Herrlichkeits- und Wundergottesdienst am 20. Januar 2024 im Hirschensaal in Hinwil

Stets auf der Suche nach dem grösseren Wunder

Glory Life ist eine Gemeinde, die sich in ihrer wechselvollen Geschichte in einem Schlingerkurs am radikalen und wundersüchtigen Rand der Freikirchenszene bewegte. 1995 wurde sie von Georg Karl und seiner Frau Irina gegründet. Georg Karl war als junger Mann, wie er selbst berichtet, auf der Suche nach einem Glauben, der sich in konkreten Wunderwirkungen erweist, und kam von der evangelischen Kirche in erweckliche Kreise, dann weiter in charismatische Gefilde, um schliesslich 1992 bei der damaligen Biblischen Glaubens-Gemeinde BGG Stuttgart zu landen. Nach Abschluss der Bibelschule eröffneten die Karls im Jahr 1995 ihre eigene Gemeinde unter dem Namen «Christliches Lebenszentrum Tübingen-Reutlingen», die sich als Teil der BGG Stuttgart verstand. Zu dieser Zeit vertrat die BGG die Lehren der Wort-des-Glaubens-Bewegung, die besagen, dass den Gläubigen nicht nur Erlösung, sondern auch Gesundheit und Wohlstand geschenkt sei, und dass sich das Reich Gottes bereits unter den Gläubigen verwirkliche. Im Jahr 2006 wechselte die Gemeinde der Karls von der BGG Stuttgart zur Wort+Geist-Bewegung um Helmut Bauer, wo sich zu dieser Zeit vermeintlich grössere Wunder ereigneten. Die Wort+Geist-Bewegung lehrt, dass in der Gemeinde das Reich Gottes bereits ausgebrochen sei, indem die Gläubigen mit ihrem Wort und ihrem Geist Realitäten schaffen könnten. Die Gemeinde von Georg und Irina Karl nannte sich nun «Wort+Geist Zentrum Stuttgart». Dem Vernehmen nach soll es schon bald zu Spannungen zwischen Georg Karl und seinem nunmehrigen Vorgesetzten, dem selbsternannten «Völkerapostel» Helmut Bauer gekommen sein. Bei gemeinsamen Gottesdiensten habe Helmut Bauer mit seiner Ausstrahlung und seinem Charisma Georg Karl komplett in den Schatten gestellt, so wird berichtet. Ab 2010 traten nun bei Wort+Geist Stuttgart Phänomene auf, die an den Toronto-Segen Mitte der Neunziger Jahre erinnerten: Lachen, Umfallen (sog. «Ruhen im Geiste»), Heilungsberichte in grosser Zahl. Als Helmut Bauer sich zum «wiedergekommenen Christus im Fleisch» erklärte und die Verbindlichkeit von Ehen aufhob, war es Georg und Irina Karl zu viel. Sie lösten sich von Wort+Geist, benannten ihre Gemeinde in «Glory Life Zentrum» um und begründeten eine eigene Bewegung unter dem Namen «Glory Life Netzwerk». Als «Pastor Georg» tritt Georg Karl nun als Leiter seines eigenen Verbandes auf.

Wunder sollen die Gegenwart der Herrlichkeit Gottes beweisen

Die Gegenwart des Reiches Gottes in der Gemeinde wird bei Glory Life nach wie vor gelehrt, jetzt unter dem Begriff der «Herrlichkeit», der «Glory». Im «Glory Life Netzwerk» sei die Herrlichkeit Gottes am stärksten wirksam, «der Himmel bricht herein», wie es auf der Website des Netzwerks programmatisch heisst. In dieser Herrlichkeit hätten, so die Lehre, Krankheiten und Probleme keinen Platz. Wer richtig glaube, dessen Krankheiten seien von Jesus am Kreuz getragen worden, Gläubige könnten in Anspruch nehmen, geheilt zu sein. Die zahlreichen Heilungsberichte, die in den Gottesdiensten von Glory Life gesammelt werden, dienen als Erweis der Gegenwart der Herrlichkeit Gottes. Nur wo Wunder in so hoher Zahl geschähen, wie bei Glory Life, nur da sei die Herrlichkeit Gottes gegenwärtig. Menschen, die im Sinne von Glory Life gläubig sind, könnten, so der Glaube, auch selbst Wunder schaffen, indem sie etwa Heilung proklamierten. Dies würde aber, so die Einschränkung, nur funktionieren, wenn die Proklamationen in Übereinstimmung mit dem Heiligen Geist stünden. Zudem müsse der Glaube der Gläubigen stark genug sein. Den grössten Glauben habe, so erklären es Menschen, die zu Glory Life gehören, «Pastor Georg» Karl selbst. Deshalb würden Gottesdienste mit ihm, Worte von ihm und Berührungen durch ihn besonders wirksam sein.

