Tagung zu Verschwörungsdenken, Esoterik und Conspirituality an der Universität Basel

Als ich mich am Morgen der Tagung auf den Weg nach Basel machte, war ich darauf vorbereitet vor allem mehr über das Thema Verschwörungsmythen und Esoterik zu erfahren, um auch neue Erkenntnisse der Wissenschaft bei Relinfo einfliessen zu lassen. Doch es würden 8 Stunden sein, die mich lehrten, wie viel ich noch über Verschwörungsdenkende, Esoterik und Conspirituality (einem Wortspiel mit Conspiracy, also Verschwörung, und Spirituality) lernen kann. Die Tagung wurde im Rahmen der SNF-Projekte Halbwahrheiten. Wahrheit, Fiktion und Konspiration im ‚postfaktischen‘ Zeitalter“ und „Contentious Non-Compliance with Pandemic Response“ geführt. Durch die Covid-19 Pandemie wurde der Blick des Projekts auch auf Coronaleugner*innen oder Coronaskeptiker*innen geworfen. 

Ziel der Tagung war es durch die Forschung über Verschwörungsdenkende die Lücken zwischen Spiritualität, Verschwörungsmythen, Esoterik und im Weiteren auch zu Religion zu schliessen. Dies führte auf eine wilde aber auch spannende Achterbahnfahrt durch verschiedenste Vorträge. Es gab Präsentationen zu Studien, welche eher den geschichtlichen Hintergrund von Esoterik und Verschwörung erleuchteten, über Mythen und Entzauberung als gemeinsames, dann gab es aber auch Vorträge, welche mehr auf den Hintergrund eines Verschwörungsgläubigen eingingen und so auch Erfahrungen und Charaktereigenschaften miteinbezogen.

Covid-19 als Auftakt zu neuen Studien über Verschwörungsdenkende

Die Covid-19 Pandemie war für das oben genannte SNF-Projekt ein Weg, mehr über Verschwörungsdenkende herauszufinden. In einem Vortrag über „das Verhältnis von Autoritarismus, Verschwörungsmentalität und Aberglaube“ wurde zuerst erklärt, dass Aberglaube und Verschwörungsmythen einen Container für realitätsverleugnende Anschauungen bieten. Wenn wir an die Slogans von verschiedensten Coronaskeptikerinnen zurückschauen, können wir dem zustimmen. Auf der Webseite „back2normal.ch“ sind noch einige ihrer „Fakten“ aufgeführt, wie beispielsweise „Keine asymptomatische Übertragungen (Studie mit 10 Mio Probanden) –> Maskenpflicht sinnlos“. Diese Aussage lehnt klar die von der Mehrheitsgesellschaft anerkannten wissenschaftlichen Resultate während der Coronapandemie ab und kann zu einer ausgereiften Verschwörungstheorie führen.

Wissenschaftlich betrachtet sind verschwörungstheoretische Elemente in Krisenzeiten dominanter. Oft ist hinter Krisen, wie bei der Coronapandemie beispielweise, auch keine Sinnhaftigkeit zu erkennen, welche eine Krise vielleicht erträglicher machen würde.

Verschwörungsmythen bieten daher Feinbilder. Aggressionen und Ängste werden so ausgelagert, dass das eigene Selbstwert- und Gemeinschaftsgefühl gestärkt wird und es zu einer Entschärfung der inneren Konfliktlage führt. Dabei hilft ein Satz den Verschwörungsverbreitenden besonders: „Ich bin kein Spezialist, aber wir müssen auch keine Spezialisten sein, wir brauchen einfach gesunden Menschenverstand.“ Mit diesem Satz wird einem die „Erlaubnis“ erteilt sich auch ohne wissenschaftliche Grundlage, sondern mit dem eigenen gesunden Verstand, eine Meinung zu bilden und gleichzeitig bietet einem das „wir“ in diesem Satz eine Gemeinschaft von Gleichdenkenden an. Dies wiederum bestärkt die Haltung von „wir“ gegen „sie“. Oft wird eine „Wahrheit-in-einem-selbst“- und „Hilf-dir-Selbst“-Einstellung gepflegt. Die Verschwörungsdenkenden erhalten dann eine sogenannte „Schiefheilungsdynamik“. 

