Der Ursprung meiner Abspaltung: Ex-EBG-Mitglied besucht GfC

Hintergrund und erster Vergleich

Als ich im Jahr 2014 der EBG «beitrat», hiess es, sie hätten sich von der Gemeinde für Christus, kurz GfC, abgespalten, weil diese «zu modern» geworden sei. Als Beispiele nannten sie, dass Frauen nun die Haare offen oder kurz tragen könnten, und auch Hosen erlaubt wären. Während das die modernen Lesenden aus dem Jahr 2023 (oder zukünftige Lesende aus anderen Jahren) überraschen oder gar schockieren dürfte, möchte ich kurz anmerken, dass dies zwar in der EBG nicht verboten, aber doch mit Nachdruck nicht empfohlen wurde. Auch von Schmuck (und natürlich Makeup) wurde abgeraten. Die GfC selbst stammt aus dem Evangelischen Brüderverein EBV, eine Freikirche, in der alles, wie eben was genau anzuziehen war, geregelt wurde. Im Reformprozess, der in den 2000er Jahren stattfand, schüttelte die GfC diese Regeln ab und symbolisierte das Abwerfen alter Regeln mit einem Namenswechsel. Aber wie stark hat sich die GfC wirklich modernisiert? Im Gegensatz zur EBG hat sie bereits eine eigene Webseite, die tatsächlich auch geupdatet wird, und die nicht so nichtssagend ist wie die EBG-Webseite, die irgendwo zwischen 2014 und 2016 für ein halbes Jahr online war. Ausserdem ist sie Mitglied beim Dachverband freikirchen.ch – seit letztem Jahr, zuvor waren sie «Beobachter» -, was bei der EBG unvorstellbar wäre. Die Modernisierung der GfC nachvollziehen scheint nur möglich, wenn man sich im Klaren ist, wie konservativ der Vorgänger Evangelischer Brüderverein EBV, und die konservative Abspaltung Evangelische Bibelgemeinde EBG sind. Und doch: Wie anders ist die GfC? Dafür wollte ich sie besuchen.

Die ersten zwei Versuche und ein nettes Paar

Bei meinem ersten Versuch, den GfC zu besuchen, stand ich zuerst in Zürich um 09:28, zwei Minuten vor Beginn, vor verschlossener Tür. «Heute ist kein Gottesdienst», hiess es. «Na toll», dachte ich und schaute nach, ob denn heute sonst irgendwo Gottesdienst wäre. Wetzikon habe um 13:45, also ging ich im Rahmen eines zweiten Versuchs dort hin. Erneut: Verschlossene Türen. Ich hatte die Webseite extra noch überprüft, aber irgendwas war los bei der GfC. Die Frage sollte sich um etwa 13:46 lösen, als ein Auto auf den GfC-Wetzikon-Parkplatz kam. Eine ältere Frau stieg aus und erkundigte sich, aus welchem Grund ich da wäre. Sie erzählte mir, dass heute die jährliche Konferenz in Steffisburg stattfände, und zudem ein neuer Gemeindeleiter eingesegnet werde. Am Morgen habe es in Wetzikon einen Livestream gegeben, aber die beiden hätten ihn aus persönlichen Gründen verpasst – und vergessen, dass es am Morgen war -, und so fuhren sie doch sicherheitshalber zur Gemeinde, um das Haus verschlossen und mich verwirrt vorzufinden. Sie versicherte mir, dass dies ein absoluter Ausnahmefall war. Dass ich genau dieses Mal Pech hatte, fand ich nicht schlimm. Ich redete lange mit ihr und erzählte ihr von meiner EBG-Zeit, aber nicht von Relinfo. Tatsächlich war es wirklich angenehm, mit ihr so lange zu sprechen. Es half, die Zeit – und mein Leiden – in der EBG aus einer neuen Perspektive zu sehen. Besonders, weil sie immer noch genügend konservativ schien. Jemand einer modernen Kirche hätte vielleicht nicht so viel Verständnis oder Einsicht gehabt, besonders, weil der enorme Konservatismus der EBG schwierig fassbar und schwierig erklärbar ist. Ich war doch noch nicht erwachsen und es dürfte einiges gegeben haben, das über meinen Kopf flog. Natürlich darf auch angemerkt werden, dass die Spaltung der Gemeinden nicht aufgrund von grossen theologischen Differenzen, sondern aufgrund von Reformen im Alltagsleben stattfand. Die beiden fuhren mich tatsächlich noch nach Hause und gingen in der Nähe spazieren. Sie versicherten mir zudem, dass der Gottesdienst nächste Woche stattfinden würde, und so stellte ich mich darauf ein, diesen zu besuchen.

