Ein nicht so schmaler Weg auf Abwegen – ein ehemaliges Mitglied der EBG besucht das ICF

Vor meinem Besuch wusste ich bereits, dass das ICF etwas konservativer ist, als es sich gibt. Nach meinem Besuch und etwas Googeln bin ich aber doch schockiert, und möchte hier warnen: Dieser Artikel enthält einiges, das emotional bewegen könnte. Besonders nennenswert sind Homophobie und Transphobie und die Ablehnung von Abtreibungen.

Ein Konzertbesuch

Kaum hatte ich «The Hall» und die davorstehenden Besuchenden erblickt, kam ein erstes Konzertgefühl hoch. Ein mittelgut besuchtes Konzert, aber dennoch ein Konzert. Ich war so im Konzertgefühl, dass ich beim Eintreten kurz Panik kriegte, weil ich kein Ticket hatte, bis mir einfiel, dass es sich hierbei ja um einen Gottesdienst – Verzeihung, eine «Celebration» – handelte. Ich bewegte mich also in die Halle, in welcher bereits enorm laute Beats zu hören waren, und andere anstanden, um in den Reihen nach zu rutschen. Die Musik dröhnte in meinen Ohren und ich hätte am liebsten auf dem Absatz kehrt gemacht und wäre wieder weggelaufen. In christlichen Gemeinden habe ich vermehrt die Erfahrung gemacht, dass, wer eine einzelne Person sieht, sich zu ihr gesellt, um niemanden allein zu lassen. Sogar gewisse Konzertbesuchende sind ähnlich drauf. Von dieser Mentalität war im ICF aber wenig zu spüren: Die Menschen neben mir waren zwar nett, aber eine Einbindung ins Gespräch, wie in vielen anderen Gemeinden, fand nicht statt.

Zu Beginn der «Celebration» sangen wir einige Lieder. Anfangs war es mir immer noch zu laut, aber ich entschied mich dazu, mich darauf einzulassen. Ab dem zweiten Lied begannen ICF-Besuchende, ihre Arme in die Lüfte zu erheben. Einige erhoben beide Arme, andere nur einen – meistens den rechten. Es meinte sicher niemand so – hoffe ich -, aber wer mit dem ganzen Lichterspektakel nur Silhouetten sieht, die die rechte Hand zur Decke emporstrecken, muss zweimal schauen, um sicherzugehen, dass es sich dabei nicht um den römischen Gruss handelt. An dieser Stelle möchte ich ICF-ler:innen ermuntern, doch immer beide Arme zu verwenden, um Missverständnisse zu vermeiden. Meines Wissens werden die Arme erhoben, wenn man sich besonders erfüllt vom Heiligen Geist fühlt. Ich selbst verspürte den erwarteten «heiligen Geist», der im Rahmen eines kalten Schauers über meinen Rücken lief, drei Mal: zweimal als das Schlagzeug immer lauter und intensiver wurde, und einmal, als die Band mehr als laut genug spielte, um das «Jesus, chum!»-Geschrei des Publikums zu übertönen. Die Moderatoren hatten darum gebeten, um Jesus zur Rückkehr anzufeuern, doch trotz lautem Spiel und Gebrüll tauchte Jesus nicht auf. Vielleicht hätten wir noch lauter schreien müssen. Solche und ähnliche Erlebnisse mit anderen «Heiliger Geist»-Erfahrungen, die ich aus meiner Freikirchenzeit kenne, zu vergleichen, führt mich zu einer ersten Schlussfolgerung: Wer ein christliches Konzert macht, was ICF Celebrations für mich sind, und das Erlebnis auf den Heiligen Geist schiebt, hat wohl nicht ganz verstanden, dass solche Erlebnisse auch bei ganz und gar nicht christlichen Konzerten stattfinden können. Ob es dort wohl auch der Heilige Geist ist?