Diese Punkte wurden bei einer psychoanalytischen und sozialpsychologischen Studie von Markus Brunner und seinem Team hervorgehoben. Die Studie, welche Interviews mit Verschwörungsdenkenden beinhaltet, zeigt auch auf, dass durch eine verschwörungstheoretische Erklärung oftmals schmerzhaften Erfahrungen einen Sinn gegeben werden können. 

„Hör auf dein Herz, es sagt dir, dass etwas nicht stimmt.“

Als dieses Zitat am Anfang der Tagung an die Leinwand projiziert wurde, dachte ich es würde als Beispiel für eine esoterische Haltung fungieren. Als Person, welche eher rational unterwegs ist, habe ich mir schon oft vorgenommen mehr auf mein Herz zu hören – so  überladen das auch klingen mag. Doch die Vortragenden wiesen darauf hin, dass dieses Zitat oft von Verschwörungsdenkenden benutzt wurde, um ihre Verschwörungsmythen zu untermauern. Heisst das, wenn man auf das eigene Herz hört, dass man dann gleich anfälliger dafür ist, ein oder eine Verschwörungsanhänger*in zu werden?

Bei Relinfo werden einige Merkmale von Verschwörungsdenkenden und -theorien aufgezeigt. Dazu gehört, dass Verschwörungsdenkende zwischen Gut und Böse differenzieren, eigene Gesundheitstipps verbreiten, welche sich von wissenschaftsbasierter Medizin abgrenzen oder dass sie für schwere Situationen scheinbar ein simples Rezept haben. Zu Verschwörungstheorien gehört auch, dass sie oft auf intuitiven und nicht wissenschaftlichen Grundlagen stehen. Es werden rationale Zugänge gelegt, welche aber abgrenzend zu anerkannten Wissensbeständen fungieren. Zudem gehört bei Verschwörungsdenkenden oft die Haltung dazu, dass nichts durch Zufall geschieht, sondern alles seine Gründe hat und alles miteinander verbunden ist. So sind Verschwörungsgläubige Teil eines inneren geheimen Wissens.

Als Teil dieser Tagung, in der Verschwörungsdenken und Esoterik zusammen angeschaut wurde, komme ich nicht umhin zu erkennen, dass viele dieser oben genannten Merkmale sicher auch auf Esoterik zutreffen würden. Und wenn man nach der Namensherkunft von Esoterik sucht, findet man heraus, dass Esoterik vom altgriechischen Wort esoterikós (dt. innerlich) kommt, was so viel wie dem inneren Bereich zugehörig heissen kann. Auch diesen Ausdruck könnte man bei Verschwörungsanhängern anwenden. So führte dies unweigerlich zu meiner Frage: Was ist der Unterschied von Verschwörungsdenken und Esoterik? Gibt es diesen überhaupt? 

Verschwörungstheorie vs Esoterik 

Beim nächsten Vortrag zum Thema „Mythen der Entzauberung“ wurde mir, wie ich dachte, sogleich eine Antwort auf diese Frage gegeben. „In der Verschwörungstheorie ist das Geheimnis böse. In der Esoterik ist das Geheimnis gut.“ Diese Antwort war für mich einfach und gut nachvollziehbar. Aber sobald ich mich mit dieser Unterscheidung abgefunden hatte, kam der nächste Satz des Vortragenden, nämlich: „Aber so einfach ist das natürlich nicht.“

Daraufhin gab es einen kurzen Ausflug in die Geschichte. Zu einem deutschen Esoteriker und Künstler: Joseph Beuys. Dieser hatte seinen Einfluss vor allem in der deutschen Nachkriegszeit. Sein Bezug zu einer Art Schamanismus und zu Esoterik ist in seiner Kunst unvermeidbar anzutreffen. Ein Indiz dafür ist, dass er anscheinend echtes Tierblut und -fett für „geistige und seelische Kräfte“ in seiner Kunst verwendete. Als Schüler von Rudolf Steiner wurde er auch von dessen Lehren beinflusst. 