Infiltration: ein Schlagzeug

Beim dritten Versuch klappte es dann. Ich war viel zu früh dort und entdeckte zwei Männer, einen, den ich als Prediger, und einen, den ich als «Gemeindemitglied mit möglichen administrativen Aufgaben» klassifizierte. Die beiden schienen im Gespräch vertieft zu sein und ich wollte nicht stören, aber beschloss dann doch, einzutreten. Das Gemeindemitglied bestätigte, dass sie sich nicht in einer Privatrunde befänden, und stellte sich beim Händeschütteln vor. Der Prediger stellte sich ebenfalls vor – als Beat (Strässler) – und erklärte mir, dass er erst gedacht hätte, ich sei ein Teil der Gemeinde. «Ich bin nicht von hier», fügte er hinzu und da wusste ich, dass auch die GfC noch dasselbe Rotationsprinzip verfolgte wie die EBG. Ein wenig stolz auf die gelungene «Infiltration» war ich schon, denn ich hatte bewusst ein Rock angezogen und die Haare zu einem Zopf gebunden. Klassisch EBG. Im Gegensatz zur EBG aber stand ein Schlagzeug auf der Bühne. Ein Schlagzeug bei der EBG ist unvorstellbar, ich musste ja damals mit dem Spielen aufhören, weil es zu «satanisch» war. Das Schlagzeug wurde zwar aktuell nicht gebraucht, nur eine akustische Gitarre, aber auch das fällt als Unterschied auf. In der EBG spielten Personen Klavier, Geige, Cello, Querflöte, auch Harfe, aber jemand, den ich kenne, hörte mit der E-Gitarre auf, um auf Klavier zu wechseln. Dies, obwohl eine akustische Gitarre vielleicht näher daran gewesen wäre. Ja, die Gitarrenspielenden der EBG meiner Zeit kann ich an einer Faust abzählen, ich kenne nämlich niemanden.

Eine kleine (Gross)Familie und ein Spion

Der Raum war gemütlich, eher klein, aber mit familiärer Atmosphäre. Die Stühle waren gepolstert, und hinten lagen Gesangbücher. Ich holte mir also ein Gesangbuch und blätterte darin. Das Buch selbst war neu, und während ich viele Lieder nicht kannte, fielen ein paar auf. Besonders die, in denen mehrmals «Jesus» gesungen wird. Das ehemalige EBV- und aktuelle EBG-Liederbüchlein, das ich habe, führt aber Lieder, die etwas heikler sind. Als illustratives Beispiel, der Refrain eines dieser Lieder, der geht wie folgt: «Vorwärts im Krieg, vorwärts zum Siege oder Tod, steht treu zur Blut- und Kreuzesfahn» (Anmerkung für nicht-konservativ-christliche Personen: Hier geht es um den Glaubenskampf, oder Glaubens-«krieg», wenn man es genau nimmt. Militärische Aspekte ignorieren wir am besten). Dieses Lied oder ähnliche fand ich im GfC-Buch nicht, was mich nicht störte. Der Raum füllte sich langsam und ich schüttelte alle Hände, wie ich es aus der EBG kannte. Wer fragte, dem sagte ich, ich sei auf Besuch da. Das Paar, das ich letzte Woche kennengelernt hatte, tauchte auch auf und die Frau schien erfreut, dass ich dort war. Sie schüttelte meine Hand und flüsterte, sie sässe hinten hin, damit die andere Frau, die dort sass, nicht allein sein würde. «Jööö», dachte ich und lächelte innerlich. Viele Personen kamen an diesem Tag nicht – wir waren fünfzehn, wenn ich mich nicht verzählt habe -, aber es darf auch kommentiert werden, dass Sommerferien waren, manche Leute aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in die Kirche – oder den Gottesdienst – kommen, und natürlich war so schönes Wetter, dass ich es niemandem übelnehmen hätte können, lieber am See oder draussen zu sein als an einem Gottesdienst. Ausserdem ergab sich dadurch eine für mich sehr angenehme Atmosphäre.