Die Endzeit-Armee Gottes und die Herrlichkeits- und Wundergottesdienste

Die Gläubigen werden aufgerufen, in ihrem Umfeld Wunder zu wirken und damit den Glauben an die Gegenwart der Herrlichkeit Gottes in die Welt zu tragen. Als «Endzeit-Armee Gottes» sollen sie das Reich Gottes ausbreiten, nicht mit Waffen, sondern mit Wundern. Finden sich mehrere Gläubige in einer Region, tun sie sich zu einem Glory Haus zusammen. In der Schweiz existieren zurzeit drei Glory Häuser, in Grenchen, in Hirzel und in Wetzikon. Glory-Häuser organisieren in ihrer Region «Herrlichkeits- und Wundergottesdienste», zu denen Pastor Georg und seine Frau Irina eingeladen werden. So waren die Karls im Mai 2023 im Schützenmattsaal in Hirzel zu Gast. Der Saal war, wie es die Karls auf ihrer Facebook-Seite beschrieben, «vollgepackt mit Menschen, die sich voller Hunger nach dem Wirken Gottes ausstreckten».

Herrlichkeits- und Wundergottesdienst im Hirschensaal in Hinwil

Entsprechend hoch sind unsere Erwartungen, als wir am 20. Januar um 15.00 Uhr den Herrlichkeits- und Wundergottesdienst besuchen, der im Hirschensaal Hinwil stattfindet. Hinwil liege in der Nähe des Zürichsees, war auf der Website von Glory Life zu erfahren – vielleicht von Filderstadt aus gesehen, dem heutigen Zentrum der Bewegung. Schon bei der Anfahrt sind wir erstaunt, keine strömenden Heerscharen von Wundersuchenden anzutreffen. Auf dem Parkplatz des Hirschen ist ein Platz reserviert für «Pastoren». Auf das in Erfolgsberichten aus der Wort-des-Glaubens-Bewegung öfter auftauchende Parkplatz-Freiglauben resp. Parkplatz-Freiproklamieren wollen sich die Karls also nicht verlassen. Dies scheint erstaunlich angesichts der geballten Präsenz an Herrlichkeit, die insbesondere in «Pastor Georg» zugegen sein soll.

Volle und weniger volle Säle

Als wir den Hirschensaal wenige Minuten vor 15.00 Uhr betreten, sind noch rund 100 Plätze frei, die sich auch durch später Hinzukommende nie ganz füllen werden. Der Hirschensaal ist, offenbar im Gegensatz zum Schützenmattsaal in Hirzel im Mai, keinesfalls «vollgepackt», sondern könnte noch Dutzenden zusätzlichen Besuchenden Raum bieten. Insgesamt schätzen wir die Zahl der Anwesenden auf rund 250 Menschen. Wir erinnern uns zurück an eine Veranstaltung mit Benny Hinn im Jahr 1994, der damals mit ähnlichen Wunderverheissungen das Hallenstadion in Zürich gefüllt hat. Der Zulauf war da um ein Vielfaches grösser als jetzt dreissig Jahre später in Hinwil. Dasselbe gilt für andere Wunder-Phänomene der vergangenen Jahrzehnte: Zu den Toronto-Segen-Veranstaltungen bei Vineyard Bern um 1995 kam das Publikum zahlreicher, ebenso zum Lakeland-Blessing im Jahr 2008 in der Stiftung Schleife in Winterthur. Dass die Zahl der Wundersuchenden in der Freikirchenlandschaft der Schweiz in den letzten Jahrzehnten zugenommen hätte, das kann angesichts der freien Plätze im Hirschensaal in Hinwil nicht behauptet werden.

