu Thema Mensch / Person in Erscheinung, zuletzt 2023 im Haus Ziel in Altstätten SG.

Staatsverweigerung in Deutschland und Bedeutung für die Schweiz

Die Szene der Staatsverweigernden in Deutschland setzte sich lange aus vorrangig zwei Lagern zusammen: Zum einen aus denjenigen, die davon überzeugt sind, dass das Deutsche Reich noch existiert und die Bundesrepublik Deutschland somit illegitim ist und zum anderen aus denen, die sich von jeglicher staatlicher Kontrolle lossagen möchten und sozusagen zweckmässig die Legitimität der BRD leugnen. Personen aus dem ersten Lager sind auch als Reichsbürger bekannt und die zweite Gruppe wird oft als Selbstverwalter bezeichnet. Selbstverwalter stehen in der Tradition der US-amerikanischen Vorgängerbewegungen. Die sich seit ungefähr 2010 radikalisierende Szene in Deutschland erreichte einen ersten tragischen Gipfel in der Erschiessung eines Polizisten bei einer Hausdurchsuchung 2016 in Georgensgmünd. Diese Tat stellte einen Wendepunkt in der Wahrnehmung der Reichsbürger-Szene in Deutschland dar. So sind seitdem alle deutschen Gerichte der Auffassung, dass Szenenangehörigen die erforderliche Zuverlässigkeit fehlt, um Waffen zu besitzen. Zudem wird die Szene vom deutschen Verfassungsschutz beobachtet. Dieser berichtet von mehreren Straftaten von Seiten der Reichsbürger und Selbstverwalter. 2022 und 2023 fanden Razzien in Deutschland und der Schweiz aufgrund von Umsturzplänen einer Gruppe der Szene statt. Dabei kam es im März 2023 zu einem gezielten Schusswaffeneinsatz gegen Polizeibeamte.

Vom Verfassungsschutz wird auch das Königreich Deutschland (KRD) beobachtet, ein 2012 gegründeter Scheinstaat, dem Peter Fitzek als «König» vorsteht. Heute bildet das KRD die am besten organisierte Subgruppe innerhalb der deutschsprachigen Staatsverweigerungsszene. Zuletzt hat das KRD Unterstützung von Schweizer Staatsbürgern erhalten und versucht in die Schweiz zu expandieren. Am 28.08.2023 wurde der Verein Gmeinwohl Gmeind Schwiz gegründet, der als «erste KRD-Gemeinde der Schweiz» bezeichnet wird.

Rolle der Covid-19-Pandemie

Die Pandemie wird von der Öffentlichkeit oftmals als «Brandbeschleuniger» für die Staatsverweigerungsszene im deutschsprachigen Raum angesehen. Dafür können verschiedene Erklärungen herangezogen werden. In der Covid-19-Pandemie haben verschiedene Faktoren das individuelle Erleben beeinflusst, die sich bei einigen Menschen im Gefühl von Fremdbestimmung und daraus folgender Reaktanz, dem Gefühl von Hilflosigkeit und Kontrollverlust sowie in Überforderung angesichts der komplexen Krise offenbart haben. Derartige Gefühle gelten als Tor zu Verschwörungstheorien, zu denen auch die Staatsverweigerung zählt.

Aus der Isolation der Pandemie heraus erhielt das Gefühl von Zusammenhalt und Gemeinschaft eine verstärkte Bedeutung, was sich unter anderem an der Gründung der Post-Corona-Bewegungen zeigte. Die Plattform, die diese Bewegungen Staatsverweigernden bis heute bieten, bildet einen nennenswerten Beitrag zu deren Verbreitung. Offene Propaganda für Argumente der Staatsverweigerenden-Szene findet sich z.B. im Magazin «Die Freien», das von der Graswurzle-Gründerin Priska Würgler herausgegeben wird.

Aus der Entstehungsgeschichte der Staatsverweigerung ergibt sich darüber hinaus die Bilanz, dass die Ideologie besonders in finanziellen Schieflagen – persönlich sowie gesamtgesellschaftlich – einen Zuwachs erhält.

Anmerkung:

[1] Kent, Stephen A. (2015). „Freemen, Sovereign Citizens, and the Challenge to Public Order in British Heritage Countries“ (PDF). International Journal of Cultic Studies. 6: 1–15.

In der Schweizerischen Staatsverweigerungsszene herrschen verschiedene Vorstellungen vor, warum der Schweizer Staat nicht legitim sei. Wer welcher Argumentation folgt, hängt massgeblich von der Motivation hinter der Staatsverweigerung ab. Insgesamt können vier Argumentationslinien beobachtet werden:

(1) Die Schweiz beruhe auf vatikanischem Recht und sei deshalb zu keinem Zeitpunkt ihrer Geschichte legitimiert gewesen.

Dieser Gedanke stammt von den Vatikan- und Kirchen-kritischen Freemen und wird von denjenigen Szeneangehörigen weitergelebt, die sich durch eine dezidiert institutionskritische Haltung auszeichnen, die bis zu anarchistischen Überzeugungen reicht. Dazu gehören auch diejenigen, die sich vermehrt auf ihren «germanischen» Ursprung berufen und mit diesem eine Ablehnung gegen abendländische Religionen begründen wollen.