Geld für Sport: Das ICF als Alternative zum Gym

Die ersten Lieder waren irgendwann fertig, und die Moderatoren kamen auf die Bühne, um über ein Camp zu sprechen, gemeinsam für eine gute Zeit zu beten, und dann im Anschluss Geld dafür zu erbitten. Einige vor mir Sitzende sendeten ihnen sogar Geld, doch der Topf, der in meinen zwei Sitzreihen herumgegeben wurde, blieb leer. Da war ich froh darüber, schliesslich soll das Spenden an die Kirche – oder «Church», beim ICF – nicht öffentlich sein. Im ICF hatte ich schon ganz andere Erfahrungen gemacht, aber damals war auch Leo Bigger anwesend, vielleicht musste man ihn dort beeindrucken. Bei dieser «Celebration» machten wir ausserdem etwas Sport: Wir mussten andauernd wieder aufstehen, und uns setzen, und aufstehen und uns setzen. Mal fürs Gebet, mal für das Singen, mal für das Vorlesen eines Psalms, für welches ein Bandmitglied sein Smartphone aus der Hosentasche zog und nach dem Lesen eine Weile brauchte, um die Hosentasche wieder zu finden (was alles schön auf dem Hintergrund gezeigt wurde). Das Gebet der Moderation als solches zu klassifizieren fiel mir schwer. Der Raum war zu inszeniert, als dass ich es nicht einfach als Show interpretieren hätte können. Vom ehrfürchtigen, bewundernden Beten, das ich kenne, war nichts zu spüren, zumindest nicht von der Bühne. Um mich Sitzende schienen im Verlauf der «Celebration» um Einiges aufrichtiger zu beten, ohne eine grosse Show daraus zu machen.

Während der ganzen Moderation blieb eins gleich: Die Band spielte im Hintergrund weiter. Ich bin kein Fan, wenn Musik spielt und gleichzeitig gesprochen wird; entscheidet euch für eines, oder singt gleich mit. Wenigstens hörte die Band kurz vor der Predigt auf. Rückblickend hätte ich lieber noch mehr Lieder anstelle von der Predigt gehört.