Der harte Kern der Pastor-Georg-Fans

Als «Pastor Georg» im Rahmen der Veranstaltung nachfragt, ob die Anwesenden einen bestimmten Heilungs-Erfolgsbericht bereits kennen – es handelt sich um eine Heilung von Krebs – da wird klar, dass rund 40% der Menschen schon andere Veranstaltungen mit den Karls besucht haben und möglicherweise bereits in Hirzel dabei waren. Es scheint in der Deutschschweiz einen harten Kern von rund 100 eingefleischten Pastor-Georg-Fans zu geben, die jeweils seinen Veranstaltungen in der Schweiz nachfahren, aber gelegentlich, wie zu vernehmen war, auch in die Zentrale nach Filderstadt reisen.

Herrlichkeit ganz Retro?

Zu Beginn des Gottesdienstes werden Lobpreislieder gespielt, vorgesungen von Irina Karl. Nach der Erfahrung von Relinfo teilen sich die Singenden in Lobpreisbands in zwei Gruppen: Die einen singen aufgrund ihres Talents, die anderen, weil sie Ehefrau oder Kind des Leiters sind. Der Musikstil bei Glory Life erinnert uns an das Lobpreis-Liedgut der Achtziger- und Neunzigerjahre. Dazu werden von drei Teammitgliedern Flaggen in unterschiedlichen Farben gezeigt, wie das in der neocharismatischen Szene ums Jahr 2000 herum trendy war. In den meisten Gemeinden ruhen die Flaggen heute in den Kellern. Nicht so bei Glory Life. Hier wird vor allem mit Gold beflaggt. Die Farbe Gold bedeutet nach der damaligen Flaggen-Logik – wenig überraschend – «Herrlichkeit». Dass eine Gemeinschaft, die den hereinbrechenden Himmel darstellen will, sich so Retro gibt, überrascht uns. Allerdings passt es zum Altersdurchschnitt der Anwesenden, der deutlich über 50 Jahre liegen dürfte.

Georg Karl, der uncharismatische Charismatiker

Georg Karl ist, erkennbar an seiner typischen braunen Lederjacke, zu Beginn des Gottesdienstes schon im Saal zugegen. Die Chance eines dramatischen Auftritts nach längerer Aufwärmzeit des Publikums, wie sie andere Pastoren mit ähnlicher Wunderbotschaft sonst wirksam einsetzen, lässt er ungenutzt. Dieser Verzicht passt allerdings auch zur Aura, die «Pastor Georg» umgibt. Trüge er nicht seine immer gleiche braune Lederjacke, Georg Karl könnte von seiner Ausstrahlung her jederzeit in einer Fernsehwerbung den freundlichen Versicherungsvertreter geben, der alle kennt und sich um alles kümmert. Niemand käme auf die Idee, ihn in einem Film als Reformator, als Ordensgründer oder als Prophet besetzen zu wollen. Etliche Gemeindeleitende in der Schweiz würden Georg Karl in Sachen Charisma ähnlich an die Wand spielen wie Helmut Bauer das offenbar tat. Vermutlich ist aber genau dieses Fehlen einer besonderen Ausstrahlung bei «Pastor Georg» attraktiv für sein Publikum, das ja mit charismatischen Figuren wie Peter Wenz, Leo Bigger, Erich Engler oder gar Jella Wojacek und Helmut Bauer bereits seine Erfahrungen gemacht hat. Wenn der Büro-Heini von nebenan zu Gottes Wundertäter in unserer Zeit wird, weshalb soll denn nicht auch ich von Gott zu besonderem Dienst erwählt sein können?

Alle wirken Wunder, alle sprechen in Zungen

Konsequenterweise vertritt das Glory Life Netwerk die neocharismatische Gaben- und Salbungstheologie, welche in anderen Organisationen die besondere Ausstrahlung von wunderwirkenden Leitungspersonen begründen soll, ausdrücklich nicht. Jede gläubige Person kann Wunder wirken, und auch jede Person kann in Zungen reden, «in Sprachen», wie «Pastor Georg» jeweils sagt. «Sprecht in Sprachen», werden die Anwesenden mehrfach aufgefordert. Auch Georg Karl spricht gern «in Sprachen» ins Headset: «Schakkara Lalalala Nananana…» «Korra Bassika Labaschika…» Die Varianz der Silben ist nicht sehr hoch. Falls es sich wirklich um eine oder mehrere Sprachen handeln sollte, würde «Pastor Georg» immer wieder in etwa dasselbe sagen. Die Lautfolge «Schakkara», die Georg Karl häufig wiederholt, bedeutet in der altbabylonischen Sprache «betrunken, trunksüchtig». Unnüchtern war die Veranstaltung auf jeden Fall.