(2) Die Abstimmung zur Schweizer Verfassung im Jahr 1848 habe zu Unrecht zu einer Annahme der Verfassung geführt, da nicht alle Kantone der Verfassung zugestimmt haben. So sei demnach noch das Recht der alten Eidgenossenschaft gültig.

Dieses Argument wird von Fans der alten Eidgenossenschaft vertreten, besonderes von denjenigen, die sich das damals geltende Recht zurückwünschen.

(3) Der Schweizer Staat sei in den letzten Jahren in eine Firma umgewandelt worden, womit Staatsbürger lediglich Angestellte seien. In diesem Zusammenhang ist häufig das Argument anzutreffen, dass der Beamtenstatus in der Schweiz im Jahr 2002 abgeschafft worden sei.

Diese Ansicht ist in der Staatsverweigerungsszene in der Schweiz am verbreitetsten, vielleicht auch, weil sie sich von den vorherigen Argumenten durch ihre Einfachheit und die grosse Bedeutung von Wortspielereien abgrenzt.

(4) Der Schweizer Staat existiere zwar, habe allerdings für die Szeneangehörigen eine untergeordnete Bedeutung, da diese sich als «Indigenes Volk der Germaniten» empfinden.

Dieses, noch recht neue Argument beruft sich auf die UN-Resolution von 2007, nach der die Zugehörigkeit zu einem indigenen Volk selbst bestimmt und nicht von aussen negiert werden kann. Damit sympathisieren diejenigen, die sich als ursprünglich «germanisch» ansehen.

In der heterogenen Szene der Staatsverweigernden werden die verschiedenen Argumente oftmals vermischt und nicht als sich gegenseitig ausschliessend betrachtet.

Die Staatsverweigernden in der Schweiz wollen mit dem Staat, den sie für eine Firma halten, möglichst wenig zu tun haben, und versuchen, Steuern, Abgaben und Bussen zu vermeiden, indem sie die Legitimität der betreffenden Forderungen des Staates bestreiten. Umgang mit solchen staatlichen Forderungen wird unter Staatsverweigernden eingeübt.

Typisch für Staatsverweigernde ist der Gedanke, dass sie keine «Person», sondern ein «Mensch» seien, denn eine Person sei «Personal» der Firma Staat. Um die Person loszuwerden und wieder ein Mensch zu sein, verfassen Staatsverweigernde eine sog. «Lebenderklärung» und nennen sich dann mit zwei Doppelpunkten und Kleinbuchstaben «:vorname :nachname», siehe z.B. den bekannten Vordenker der Schweizer Staatsverweigernden-Szene Christian Frei alias «:christian :frei»:
https://www.relinfo.ch/lexikon/themen/verschwoerungstheorien/christian-frei/

Staatsverweigernde wollen den in ihrer Sicht illegitimen staatlichen Strukturen in der Schweiz eine «Parallelgesellschaft» oder «Alternativgesellschaft» entgegenstellen, mit eigenen Schulen und eigenem Gesundheitssystem. In diesem Zusammenhang sind die Schulprojekte zu sehen, die in letzter Zeit begründet wurden.

Zwischen der Staatsverweigerungs- und der Reichsbürgerszene zeigen sich Gemeinsamkeiten, aber auch erhebliche Unterschiede.

Staatsverweigernde und Reichsbürger sind sich einig darin, dass die modernen Staaten illegitim sind und deshalb keine Forderungen erheben dürfen.

Soweit ergibt sich eine Parallele zwischen Staatsverweigernden in der Schweiz und den sog. «Reichsbürgern» in Deutschland. Reichsbürger sind Menschen, die der Überzeugung sind, dass das Deutsche Reich von 1938 noch fortbesteht und die heutige Bundesrepublik Deutschland nicht existiert resp. bloss eine Firma darstellt. Sie halten sich für Bürger des damaligen Deutschen Reiches, weshalb sie «Reichsbürger» genannt werden. Einzelne in der Schweiz lebende Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft vertreten diese Auffassung, sodass es in der Schweiz tatsächlich ein paar Reichsbürger gibt.

Die allermeisten Staatsverweigernden in der Schweiz halten sich aber nicht für Bürger des Deutschen oder eines anderen Reiches, sodass es keinen Sinn macht – ja sogar irreführend wäre – von «Reichsbürgern» zu sprechen.

Reichsbürger haben typischerweise eine monarchistische Tendenz, so gründeten sie das Königreich Deutschland oder bestimmten einen Fürsten zum Regenten. In der Schweizer Staatsverweigerung dient demgegenüber die Alte Eidgenossenschaft mit ihrer monarchiekritischen Haltung als Vorbild.

Von Reichsbürgern werden immer wieder Umsturzpläne bekannt, die Schweizer Staatsverweigerungsszene setzt hingegen eher auf den Aufbau einer Parallelgesellschaft.

Veranstaltungen und Kurse zu Staatsverweigerungs-Themen fanden in jüngster Zeit unter anderem an folgenden Orten und bei folgenden Institutionen statt:

Urig Vereine

Graswurzle Lokalgruppen

Green Future Begegnungszentrum Aarau

Restaurant Raten Oberägeri

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