Wunschkonzert und Amen

Die Struktur des Gottesdiensts war mir altbekannt. Es war genau wie bei der EBG, nur dass wir bei der EBG in meiner kleinen Gemeinde damals selten eine «Moderation» hatten. Bei grösseren Versammlungen mag das der Fall gewesen sein. Im Gespräch zwischen Prediger und Gemeindemitglied meinte letzterer aber, dass sie auch ohne Moderation können. Diesmal gab es aber eine, und es wurden einige einleitende Worte gesprochen, einige Bibelverse (alle aus dem Neuen Testament) genannt, und dann wurde gesungen – wobei wir ein Lied wünschen durften – und gebetet. Ein Lied wünschen zu dürfen, dies kenne ich aus der EBG. Das Schlimmste (oder Beste) war es, wenn unsere Gruppe von Jugendlichen gerade ein neues Lied für sich entdeckt hatte, und dies dann jedes Mal zu singen wünschte. Das wirklich immer Schlimmste war, dass einige der ersten gewünschten Lieder aber viel zu hoch begannen. Auch beim GfC wurde nicht eingesungen, das erste vorgeschlagene Lied wäre angenehm gewesen, aber war leider unbekannt, und das zweite vorgeschlagene Lied fing eben zu hoch an. Naja, man kann nicht alles haben. Wir beteten, gleich wie bei der EBG. Heisst: Es waren nicht Prediger und Moderator, sondern alle sassen hin, falteten die Hände, und jemand begann zu sprechen und betete, dann sprach die nächste Person, und dann die dritte. Dieser Gebetsstil ist mir aus der EBG bekannt und, sicherlich auch wegen der Familiarität, viel sympathischer als zwei Moderatoren, die auf der Bühne stehen und im Scheinwerferlicht beten. Bei der GfC fiel mir eins auf: Ich konnte bei jedem einzelnen Gebet «Amen» sagen. Ich sage grundsätzlich nur Amen, wenn ich mit wirklich allem einverstanden sein kann, und so ist es eine Weile her, seit ich das letzte Mal «Amen» gesagt habe. Aber den ganzen GfC-Gottesdienst durch fand ich keinen Grund, nicht Amen zu sagen. Somit ist es die erste für Relinfo besuchte Gemeinde, die konsequent meine «Amens» erhielt.