Tote Oma wiederbelebt – oder doch nicht?

Anschliessend an die Lobpreiszeit kommt eine Phase, in welcher Gottes Herrlichkeit Wunder wirken soll. «Pastor Georg» berichtet vom Erlebnis eines Anhängers, der in der Pflege arbeitet. Eine ältere Frau, Georg Karl spricht von einer «Oma», sei auf der Toilette tot zusammengebrochen und darauf vom Personal auf ihr Bett gelegt worden. Dann sei der Glory-Life-Anhänger dazu getreten und habe der «Oma» seine Hand aufgelegt, worauf die Dame wieder zu leben begann. Das vermeintliche Wunder wird vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen. Tatsächlich kommt es in Seniorenzentren nicht ganz selten vor, dass ältere Menschen auf dem WC kollabieren und dann liegend im Bett wieder zu sich kommen – auch ohne, dass eine Wunderwirkung im Spiel wäre. Das geschilderte Wunder steht beispielhaft für zahlreiche andere Berichte, die an diesem Abend zu hören sind. Erfreulich ist, dass es den betroffenen Personen nachher besser geht, oder sie sich zumindest besser fühlen. Ein übernatürliches Wunder ist zur Erklärung des Berichteten jeweils nicht notwendig.

Begeistertes Publikum

Das Publikum greift jede Wunder-Behauptung mit Freuden auf. «Halleluja»-Rufe hallen durch den Hirschensaal, und eine Frau juchzt jeweils wie in einer Alpenmilch-Schokolade-Werbung. Manche Geheilten steigern sich in eine Euphorie hinein, so eine Frau, die sich von Polyneuropathie in den Füssen geheilt fühlt: «Ich habe neue Füsse – Jetzt kann ich mir ein Auto kaufen!». Als «Pastor Georg» die Anwesenden aufruft, sich gegenseitig zu heilen, machen fast alle mit. Bei Benny Hinn im Jahr 1994 wurden die Heilungssuchenden angewiesen, sich selbst die Hand auf die kranke Körperstelle aufzulegen. Georg Karl ist dreissig Jahre später viel unbekümmerter: Er fordert seine Leute auf, sich gegenseitig anzufassen. Manche fühlen sich damit, wer möchte es ihnen verdenken, sichtlich unwohl. Doch nur wenige haben den Nerv, sich dieser handgreiflichen Übung zu entziehen. Dann kommt die Weisung, für einander in Sprachen zu beten. Auch da ist Ratlosigkeit spürbar. Manche lösen das Problem, indem sie Georg Karl imitieren: «Schakkara Lalalala Nananana…».

Halb schiebt er sie, halb sinken sie hin

Wenn sich Wundersuchende bei Pastor Georg angestellt haben, um sich von ihm die Hände auflegen zu lassen, dann wartet er erst, bis sich eine Helferin oder ein Helfer hinter die betreffende Person gestellt hat. Schnell wird deutlich, weshalb: Bei Glory Life zeigt sich das schon vom Toronto-Segen her bekannte «Ruhen im Geiste». Betroffenen wird vom Pastor die Hand auf die Stirn gelegt, dann wird gebetet, als Reaktion sacken viele Wundersuchende nach hinten, werden von den Helfenden aufgefangen und auf den Boden gelegt, wo sie länger oder auch kürzer «im Geiste ruhen». Als «Pastor Georg» die Anwesenden in den hinteren Reihen auffordert, nach vorn zu kommen, um das Geschehen genauer beobachten zu können, folgen wir gerne. Wir erhalten den Eindruck, dass Georg Karl beim Handauflegen mitunter einen gewissen Druck nach hinten ausübt. Ein junger Mann «ruht» nicht «im Geiste», sondern zeigt in unseren Augen Anzeichen eines üblen Tripps oder einer psychotischen Episode. Helfende müssen sich um ihn kümmern.

Schöpferische Wunder?