Rudolf Steiner vertrat die Ansicht, dass wir hier auf der Erde der Verzauberung seien und dass eines Tages ein Prozess der Entzauberung kommen werde, wodurch man dann aus eigener Kraft in die kosmologischen Welten und deren Wissen kommen könne. Das Ziel, welches die Menschheit anstreben sollte, war das Wegräumen der Entfremdung und des Misstrauens gegenüber dem Übersinnlichen, sodass eine Entzauberung stattfinden könne.

Beuys nahm die Theorie Steiners der Verzauberung und Entzauberung der Welt auf und verbreitete zusätzlich sogar die Ansicht, dass der Faschismus des zweiten Weltkrieges ein von Amerika kommendes Phänomen war. Er glaubte, dass Deutschland und die Deutschen quasi von Amerika verzaubert wurde und dies zum Faschismus in Deutschland führte. Somit liege die Schuld des zweiten Weltkrieges bei den Amerikanern. *Dasgoetheanum.com

Wie man sieht, vereinigt Joseph Beuys als anerkannter Esoteriker auch Verschwörungsmythen in sich.  Es zeigt, dass es nicht entweder Verschwörungstheorie oder Esoterik sein muss.  Dies wiederum lenkt die Diskussion weiter, dass sich in einer Person verschiedene Ausprägungen von Verschwörungsdenken, Esoterik und – hier würde ich nun auch den nächsten Begriff neu hinzufügen – Spiritualität vereinen können. 

Die 6 Typen der Verschwörungsdenkenden 

In einer Studie zum „Verhältnis von Autoritarismus, Verschwörungsmentalität und Aberglaube“ wurden an der Universität Leipzig 6 Typen von Verschwörungsdenkenden ausarbeitet. Eigentlich sollte eine Studie und ihre Ergebnisse nicht ohne Kontext angeschaut werden und schon gar nicht veröffentlicht werden. Ich war zwar an dieser Tagung und habe kleine Einblicke in verschiedene laufende Studien erhalten, aber ich habe die Studien nicht eingehend gelesen oder studiert und so ist es mir nicht möglich ausführlich auf diese Studien einzugehen. Sie wurde jedoch im November 2022 unter dem Titel „Autoritäre Dynamik in unsicheren Zeiten – Neue Herausforderungen – alte Reaktionen?“ veröffentlicht.

Die Studie zeigt für mich vor allem auf, dass es nicht DEN Verschwörungsgläubigen gibt und dass nicht alle Verschwörungsdenkende in einen Topf zu werfen sind. Sie zeigt, dass verschiedene Verschwörungsgläubige auf unterschiedliche Weise mit Verschwörungsmythen umgehen.

Die Probanden wurden mittels einer Umfrage den 6 Typen zugeteilt. Dabei wurden fünf bestimmte Merkmale und deren Ausprägungen in der Person angeschaut. Diese fünf Merkmale haben ihre eigenen Definitionen und wurden sorgfältig bestimmt.  Zu den fünf Merkmalen gehören Aberglaube, Verschwörungsmentalität, autoritäre Aggression, autoritäre Unterwürfigkeit und Konventionalismus. Die 6 ausgearbeiteten Typen sind: 1. Die externen Rechten, 2. Die Radikalisierbaren, 3. Die Unscheinbaren, 4. Die Besorgten, 5. Die Autoritären und 6. Die Pluralisten. Die ersten drei Typen haben gemeinsam, dass die Merkmale autoritäre Aggression, autoritäre Unterwürfigkeit und Konventionalismus stärker ausgeprägt waren und dies zeigt, dass sie eine eher klassische Verschwörungsmentalität besitzen, während die letzteren drei Typen eher zu Conspirituality neigen, da das Merkmal des Aberglaubens dominanter ist. 

Ausflug nach Aotearoa

Weiter oben habe ich erwähnt, dass Verschwörungsmythen vor allem in Krisenzeiten stärker verbreitet sind, da sie Feinbilder bieten können. Was ist, wenn die Feindbilder schon vor einer Krise und vor einer Verschwörungstheorie existierten und Verschwörungsmythen als Folge dieser Feindbilder entstehen? 