«Jesus!», und die Schlange starb

Die Predigt selbst handelte von Psalm 142, ein Gebet von David, als er sich in der Höhle vor Saul (der ihn umbringen wollte, da er fürchtete, selbst von ihm umgebracht zu werden), versteckte. Dabei auffällig – und wieder sehr EBG-mässig – war, wie stark Beat mit den Anwesenden interagierte. Er fragte, wie hell es denn in dieser Höhle sein hätte können, und wie laut David sein hätte können, während Saul, der ihn verfolgte, unwissentlich in derselben Höhle war. Nicht sehr, ansonsten hätte es wohl keinen König David gegeben. Im Psalm steht aber «ich schreie mit meiner Stimme», was David dort nicht machen hätte können. Der Verlauf der Predigt war durchaus derselbe wie bei der EBG: Der Predigttext wurde gelesen, dann wurde Vers um Vers erläutert, interpretiert, und anekdotisch untermalt. Vorteil bei der EBG war immer, wenn ich langsam nicht mehr sitzen wollte, konnte ich einfach schauen, wie weit wir im Text bereits waren, und einschätzen, wie lange es noch gehen würde. In diesem Fall war die Predigt nicht zu langwierig, aber es ist eben doch praktisch, eine solche «inhaltliche Uhr» zu haben. Beat sprach darüber, was geschieht, wenn wir «in unserem Herzen» Gott loben, und fragte die Runde, ob es denn die unsichtbare Welt (Engel, Dämonen, und, nennenswerterweise: der Teufel) auch hörten, wenn wir im Herzen singen würden. Die meisten sagten ja, und er widersprach dem, während er kommentierte, dass andere Meinungen in Ordnung seien. Zum Beleg erzählte er von einer Geschichte, die er kurz nach Erzählen über seine damalige Missionstätigkeit in Papua Neu Guinea (kurz PNG) – ein beliebtes Missionsziel der GfC, an dem viele meiner EBG-Bekannten zu EBV-Zeiten auch missioniert hatten – erwähnte. In PNG habe die unsichtbare Welt einen anderen Stellenwert als hier in der Schweiz. Anhand dessen, was ich in der EBG hörte, konnte ich dem nur zustimmen, auch wenn ich selbst nie in PNG war. Und so erzählte er die Geschichte eines Mannes – aber aus Indien, wobei ich den Wechsel von PNG auf Indien nicht merkte -, dem gesagt wurde, wenn er in einer misslichen Lage sei, soll er den Namen «Jesus» aussprechen. Und der Mann kam in eine missliche Lage, eine Schlange türmte sich nämlich vor ihm auf und er dachte, sein Leben sei vorbei. In dem Moment fiel ihm ein, Jesus zu sagen, und, hier inszenierte Beat ein wenig und stotterte (bewusst): «JJjjjj……esus». Bei diesem halb gestotterten Wort lief mir ein Schauer, nicht über den Rücken, sondern übers Gesicht, dann den ganzen Kopf und die Schultern. Als hätte mir jemand Wasser ins Gesicht geschüttet, aber ohne meinen Atem einzuschränken. Ich bin sicherlich jemand, die sich schnell auf solche Suggestionen einlässt, und doch fiel mir auf, wie es (mir) in dieser Gemeinde – die solche Erlebnisse nicht einmal predigt! – einfach so passierte, während Gemeinden mit grösserem Fokus auf den Heiligen Geist auf Musik zurückfallen mussten, um ähnliche Erlebnisse (bei mir) zu erzeugen. Dass mir die GfC sympathisch und familiär, aber nicht zu familiär war, und dies entsprechende Erlebnisse begünstigten könnte, muss aber angemerkt werden. Beat betonte, dass das laute Bekennen der Schlüssel zum Erfolg wäre, denn die Schlange fiel hinunter. Ich bin nicht mehr sicher, aber ich glaube, sie starb auch gleich.

Der Punkt der Predigt

Der Prediger nannte den Hauptgedanken seiner heutigen Predigt, nämlich: «Formulierst du ganz klar vor Gott, wie du dich fühlst? Sagst du Gott ganz klar, was du brauchst?» Den Ansatz der offenen Kommunikation gegenüber Gott war sowohl sympathisch als auch bekannt. Wenn man genügend reflektiert über seine Gefühle sprechen kann, um sie Gott mitzuteilen, kann dies auch in Beziehungen mit anderen Menschen helfen. Beat kommentierte auch «Ihr habt nicht, weil ihr nicht bittet», wie es im Jakobus 4, 2 steht. Dabei ist aber nennenswert, dass er dem Wohlstandsevangelium bewusst widersprach. Zu sagen «Gott, jetzt wandle ich schon dreissig Jahre mit dir und bin immer noch kein Millionär» sei unpassend, denn das sei nicht Gottes Plan. Ausserdem erzählte er die Geschichte des verlorenen Sohnes, der nach Hause kam und für den ein Fest gefeiert wurde, wobei der daheimgebliebene Sohn gar nicht erfreut darüber war. Ich bin nicht mehr ganz sicher, wo die Geschichte hineinpasste, aber ich mag die Geschichte. Zur Frage, ob wir Gott ganz klar kommunizierten, was wir denn wollten, nannte er eine Liste, die in etwa so ging: «Will ich frei sein von Neid, Eifersucht, […], oder von modernen Sünden, wie Pornographie, oder…anderes.» Dass er hier nur Pornographie als moderne Sünde, zusätzlich zu den (weiterhin existieren) «älteren» Sünden nannte, fand ich einerseits unterhaltsam und andererseits spannend. Die Verteufelung von Pornographie ist mir nichts Neues, aber dass er nichts anderes nannte, das erstaunte mich.