Die Erfolgsberichte des Nachmittags entsprechen weitgehend dem Standard anderer Heilungsveranstaltungen. Geheilt werden vor allem Schmerzen und Bewegungseinschränkungen. Dazu kommt ein Bericht von der Heilung eines fortgeschrittenen Krebsleidens. Hier bleibt offen, ob es sich um ein Wunder handelte, oder um eine sog. Spontanremission, wie sie auch bei fortgeschrittenen Krebsleiden gelegentlich vorkommt. Über diese Standards hinaus gehen die von Pastor Georg so genannten «Schöpferischen Wunder». Dabei handelt es sich um das Ersetzen von Metallteilen im Körper durch organisches Gewebe. Dieser Typus Wunder tritt im Dienst von Glory Life öfter auf. Dass je ein Fall medizinisch verifiziert und publiziert wurde – was eigentlich ohne weiteres möglich sein sollte – wäre uns nicht bekannt. Auch am Heiligkeits- und Wundergottesdienst in Hinwil behauptet eine Person, dass Metall in ihrem Körper nun ersetzt worden sei. Überprüft kann das vor Ort nicht werden. Falls beim Nachuntersuch im Spital das Metall wieder an seinem Platz ist, muss das nach der Logik der Wort-des-Glaubens-Bewegung nicht gegen eine Heilung sprechen. Vielleicht ist diese ja zwischenzeitlich erfolgt, und ging danach aber wieder verloren, weil die betreffende Person zu wenig geglaubt hat.

Schmerz, lass nach!

Die besondere Präsenz der Herrlichkeit Gottes in «Pastor Georg» soll sich nicht nur in Heilungen zeigen, sondern auch in «Worten der Erkenntnis»: Georg Karl behauptet, von Gott Hinweise zu erhalten, wer als nächstes geheilt werden sollte. So erhält «Pastor Georg» den angeblich göttlichen Wink, dass sich unter den 250 ein Wunder suchenden Anwesenden, davon die Hälfte über 50 Jahre alt, Menschen befinden, die Schmerzen im Rücken oder am Bewegungsapparat haben. Selbstverständlich melden sich die Betroffenen zahlreich und lassen sich von «Pastor Georg» von ihrem Leiden befreien, indem er die Menschen berührt, die Macht des Leidens über den Menschen bricht oder den Geist des Leidens austreibt. Nach ihrem Zustand nach erfolgter Behandlung gefragt, geben viele an, dass sie auf der Schmerzskala nun weniger Schmerzen haben. Damit ist Georg Karl aber nicht zufrieden. «Gott macht keine halben Sachen». Wieder wird gebrochen und ausgetrieben. Manche Betroffene behaupten nachher, keine Schmerzen mehr zu haben. Diejenigen, die sich immer noch nicht ganz geheilt fühlen, lässt «Pastor Georg» ziehen. Die vollständige Heilung könne auch später erfolgen.

Proklamierte Heilung vs. erfahrene Heilung

Manche Menschen, die sich als geheilt erklären, fordert «Pastor Georg» auf, ihre wiedergewonnene Beweglichkeit vorzuführen. Eine Person muss schnell hin- und herlaufen. Beim zweiten Mal wirkt sie unsicherer und langsamer. Der Verdacht legt sich da nahe, dass die Schmerzen eher wegproklamiert werden, als dass sie wirklich verschwunden sind. Bei Heilungsveranstaltungen in der Wort-des-Glaubens-Bewegung spielt dieses Phänomen eine wesentliche Rolle. Wer nach vorne tritt, und sich als geheilt erklärt, obwohl seine Symptome weiter andauern, «nimmt die Heilung in Anspruch», worauf sie sich später realisiert, so die Theorie der Wort-des-Glaubens-Bewegung. Symptome sollen weggeglaubt und wegproklamiert werden. Auch Georg Karl vertritt diese Position, wie in online verfügbaren Predigten deutlich wird. Die Realität der medizinischen Diagnose und der Symptome sei die eine Wirklichkeit, die Realität des Glaubens, geheilt zu sein, die andere. Welcher Wirklichkeit nun die Heilungsberichte bei Veranstaltungen von Glory Life entsprechen, ist deshalb jeweils sehr die Frage.