«Hallo Vater», Tschüss Abtreibung

Nach langem Leiden meinerseits begann die Predigt. Die Moderation kommentierte, wir sollen «Hallo Vater» sagen, denn heute ging es darum: um Gott, den Vater. Von allen Predigten, die ich gehört habe, war eine Predigt über Gott, den Vater, eher selten, und so nahm es mich wunder, worüber er denn sprechen würde. Predigen würde Dominic Haab, auf YouTube bekannt als «Dom Haab». Gefragt habe ihn Leo Bigger, Senior Pastor und Mitgründer des ICF, ob er denn an diesem Sonntag predigen könne. Sympathisch an Dominic war eines: Er verwendete viele Bibelverse während seiner Predigt, anfangs aus mehreren Übersetzungen, dann nur noch «Neues Leben». Das würde aber das einzig Positive an diesem Mann bleiben, jedenfalls für den Teil seiner Person, den ich an diesem Abend kennenlernen durfte. Er sprach darüber, was Gott, der Vater, war, und nannte etwa die folgenden drei Punkte: Gott sagt «Ja» zur Schöpfung, er freut sich, wenn er barmherzig sein kann, und er hat uns alle gern. Für mich waren die letzten beiden Punkte relativ nah beieinander, und es fühlte sich mehr an, als hätte er einfach eine Liste mit drei Punkten gewollt. Das wird in allen möglichen Rhetorikkursen auch gern empfohlen. Sein konstantes «Verstahsch?!»-Nachfragen wird hingegen nicht empfohlen. Dominic, ein Bauer, begann also, über das «Ja» von Gott zu seiner Schöpfung zu sprechen, und verwendete zwei Beispiele: seinen Mais, auf den er sehr stolz sei, und ein Kalb, das wohl an diesem Tag geboren wurde. Sein Mais war wohl in kurzer Zeit bereits durchgebrochen. Grund dafür waren nicht die Wetterkonditionen oder irgendwelche anderen messbaren Faktoren, sondern das «Ja» Gottes zu seiner Schöpfung. Dominic brüllte vor Freude an seinem Mais in sein Mikrofon und meine bereits gereizten Ohren schmerzten bei jedem Wort noch mehr. Der brüllende Prediger lief auf und ab, und der Kameramensch versuchte sein Bestes, um ihm möglichst gut zu folgen. Es war fast schon unterhaltsam, zuzuschauen, wie die Kamera ihm zwar folgte, dann aber zu weit schwenkte, oder zu spät zu schwenken begann, weil sich Dominic so unvorhersagbar bewegte. Die Geschichte des Kalbs war aber aussagekräftiger, denn Dominic erzählte, wie er vor einigen Monaten auf dem Ultraschallbild nur «das Herz» des Kalbes gesehen hätte, dass Gott «Ja» zur Schöpfung (des Kalbes) sagte, und so das Kalb geboren wurde. Klar ist bei dieser Message eines: Wenn Gott «Ja» zu deiner Schwangerschaft sagt, heisst das «Nein» zur Abtreibung, und somit auch «Nein» zur Wahl, abtreiben zu können. Ein nicht sehr moderner Standpunkt in einer Kirche, die sich enorm modern anmalt. Das «Herz auf dem Ultraschall» erinnert auch an die «Heartbeat Bill» in Georgia, die verlangt, dass Abtreibungen ab dem ersten Herzschlag illegal sein sollen. Ein «messbarer» Herzschlag beginne angeblich etwa 6 Wochen nach Beginn der Schwangerschaft, also ungefähr 4 Wochen nach Befruchtung bei einem 28-Tage-Zyklus. Wichtig ist hierbei zu wissen: Eine Schwangerschaft beginnt nicht bei Befruchtung, sondern bei Beginn der letzten Menstruationsblutung. Diese Information wird bei der Abtreibungsdiskussion gerne aussen vorgelassen, und sie dabei im Hinterkopf zu behalten ist entsprechend umso wichtiger. Eine Abtreibung vor diesem Zeitpunkt vorzunehmen ist zwar möglich, aber die wenigsten Frauen führen eine Abtreibung durch, wenn sie einmal ihre Tage nicht haben. Es wirkt aber ganz und gar so, als würde Dominic eine Regelung nicht ablehnen, in welcher es schwierig ist, abtreiben zu können.

Die Megachurch ICF und der schmale Weg

Dominic sprach bei seiner Predigt darüber, wie der christliche Weg ein «schmaler Weg» ist, und «nur wenige gehen ihn». Ich sah mich im Raum um. Das ICF, das reihenweise Jugendliche hineinlockt, das seinen Aufbau von den Megachurches in den USA abguckt, das sich «cool» und «modern» gibt, um «in» zu sein. Diese «Church» behauptet, den schmalen Weg zu vertreten? Nicht mal «konservativ» machen sie richtig. Als ich mit 15 aus der viel konservativeren EBG austrat, hatte ich zwei Jahre wahrhaftig schmaler Weg hinter mir. Modern wollte dort niemand sein, nicht mal moderne Musik. ICF-Lieder, wie ich sie an diesem Abend hörte, wurden als satanisch bezeichnet, denn Satan kleide sich in Lügen und Täuschungen. In der EBG sah man selbst das Bibellesen auf dem Handy als modern und falsch an. Scheidung war gar kein Thema, auch in Missbrauchsfällen wie häuslicher Gewalt nicht, und erneut heiraten schon gar nicht. In der EBG gibt es zudem eine strikte Umsetzung der Kleiderordnung, es wird zwischen «Frauenkleidung» und «Männerkleidung» unterschieden, und beide haben sich «bescheiden» anzuziehen. Frauen haben zudem lange Haare und eine «Kopfbedeckung» oder spezifische Frisuren (Hauptsache, nicht offen) zu tragen, und Männer den Hut auszuziehen, wenn sie beteten, und kurze Haare zu tragen. Wenn ich mich daran erinnere, wie bewusst uncool und gottesfürchtig ich damals war, wie stark ich auf alles Mögliche verzichtete – oder es versuchte -, dann ist ein ICF, das «den schmalen Weg» gehen will, für mich nichts mehr als ein schlechter Witz.