Ein vorbildlicher Grossvater und eine Gebetsliste

Am Ende der Predigt erzählte er noch von seinem Grossvater, der, moderner ausgedrückt, cool war, aber auf eine christliche Art. Eben ein Vorbild – Beats Vorbild, wie er erzählte -, jemand, zu dem man aufguckt, und dazu noch bescheiden. Jemand ging zu ihm und wollte sich von ihm heilen lassen (durch Gebet), da sie von anderen gehört hatte, dass der Grossvater sie durch Gebet geheilt habe. Jemand anderes sei auch zu ihm gegangen, aber nicht, um sich vom Grossvater heilen zu lassen, sondern weil der Grossvater Ältester war und in der Bibel steht, man solle zu den Ältesten gehen, und sie um Gebet bitten. Differenz: Eine legte ihr Vertrauen auf den Menschen, und wurde nicht geheilt, die andere legte das Vertrauen auf Gott und wurde geheilt. Wie ich später feststellen würde, führt die GfC auch heute noch das Ältestengebet auf Nachfrage der Kranken durch, aber mit der klaren Botschaft, dass Gott Heilung schenkt oder nicht schenkt, und sie nur ein Glaubensgebet halten. Fazit der Predigt war, dass klare Gebetsziele verfolgt werden sollten. Ein wenig unterhaltsam finde ich dies schon. Ich stelle mir vor, Gebetsziele in kurz-, mittel- und langfristig aufzulisten, jede Woche über die kurzfristigen, jeden Monat die mittelfristigen, und jedes Jahr die langfristigen zu besprechen. Es würde mich persönlich vermutlich glücklich machen, die ganze Zeit neue Listen aufzusetzen, aber die Vorstellung ist doch unterhaltsam, wenn sich die Gemeinde regelmässig trifft und eine Liste von Zielen aufsetzt. Das war aber nicht Beats Idee und ist nur meine eigene Weiterführung eines Gedankens seiner Predigt. Beat betonte zum Schluss auch, die Gemeinde solle «gemeinsam eins sein», und dann gebe Gott.

Ein Outing, und ein Vergleich

Nach der Predigt ging es weiter mit Gesang – wir durften wieder wählen – und Gebet – wer wollte, sprach. Wir empfingen den Segen und der Gottesdienst endete, doch es gab noch Zvieri. Ich erzählte also Beat von meinem Kommen – genau genommen erzählte ich den freikirchenkompatiblen Grund – und, weil es mir fast zu sympathisch war, informierte ich ihn auch, dass der zweite Grund für mein Kommen das Schreiben eines Berichts für Relinfo war. Da bedankte er sich fürs «Outen» und beantwortete während dem Zvieri und auf der Zugfahrt – wo wir in die gleiche Richtung fuhren – meine Fragen zu den Unterschieden GfC und EBG. Dabei meinte er, man verstehe die Gemeinde nicht, wenn man nur einmal komme. Das mag für alle Gemeinden gelten, aber ich muss sie ja nicht voll und ganz verstehen, um eine erste Einschätzung darzubringen. Als erstes Fazit kann ich sagen: Die im ersten Abschnitt genannten Aspekte, die wie anderes – beispielsweise die korrekte Kleidung in jeder Lebenssituation – anno dazumal vom EBV hart durchgeregelt wurden, die sind in der GfC nicht mehr. Die Mädchen trugen Kleider und Hosen, offene Haare, selbst Schmuck, auch wenn mir letzteres erst gar nicht auffiel (Beat machte mich darauf aufmerksam). Dass ältere Frauen, die vermutlich schon lange vor den Reformen in der GfC waren, sich an die Kleiderordnung hielten, ist nicht weiter erstaunlich. Die Kinder, deren Vater Beat und mich netterweise zum Bahnhof fuhr, diskutierten sogar darüber, ob es «Nauruto» oder «Naruto» heisst (es ist «Naruto»). Bei diesem Anime ist in der EBG wieder eine Verteufelung vorstellbar – Pokémon wurde ähnlich verteufelt -, und hier diskutierten Kinder einfach vorbehaltslos und ohne Kommentar der Erwachsenen über etwas, das, wie ich vermute, in der EBG auf merkwürdige Blicke stossen würde. Im späteren Gespräch mit Beat stellte ich fest, dass sie dies auch nicht wollten. Eltern sollen einfach genau hinsehen, was ihre Kinder anschauen, aber die GfC will bewusst keine Gesetze mehr.