Wahrsage-Spiele

Dass die Voraussage von Schmerzen bei einem Publikum von 250 Personen mit einem Altersdurchschnitt um 50 herum nicht gerade eine gewagte Prognose darstellt, würden vermutlich auch Hardcore-Pastor-Georg-Fans konzedieren. Und auch Georg Karl wird dies bewusst sein. So macht er im Rahmen seiner angeblich von Gott eingegebenen «Worte der Erkenntnis» weitere Aussagen, die konkreter wirken und auf den ersten Blick beeindrucken können. So nennt Pastor Georg die Folge von drei Ziffern – 4,5,3 –, die für eine anwesende Person eine besondere Bedeutung habe. Niemand meldet sich. Da erweitert Pastor Georg die Ziffernfolge auf 4-5-3-7. Nun meint ein jüngerer Herr, dass diese Zahlen in seiner Telefonnummer vorkommen würden. «Pastor Georg» erklärt darauf hin, dass Gott ihm die Telefonnummer des Mannes gezeigt habe, um dem Betroffenen zu sagen, dass Gott ihn kenne und zu sich rufe.

Hier wendet Georg Karl gleich mehrere bekannte Tricks an:

– So bringt «Pastor Georg» mit der Folge von vier Ziffern eine sehr spezifisch wirkende Aussage, die aber nicht wirklich spezifisch ist. Bei 250 Menschen findet sich bei jeder beliebigen Folge von vier Ziffern fast immer irgendjemand, der diese Ziffern aus seiner Telefonnummer, Autonummer, Sozialversicherungsnummer, Kontonummer, seinem Bankkarten- resp. E-Banking-Code oder dem Lottoschein der letzten Woche kennt. Gegebenenfalls könnte es sich ja auch um die Telefonnummer des Partners, der Eltern, der Kinder, des Geschäfts oder der Gemeinde handeln. Zu bedenken ist, dass eine Telefonnummer ja sechs unterschiedliche Folgen von vier Ziffern enthält, eine Autonummer meist drei, eine Sozialversicherungsnummer gar zehn. So kommt jede anwesende Person auf 50 oder mehr Kombinationen von vier Ziffern, was die 10’000 möglichen Varianten gut abdeckt. Fachleute sprechen von «Joker-Aussagen», die (fast) immer zutreffen.

– Eine allgemeine Aussage wird nach ihrer Bestätigung konkretisiert und bleibt dann als spezifischer in Erinnerung, als sie wirklich war. Dass Gott ihm eine Telefonnummer gezeigt habe, sagt Georg Karl erst, als er vom Betroffenen erfahren hat, dass es sich um seine Telefonnummer handelt. In Erinnerung wird aber bleiben: «Wow, Gott teilt Pastor Georg die Telefonnummern von Anwesenden mit».

– Fehlende Überprüfung: Ob die Ziffern tatsächlich der Telefonnummer des Mannes entsprachen, wurde nicht überprüft. An einer Verifikation bestand kein Interesse.

Die Art des Vorgehens von Georg Karl bei diesen «Worten der Erkenntnis» erinnert an die Methodik von Jahrmarktswahrsagenden und von spiritistischen Medien. Dass Georg Karl von diesen gelernt hat, ist unwahrscheinlich. Seit dem Jahr 2010 mit Wunderglauben unterwegs, hat «Pastor Georg» inzwischen längst selbst feststellen können, welche Art von Aussagen zum Erfolg führt.

Trunkenheit des Wunderglaubens

Das Glory Life Netzwerk tritt an mit der Behauptung, durch die Wunder in ihren Gottesdiensten die Herrlichkeit Gottes belegen und verbreiten zu wollen. In kritischer Sicht drängen sich da Anfragen auf. Wenn sich die Herrlichkeit Gottes in der Milderung von Schmerzen zeigen soll, wogegen die Menschen im Rollstuhl und im Pflegebett den Gottesdienst auch im Rollstuhl und im Pflegebett wieder verlassen, wenn eine seltene Spontanremission geschieht, aber die meisten Krebskranken keine Heilung erleben, und wenn bekannte Wahrsage-Tricks vorgeführt werden, dann kann diese vermeintliche Herrlichkeit nicht überzeugen. Müssten Herrlichkeits- und Wundergottesdienste nicht ganz anders aussehen, wenn da tatsächlich Gott am Wirken wäre? In kritischer Sicht fehlt der Glory Life Bewegung die Bescheidenheit und die Demut, ihre Wirkungen realistisch einzuschätzen und die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Lieber steigern sich «Pastor Georg» und sein Publikum gegenseitig hinein in eine Trunkenheit der Selbstüberschätzung und des Wunderglaubens, eine Trunkenheit, die zur Sucht werden kann, wie das Stammpublikum der Veranstaltungen belegt.

Relinfo, 24. Januar 2024

Lexikoneintrag Glory Life Netzwerk