Ja zur Schöpfung, Nein zur Homosexualität: Das Perfekte im Widersprüchlichen

Dominic erklärte aber, was denn am Weg so schmal sein könnte – nachdem er sich über die teuflischen Mächte aufregte, leider zu unklar, um einen Inhalt ausser «der Teufel ist böse» zu entnehmen. Und er zählte auf und begann mit: «Nicht jeder wird sagen «wow, mega cool, dass du Jesus folgst!»», und er sprach weiter und erklärte: «Nicht jeder wird Freude haben, wenn du sagst «es gibt nur zwei Geschlechter, Mann und Frau», nicht jeder wird begeistert sein, wenn du sagst «Sexualität ist etwas Wunderbares – zwischen Mann und Frau!»». Nein, da ist nicht jeder begeistert, besonders die ehemalige Freikirchlerin, die dir zuhört und deine Behauptung «Das wirst du nicht oft hören, aber es steht in der Bibel!» als wahlweises Annehmen von spezifischen Regeln und Ablehnen anderer – aus derselben Bibel! Demselben Buch! Selbes Kapitel! – Regeln einzuschätzen weiss. Ich bin froh, dass es Gemeinden gibt, die sich dafür entscheiden, die Bibel ganzheitlich in ihrer Zeit einzuordnen. Solche, die nicht nur einzelne Verse, die nicht passen, als «Zeugen ihrer Zeit» einschätzen, und andere dann als «immer wahr» betiteln, sondern konsequent modern und zeitgemäss sind in ihrer Bibelinterpretation.

Nach Dominics offener Homophobie und Transphobie bat er uns, uns zu Gott zu bekennen – eine Bekehrung ohne Prediger, spannend! Er kommentierte, dass diese, deren Eltern sie in ihrem Glauben «blockierten», ihnen heute vor dem Gehen vergeben sollen. Ich wusste und sah, dass viele Jugendliche da waren, und der Gedanke, dass ihre Eltern zuhause waren und sich um ihr Kind Sorgen machten, traf mich. Ich war ja auch mal eines dieser Kinder, und an diesem Tag war die Predigt besonders anstrengend, da sie enorm politisch war. Der Einfluss, den eine Kirche auf Jugendliche haben kann, ist beträchtlich, aber sie müssen die Ironie selbst bemerken. Sie müssen selbst merken, wie konservativ das ICF wurde. Das Blockieren der Eltern ermuntert nur den weiteren Besuch. Aber eines beeindruckte mich. Als Dominic so offen homophob und transphob war, blieb der Raum still. Die ganze Zeit gab es Personen, die «Ja!» und «Amen!» riefen, doch bei dieser Aussage war es ruhig.

Dominic verschwand und wir sangen erneut ein Lied. Der Text war einfach und enorm repetitiv, und bestand grösstenteils aus: «You are perfect in all of your ways» (wobei damit Gott gemeint ist), «It’s who you are» und «It’s who I am», und: «And I’m loved by you». Aussagekräftig war auch der fünfte Teil «You’re a good, good father». Ich stand da, sang mit, und dachte mir: «Wie kann ein Vater, ob Gott oder Mensch, perfekt und gut sein, wenn er zwar ‘Ja zur Schöpfung’ sagt, aber ‘Nein zur Homosexualität’?» Ein perfekter Vater, der in allem, was er macht, perfekt ist, der uns liebt, und der Ja dazu sagt, wer wir sind – der kann nicht homophob und transphob sein. Ein Vater, der sagt «alle meine Kinder sind liebenswürdig, und ich bejahe sie alle in ihrer Identität», der bejaht auch die Homosexualität, die trans Identität, die Freiheit des eigenen Kindes. Wer das nicht macht, dem kann nicht nachgesagt werden, dass er «perfekt» wäre, oder dass er uns so, wie wir sind, so, wie wir geschöpft wurden, liebt. Besonders, wenn er uns selbst so geschöpft hat, was im Falle von Gott, dem Vater, zutrifft.