In Aotearoa oder Neuseeland gab es während der Coronapandemie, wie in vielen anderen Ländern, Demonstrationen gegen die Coronastrategie der Regierung. Unter den Demonstranten befanden sich ebenfalls viele eher jüngere Maori. Natürlich kann man nicht verallgemeinernd sagen, dass alle Maori Coronaskeptiker gewesen waren, da viele Maori die Massnahmen begrüssten. Die in der Studie aufgeworfene Frage war jedoch: Sind die Maori, welche in der Vergangenheit und auch Gegenwart noch immer systematische Diskriminierung erfahren, anfälliger auf Verschwörungsmythen, die den Staat zum Feindbild machen?

Die Studie läuft noch immer. Dabei wird untersucht, ob die Erfahrung von systematischer Diskriminierung ein allgemeines Misstrauen auf Regierungen oder Autoritäten gibt, welche dann in Krisenzeiten auch stärker zum Vorschein kommen können. Verschwörungsmythen können als Bewältigungsstrategien zu systematischer Ungleichheit genutzt werden.

Da die Maroi systematische Ungleichheit erfahren und somit die Feindbilder schon existieren, würde es verständlich sein, wenn zu diesen Feindbildern in Krisenzeiten auch Verschwörungsmythen einfließen, welche ihre Feinbilder verstärken. Verschwörungsmythen bieten in diesen Fällen also ein Gegennarrativ zu systematischer Diskriminierung. Um die These repräsentativ zu machen, wäre es sinnvoll auch in anderen Ländern, wo bestimmte Minderheiten systematischer Diskriminierung unterliegen, zu forschen.

Conspirituality als Ausweg 

Oben habe ich über mehrere Blickwinkel versucht aufzuführen, dass es verschiedene Arten und Ausprägungen von Verschwörungsdenkenden gibt: Erstens, Verschwörungsmyhten, welche Feindbilder bieten, um den eigenen Ängsten oder Aggressionen ein Ventil zu geben. Zweitens, Joseph Beuys, der Verschwörung und Esoterik in sich vereint. Drittens, eine Studie zu 6 Typen von Verschwörungsdenkenden. Zuletzt, schmerzhafte Erfahrungen mit systematischer Diskriminierung, welche Verschwörungsmythen einen Platz geben. 

Trotzdem werden Verschwörungsdenkende oft alle zusammen in einen Topf geworfen und als irrational und realitätsfremd betitelt. Coronaskeptiker werden gleichgestellt mit Vertreter dunkler Mächte welche das Blut von Kindern trinken, um sich zu verjüngern. Verschwörungsdenkende werden entweder belächelt oder gefürchtet. 

Im Begriff Conspirituality sehe ich einen Ausweg aus dem negativ konnotierten Konzept des einen Verschwörungsdenkenden.  Conspirituality vereint Conspiracy, also Verschwörung, und Spirituality. Unter Spiritualität wird oft eine Offenheit und ein Interesse für das wissenschaftlich Unerklärliche verstanden. Vielleicht können mit der Kombination von Verschwörung und Spiritualität die negativen Stereotypen über Verschwörungsdenkende entgegengewirkt werden.

Auch die Wissenschaft interessiert sich für den Begriff der Conspirituality. In der Tagung wurde der Begriff nicht nur mit Verschwörungsmythen, sondern auch mit Esoterik und Religion verbunden. So ergibt sich esoteric conspirituality, Christian conspirituality und New Age conspirituality. Was all diese gemeinsam haben ist das Intuitive, also auch das „Hören auf das Herz“, das teleologische Denken, also mehr zweckbestimmtes als ursachenbestimmtes Denken und das holistische Denken.

Mein Fazit aus der Tagung ist, dass Esoterik, Verschwörungsmentalität und Spiritualität nicht so klar voneinander zu trennen sind. Die verschiedenen Typen und Hintergründe von Verschwörungsdenkenden zeigen dies auch auf. Conspirituality als neuer Begriff würde dazu einladen, sich über eine Denkweise zu informieren und sich danach eine Meinung dazu zu bilden, anstatt sie – gleich  einem Vorurteil – sofort als  schlimme Verschwörung abzutun. Auf der anderen Seite sollte sie gefährliche Verschwörungsmythen nicht verharmlosen. Conspirituality hat eine Chance verdient sich auf diese Gratwanderung zu begeben.

Alysejah Huber, 18. Juli 2023