Geistesgaben

Spannend war Beats Antwort, als ich ihn fragte, wie sie zu Geistesgaben stünden. Er antwortete dazu, dass sie glaubten, dass die Geistesgaben, die in der Bibel vorzufinden waren, existierten. Heisst: Sie glauben daran, dass Geistesgaben existieren, und dass Gott diese so verteile, wie er will, mit Verweis auf 1. Korinther 12, 11, Lutherbibel 2017: «Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist, der einem jeden das Seine zuteilt, wie er will.» Hier verfolgt die EBG eine andere Interpretation, nämlich (sinngemäss) «wir leben in der Endzeit, und es steht, in der Endzeit werden die Geistesgaben verstummen, also gibt es sie heute nicht mehr».

Ein weiteres Gespräch

Ich fand den Gottesdienst der GfC sehr angenehm, sowohl wegen der Familiarität, aber besonders auch, weil Themen wie Homosexualität, trans Identitäten und Abtreibungen weder erwähnt noch verteufelt wurden. Gleichzeitig ergab sich aber doch die Frage, was denn die Position der GfC dazu ist. Und so kam es, dass ich nicht lange danach Beat kontaktierte und ihm meine Fragen am Telefon stellte. Klar wurde schnell, dass er keine detaillierten Auskünfte geben wollte – und mir auch bestätigte, dass er bewusst schwammig blieb -, und doch möchte ich gern schreiben, was er mir mitteilte.

Die Brenner: Homosexualität, trans Identität, und Abtreibungen

In erster Linie betonte Beat bei der Frage nach Homosexualität, dass die GfC offen für alle sei. Wer kommen will, wird willkommen geheissen. Gleichzeitig predigen sie aber auch «biblische Werte». Wer genau in welcher Situation wie genau reagiere, könne er nicht sagen. Ich fragte also, was er machen würde, wenn jemand, der in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt, sich taufen lassen würde. Würde er diese Person taufen? Er antwortete darauf sehr entschieden, dass dies nicht Kriterium für die Taufe wäre. Kriterium sei, dass diese Person an Jesus glaube und sich zu ihm bekenne. Auf weiteres Nachbohren erklärte er mir, dass die Person all ihre Lebensbereiche Jesus unterstellt haben würde. Er betonte bereits hier, dass die Gesetzlichkeit, die uns beiden bekannt ist – mir aus der EBG, ihm aus dem EBV – nicht etwas ist, das die GfC vertreten will, und dass jede Person selbst von Christus geführt werden soll. Auch betonte Beat, dass er sein eigenes Kind oder Enkelkind unabhängig von seinem Lebensstil lieben und nicht verstossen würde. Ausserdem beruhe eine gesunde Beziehung auf mehr Kommunikation, man spräche ja nicht nur über eine Sache, sondern über tausend verschiedene. Zumindest, eben: in einer gesunden Beziehung. Bei den Konversionstherapien (die er immer «Konversationstherapien» nannte) kommentierte Beat, dass diese von gewissen Medien enorm thematisiert worden waren, und dass sie eine solche Therapie, wie sie in diesen Medien dargestellt werde, entschieden nicht anbieten oder unterstützen würden, oder dies jemals getan hätten. Es entspräche auch nicht ihrem Verständnis. Wer eine Veränderung im eigenen Leben wünsche, der könne Gott darum bitten. Aber es basiere auf reiner Freiwilligkeit und sie möchten weder Druck noch Zwang ausüben.