Ich hoffe, dass Dominics vier Kinder hetero und cis (nicht trans) sind, damit sie nicht erfahren müssen, wie es ist, vom eigenen Vater nicht voll und ganz akzeptiert zu werden, sondern nur, solange sie in sein Weltbild passen. Und sollten sie doch nicht hetero und cis sein, dann hoffe ich, dass Dominic lernt, sie dennoch voll und ganz zu akzeptieren und zu lieben.

Als das letzte Lied gesungen war und die Menschenmasse sich zum «Hangout» bewegte, lief ich erleichtert hinaus aus dieser Halle, weg vom ICF, das für mich keine «Church» und keine Heimat anbieten kann. Die Lieder waren schön, die Mitglieder wirken aufrichtig in ihrem Glauben, doch die «Church» als solches? Nein danke. Lieber konsequent und aufrichtig modern als dieses semi-religiöse Getue.

Ein weiterer Schock

Am Tag darauf informierte ich mich ein wenig mehr darüber, wer denn Dominic genau ist. Das Finden schmerzte: Dominic ist nicht nur im öffentlichen Gottesdienst homophob, transphob und gegen Abtreibungen, sondern auch auf seiner Facebook-Seite. Zu Zeiten Coronas vertrat er ausserdem die Verschwörungstheorie, dass der Covid19-Impfstoff aus abgetriebenen Embryos hergestellt wurde.

«Die Bibel ist klar» – ein fehlendes Bibelverständnis

Auch transphob ist Dominic ganz öffentlich. Er postete am 28. März dieses Jahres ein – meines Wissens älteres – Bild, auf welchem steht: «A biological male just won Miss Nevada […] The prettiest woman in all of Nevada is a man.» Hierbei ist mit dem Begriff «biologischer Mann» nicht etwa die Geschlechtsidentität gemeint, sondern die (vermuteten) Chromosomen. Die schönste Frau in Nevada ist eben eine trans Frau, und Dominic findet das offensichtlich ganz schlimm. Er liess es aber nicht dabei, einfach das Bild zu posten, sondern setzte die Tags «crazy times», «truth wins» und «stay in the light» – und den Bibelvers Matthäus 19, 4. Worum geht es in Matthäus 19, 4? «Er aber antwortete und sprach: Habt ihr nicht gelesen, dass der Schöpfer sie am Anfang schuf als Mann und Frau», wie es in der Lutherbibel 2017 heisst. Dieser Vers ist herrlich schön aus dem Kontext gerissen, denn in Matthäus 19, 3 fragen die Pharisäer Jesus, ob es denn erlaubt sei, dass ein Mann sich aus irgendeinem Grund von seiner Frau scheide. Jesu Antwort ist bekannt: Nein, es sei denn, wegen Ehebruch. Nicht eine Position, die das ICF vertritt. Und von der Bibel her leider auch kein Beweis, dass trans Personen «unchristlich» seien oder dass die Identität nicht gottgewollt sein kann, sondern nur ein Kommentar zur heterosexuellen Ehe(scheidung). Kann Dominic die Bibel wirklich so gut lesen, wie er es darstellt? Wenn das der einzige biblische «Beweis» gegen trans Personen ist, dann wird der Kampf für die transphoben Christen gar nicht einfach. Diesen Vers verwendet er lustigerweise mehrfach, um zu «beweisen», dass es «nur zwei Geschlechter» gäbe. Ganz interessant ist auch sein Post, in welchem er schreibt, es sei zu spät, seine Kinder mit dem «gender nonsense» zu «brainwashen». Seine Kinder sind alle noch im Primarschulalter, nicht ein Alter, in dem sich die meisten mit Geschlechtsidentitäten auseinandersetzen. Er hat möglicherweise aber bereits mit ihnen darüber gesprochen, vermutlich auf eine Weise, bei welcher man bereits anhand der verwendeten Sprache die Meinung hören kann. «Biological man» wird niemand sagen, der oder die trans Personen in ihrer Identität akzeptiert. Auch Dominics Vorschlag «Just have a quick look between your legs» hilft nicht: In erster Linie wissen wir, dass es so einige Personen gibt, die Intersex zur Welt kamen. Als Bauer müsste Dominic wissen, dass nicht jedes Geschöpf, zu dessen Geburt Gott «Ja» gesagt hat, auch klar dem männlichen oder dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden kann. Gott hat also auch zu Intersex «Ja» gesagt, und somit «Ja» zu Personen, die nicht in den binären Geschlechterrahmen passen. Ausserdem wissen wir, dass es eine Geschlechtsidentität unabhängig von der äusserlichen Erscheinung gibt, weil jemand eine andere Identität hatte als «zwischen den Beinen» vorzufinden war. Auch die Geschlechtsidentität gehört zu Gottes Schöpfung, auch dazu hat er «Ja» gesagt. Warum fällt es Dominic wohl so schwer, einfach zu akzeptieren, dass die Welt sich eben nicht darum dreht, was zwischen den Beinen vorzufinden ist?

Homophobe Aussagen trifft er wenigstens nur einmal, zumindest anhand dessen, was ich gesehen habe. Am Tag der Abstimmung über Ehe für alle schrieb er: «Ehe zwischen Mann und Frau ist viel mehr als Papier, Status, Emotionen und Gefühle.» Was da wohl noch dazu kommt? Kinder? Liebe? «Gottes Segen», der wohl ihm und ähnlich Glaubenden vorbehalten ist? Was haben er und seine Frau, das ein homosexuelles Paar nicht haben kann? Selbst homosexuelle Paare können homophob sein, daran kann es nicht liegen. Und anderen Menschen abzusprechen, dass sie sich lieben, ist nicht etwas, das ein «Christ» machen sollte.

Dominic als Vater: ein schmerzhaftes Missbrauchspotential

Dominic erzählte, wie er einen 7-jährigen Sohn habe, der «ganz mutig» im Fussballtraining auch zu den grossen Kindern renne, um ihnen den Ball wegzunehmen. Auf Dominics Lob, wie mutig das sei, sagte der Kleine «Aber ich muss ja gar keine Angst haben, Jesus ist ja bei mir». Unendlich süss, und das war auch im Publikum zu hören. Dominic wirkt wie ein guter Vater und wie ein Vorbild, doch leider habe ich seine Facebook-Page einen Tag nach der Predigt angeschaut. Ein Fehler, wenn man Dominic als guten Vater und als Vorbild sehen will. Er postet unglaublich viele Bilder seiner Familie und seiner vier (!) kleinen Kinder. Diese Bilder sind für alle öffentlich. Man braucht nicht etwa mit ihm befreundet zu sein – wobei das bei seinen über 3500 Freunden wohl nicht schwierig wäre -, nein, man sieht direkt die ganzen Bilder. Nur auf Facebook eingeloggt sein muss man. Ich finde es bereits enorm grenzwertig, Bilder von Kindern ins Internet zu stellen, ganz allgemein, egal, was dazu sonst noch alles steht. Es verletzt die Rechte der Kinder, vor allem, da sie noch nicht fähig sind, selbstständig zu urteilen, ob Bilder von ihnen im Internet zu landen haben oder nicht. Für manche Bilder werden sich die Kinder, sobald sie «Teenies» sind, wohl schämen, und sich wünschen, dass es nie hochgeladen wurde. Bilder von Personen, die noch nicht fähig sind, ihre Einwilligung zu erteilen, im Internet zu verbreiten, ist ganz klar eine Verletzung der Privatsphäre und der Rechte dieser Personen. Ein Vater, der sich dafür lobt, das «Ungeborene» zu schützen, hat ebenso die bereits geborenen Kinder zu schützen.

Auch wichtig: Das Internet vergisst nicht. Was einmal hochgeladen ist, das bleibt. Und wenn man es löscht, ist es doch auf irgendeinem Server im Backup enthalten.