Ich fragte weiter und erkundigte mich nach ihrer Einstellung gegenüber trans Identitäten. Da fragte Beat nach, was genau ich meinte, und ich verwendete erneut das Beispiel des eigenen Kindes oder Enkelkindes, wenn sich dieses bei ihm outen würde und ihm erklärte, dass es sich nicht mit dem Geschlecht identifiziere, in dem es geboren wurde. Seine erste Reaktion darauf war, dass er die Gefühle anderer Personen respektieren möchte, und dass diese die Freiheit haben sollen, Veränderungen durchzuführen, auch wenn er selbst diese nicht vertrete. Ob er die neuen Pronomen dann auch wirklich verwenden würde, blieb für mich unklar. Was er aber kritisch sähe, sei eine Beeinflussung von Minderjährigen. Mit dem Gefühlschaos und den ständigen ändernden Meinungen, die bei Jugendlichen durchaus auftreten, wäre ein solcher Einfluss «zum trans sein» für ihn nicht vertretbar. Ich möchte hier durchaus anmerken, dass eine Geschlechtsumwandlung immer noch genügend strikt geregelt ist, dass man sie nicht einfach spontan im Vorbeilaufen organisieren könnte. Viele meiner Bekannten mussten regelrecht darum kämpfen, was ihnen viel Energie nahm.

Die Frage nach Abtreibung und deren Legalität beantwortete Beat, ohne eine halbe Sekunde zu zögern, mit «Wir sind klar fürs Leben». In der Schweiz ist es legal, und dies würden sie respektieren sowie die Freiheit anderer Personen, selbst abzutreiben.

Drama bei der Abspaltung?

Ich erkundigte mich nach der Abspaltung der EBG, und ob es «Differenzen» – als euphemistisches Wort für Streit – gegeben hätte. Beat war Gemeindeleiter – Präsident der GfC– zur Zeit der Reformen, der Namensänderung, und als die EBG sich abspaltete. Er erzählte mir, dass sie Differenzen hatten, aber eben nur im wörtlichen Sinne: Sonst hätte es auch keine Abspaltung gegeben. Die beiden Gemeinden hätten die Abspaltung friedlich geregelt, es fielen keine bösen oder lauten Worte, und die Differenzen scheinen primär aufs Gesetzliche ausgelegt zu sein. Ich stellte mir dabei vor, wie meine EBG-Bekannten mit Beat und anderen GfClern an einen Tisch sassen, vor und nach der Diskussion gemeinsam beteten, jeder mit der Bibel auf dem Tisch und, wenn es eine Diskussion gab, teils auch in der Bibel nachgeblättert wurde. Es war leider nicht so, aber sie seien an einem Tisch gesessen und hätten respektvoll, wenn auch angespannt, diskutiert, wie sie was machen wollten. Interessant fand ich, dass das ehemalige GfC-Lokal in Wetzikon an die EBG überging, und die GfC sich ein neues Lokal suchen musste. Beat erklärte mir, dass es bei diesem Lokal schnell klargeworden wäre: Der Vermieter besuchte die EBG und kündigte der GfC. Dies akzeptierte die GfC. Die EBG kaufte ihnen das Inventar ab, und Beat erzählte, dass die GfC auch den Mietzins, den sie üblicherweise noch länger hätten zahlen müssen, nicht mehr zahlen müssten. Nach den exakten rechtlichen Bedingungen erkundigte ich mich nicht. Ich fand es aber doch spannend, wie es ablief. Ausserdem, so erzählte mir Beat, sähe er sowieso EBG-Bekannte am Samstag. Das Konfirmationslager-Equivalent, das bei ihnen «Unterweisung(skurs)» heisst, ende, und sie hätten doch bei vielen Familien noch Verwandte in der EBG. Ich bin ja mal gespannt, ob ich später von der EBG was zur GfC höre.

Biblische Freiheit

Die nächste Frage bezog sich auf die Kinderliteratur mit Fantasyelementen. In der EBG war das klar nicht akzeptiert, meine Harry Potter Bücher musste ich damals wegwerfen. Beat betonte wieder, dass sie bewusst nicht gesetzlich wären, und dass sie Eltern ermunterten, genau hinzusehen, was ihre Kinder konsumieren. Hier galt wieder die Freiheit jeder Person. Die Entwicklung des Kindes sei zu berücksichtigen, was ja bei Filmen mit Altersangaben, wie beispielsweise «grusligen» Filmen, bereits ein Stück weit gemacht würde. Neben der bewusst schwammig gehaltenen Antwort gab es nur eines, das er klar kommunizierte: Okkultes sei in seinem Ursprung ganz klar gegen Gott. Dabei ist nennenswert, dass er nicht alles ansatzweise Okkulte in diese Ecke stellte.