Es gibt aber noch einen anderen Faktor, nämlich den Aspekt des Missbrauchs: Seit Aufkommen von Deepfakes fällt es Pädophilen und Kindesmissbrauchenden ganz und gar nicht mehr schwer, von einem Bild eines Kindes ein Deepfake zur eigenen Freude zu erstellen, und Eltern haben die Verantwortung, ihre Kinder so gut wie möglich davor zu schützen. Das ist aber nicht das Schlimmste: Auf einigen Bildern tragen seine Kinder keine Kleider, zumindest nicht am Oberkörper. Auf einem anderen Bild sitzt seine kleine Tochter lachend dort, das Gemüse auf dem Teller bildet einen Phallus. «Aufklärung im Gange», steht bei der Bildbeschreibung. Und solche Bilder stellt ein ICF-Prediger ohne jegliche Restriktionen ins Internet? Das ICF mag selbst (vielleicht) aktuell keine Übergriffe verzeichnen, aber eine Statistik schützt nicht vor der Zukunft. Nicht nur Internet-Pädophile und Internet-Kindesmissbrauchende können sich an seinen Kindern ergötzen. Auch Pädophile und Kindesmissbrauchende, die irgendwo in der Nähe seines Hofes – dessen Adresse im Internet prangt – wohnen, könnten sich an seinen Kindern vergreifen. Sportclub, Alter, Gesicht, Name – ein gefundenes Fressen für jemanden, der Informationen zu Kindern will. Ich hoffe ehrlich und aufrichtig, dass seine Kinder niemals Opfer werden. Sie hätten es ihrem Vater zu so einigen Teilen vorzuwerfen. Vielleicht schafft er es noch, zu Sinnen zu kommen und seine Kinder anständig zu schützen, bevor etwas passiert. Das Internet geht es nichts an, wie alt seine Tochter ist, wo sein Sohn Fussball spielt, und wie früh seine Kinder Aufklärung erhalten. Hoffentlich hat er ihnen im Rahmen des Aufklärungsunterrichts auch mitgeteilt, dass sie Grenzen haben dürfen, dass ihr Körper ihnen gehört – auch wenn das bei Abtreibungsgegnern eine heikle Sache ist – und dass sie es ihm auf jeden Fall mitteilen dürfen, wenn jemand ihre Grenzen überschreitet. Wir wissen aus mehr als genug Fällen, dass starker und aufrichtiger Glaube nicht vor Missbrauch schützt. Kinder müssen besser geschützt werden.

Politik? Auf die Bühne!

Aber auch Politik macht vor Dominics Haushalt nicht Halt – obwohl die Bibel sagt, man solle sich der Regierung und den Obrigkeiten unterordnen. Nicht nur Magdalena Martullo-Blocher, sondern auch ein Botschafter aus Belarus habe ihn schon einmal besucht, wenn man den Posts Glauben schenken darf. Wie rechts braucht man zu sein, um letzteres stolz auf Facebook zu posten? Über die «bösen Linken und Grünen» regt er sich häufig auf, da anscheinend diese daran schuld sind, dass zurzeit in der Politik alles bergab geht. Er kommentiert, wie der «Links-Grüne Wahnsinn Millionen von Menschen in den Ruin treibt», und schiebt die Schuld der Strommangellage auf die Linke und Grüne Politik. Wie Schweizer Politik funktioniert, nämlich mit mehrheitsfähigen Kompromissen, scheint zumindest Dominic unklar zu sein. Jemanden, der sich so klar zur politischen Landschaft äussert, auf die Bühne vor leicht beeinflussbare, junge Leute zu stellen, ist eine Entscheidung, die mehr als genug über Leo Bigger, der Dominic um die Predigt bat, aussagt.

Die Facebook-Seite beinhaltet wenigstens nicht allzu viel Homophobie. Sie ist zu beschäftigt mit Kühen (und deren Euter), Fleisch, seiner Familie, den ganz schlimmen trans Personen und der bösen Links-Grünen Politik.

Angela Heldstab, 18.07.2023

Lexikoneintrag ICF Movement