Während der Beantwortung meiner Frage holte Beat seine Bibel und entschuldigte sich kurz dafür, dass es eben die Lutherversion (mit Luthervokabular) war. Ich verwende hier die Lutherbibel 2017. Er las vor, aus Galater 5, Vers 13: «Ihr aber, Brüder und Schwestern, seid zur Freiheit berufen. Allein seht zu, dass ihr durch die Freiheit nicht dem Fleisch Raum gebt, sondern durch die Liebe diene einer dem andern.» und bezog sich auf 1. Korinther 6, Vers 12 (wo ich aber, wie Beat meinte, noch weiterlesen soll): «Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich.» Ich merkte, dass er dieses Konzept schon von Anfang an meinte, jedes Mal, wenn er kommentierte, dass die Fragen sehr gesetzlich seien.

Beat fügte auch an, wer Sünde predige, müsse auch christliche Freiheit predigen können. Er betonte die Wichtigkeit dieser christlichen Freiheit, und dass die Gesetzlichkeit, die uns beiden, wenn auch auf eine etwas andere Art, durchaus bekannt ist, zwar gut gemeint ist, aber nur zu Leid und Not geführt habe. Das kann ich bestätigen: Wenn man für jede einzelne Situation seines Lebens eine Regel hat, dann wird einen irgendwann mal schwindlig. Besonders, wenn man niemanden zuhause hat, der es einem sagt, sondern nur von anderen darauf aufmerksam gemacht wird. Und auch wenn man jemanden hat: An alles halten kann man sich nie. Und dann leidet man an der «Regelverletzung». Ich verstehe, wie die GfC sich sehr bewusst von diesem Ansatz distanzieren will. Mich hat es auch immer belastet.

Der EBV stammt ursprünglich aus dem Blauen Kreuz, wo Prediger Fritz Berger sich vom Blauen Kreuz abspaltete und den Evangelischen Brüderverein, erst «Freies Blaues Kreuz des Kantons Bern», gründete. Berger war einst alkoholsüchtig, und so blieb der EBV lange sehr alkoholfeindlich. Die GfC verfolgt diesen Ansatz nicht mehr und erklärt, dass Alkohol zu trinken grundsätzlich nicht sündig ist. Wer aber merkt, dass er in eine Sucht gerät, dem würde Beat – wenn diese süchtige Person auf ihn zukommt – Alkoholabstinenz empfehlen. Beat selbst ist und war abstinent, was er auch in der Predigt erzählte.

Ein Fazit

Mein Eindruck ist, dass die GfC in ihrer Vergangenheit sehr viele Erfahrungen damit gemacht hat, was passiert, wenn man so viele Regeln hat und so klar definiert, was inwiefern wie stark sündhaft ist. Davon will sie sich jetzt, auch im Rahmen der Modernisierung, klar distanzieren. Sie glauben nur an das, was klar in der Bibel steht, und alles andere möchten sie nicht definieren. Dabei würde ich diesen Ansatz wie folgt in einem Beispiel darstellen: In der Bibel steht nicht explizit, ob ein schwuler Mann in gleichgeschlechtlicher Beziehung sich taufen lassen darf, oder eben nicht. Also sagt die GfC auch nicht, dass es nicht erlaubt wäre. Was nicht geregelt ist, das wird den einzelnen Personen und Gottes Führung überlassen. Ich denke, das ist auch ein Grund, warum mir persönlich die GfC so sympathisch ist, auch wenn ich viele Grundeinstellungen der Gemeindebasis vermutlich nicht mehr teile. Wer sich die Finger an einem Gesetz (nicht juristisch gemeint) verbrennt, wie ich es auch erlebt habe, der schätzt eine bewusste Distanz zum Gesetzlichen mehr als einfach weniger Gesetze.

Angela Heldstab, 26.07.2023

Lexikoneintrag GfC