Just Love? – Ein Besuch bei Bhakti Marga «im Herzen Deutschlands»

Gegen 11:00 komme ich auf dem Gelände der Gemeinschaft «Bhakti Marga» an – «im  Herzen Deutschlands» – wie es auf der Internetseite der Gemeinschaft heißt. Ich fahre auf ein großes Areal mitten im Nirgendwo im Taunus, einem Gebirge in der Nähe von Frankfurt am Main. Es dauert nicht lange, bis ich zwischen zwei kleinen Außentempeln hindurch auf den Parkplatz fahre. Ich steige aus und gehe zunächst zu den Tempeln und fotografiere sie. Wird sich jemand daran stören? Bis jetzt hatte ich noch niemanden auf dem Gelände gesehen. Es wirkt ausgestorben und das graue Wetter tut sein Übriges, damit mir ein wenig mulmig wird. Plötzlich kommt eine junge Frau in einem roten Sari an mir vorbei und grüßt mich nett. Mein Handy stecke ich schnell wieder in meine Tasche und sehe mich um. Die Frau entfernt sich langsam von mir, dreht dann allerdings um und fragt mich, ob sie mir helfen könne. Ich sage ihr, dass ich gestern eine Mail geschrieben habe und mir gesagt worden sei, ich könne ohne weiteres vorbei schauen. Dies hatte mich aufgrund der jüngsten Berichterstattung jedoch gewundert: In der ARD-Mediathek befindet sich ein am 27.01.2022 ausgestrahlter Beitrag über Bhakti Marga, in dem mehrere junge Männer von sexuellem Missbrauch durch den «Master» der Gemeinschaft, Vishwananda, berichten. Bereits 2008 tauchen erste Missbrauchsbezichtigungen auf. Auf der deutschen Website von Bhakti Marga findet man seit dem 20.01.22 eine ausführliche Stellungnahme zu dem Beitrag, in dem alle Vorwürfe gegen Vishwananda ausdrücklich zurückgewiesen werden. Es handle sich laut Bhakti Marga und laut Vishwananda selbst, der im Videoformat aussagt, um Lügen von enttäuschten Aussteigern.

Die Frau, mit der ich nun spreche, macht auf mich jedoch einen offenen und ausgesprochen freundlichen Eindruck. Sie führt mich zum Haupteingang. Dort wolle sie für mich eine Führung durch das Gebäude organisieren, sagt sie. Ich trete in eine große Eingangshalle ein, an deren Ende sich eine Rezeption befindet. Insgesamt lässt das Gebäude bei mir den Eindruck einer Jugendherberge entstehen. Dahinter sitzen ein paar Leute und arbeiten. Vereinzelt durchqueren Menschen in gelben Saris die Eingangshalle. Nachdem die Frau mit einigen Menschen hinter der Rezeption gesprochen hat, kommt sie wieder zu mir zurück. Sie berichtet mir, dass sie normalerweise in der Küche arbeite, mich jedoch  gerne herumführt.

Nur ein Kaffeekränzchen?

Zunächst lädt sie mich auf einen Kaffee ein. Eigentlich gibt es im Ashram ein öffentliches Café – das Bhajan Café – aber durch Corona und die abgeschottene Lage des Ashrams sei es zu selten besucht worden und somit zur Zeit geschlossen. Deshalb nimmt sie mich mit in den Speisesaal der im Ashram arbeitenden und lebenden Devotees. Sie bereitet uns einen Kaffee zu und wir setzen uns an einen Tisch. Wir unterhalten uns für circa eine halbe Stunde. In dieser Zeit erzählt sie mir von ihrem Weg zu Vishwananda: Sie komme aus Californien und habe dort zum ersten mal «Guruji», wie sie Vishwananda nennt, gesehen. Er sei dort auf Tour gewesen und habe sie sofort tiefgründig berührt, es sei für sie ein spiritueller Erweckungsmoment gewesen. Sie habe sofort gewusst: «Diesem Mann muss ich folgen.» Dabei sei es ihr egal gewesen, was dieser Mensch genau macht oder predigt.

Sie lebe seit 14 Jahren im Ashram in Heidenrod und arbeite in der Küche. Sie erzählt jedoch nicht nur von sich, sondern fragt mich auch einiges. Ich sage ihr, dass ich mich für Religionen interessiere und da meine Eltern in der Nähe leben, habe sich ein Besuch angeboten. An mehreren Stellen im Gespräch fragt sie: «Wo wohnen deine Eltern genau?» und: «Wie bist du darauf gekommen, uns zu besuchen?». Angesichts der aktuellen Berichterstattung hielt ich es für ratsamer, meine Arbeit für Relinfo auszusparen. Da ich aufmerksam darauf achte, was sie mich fragt, fällt mir ihr vertieftes Interesse an meinem Hintergrund auf. Sie schafft es jedoch, diese gezielten Fragen beiläufig und sympathisch ins Gespräch einzubauen, sodass es mir unter anderen Umständen vermutlich nicht aufgefallen wäre. Mir scheint als wäre es ihr bewusst, mit einer Außenstehenden zu sprechen, die womöglich einige Lebensweisen und Glaubenssätze der Gemeinschaft seltsam vorkommen könnten. So nimmt sie immer wieder Kontoversen vorweg, indem sie beispielsweise sagt, dass es für westliche Menschen oft nicht leicht zu verstehen sei, einen Guru bzw. Lehrer zu haben, dem man folgt. Für mich stellt sich das als Versuch dar, Bedenken hinsichtlich eines Führerkults zu relativieren.

Das Aushängeschild: Der Tempel

Nachdem wir unseren Kaffee ausgetrunken haben, führt sie mich in das spirituelle Zentrum von «Shree Peetha Nilaya», in den Tempel des Ashrams. Im Vorzimmer des Tempels befinden sich Bilder von Vishwananda und auf einer großen Tafel steht:

«Love the one above you. Don’t trust the one in front of you. You will not escape the one behind you. And the one below you is inevitable

Als ich sie nach der Bedeutung dieser Sätze frage, erklärt sie mir, dass es hauptsächlich um die Erkenntnis gehe, dass auf dem Weg zur Erleuchtung viele Gefahren lauern. Der einzig sichere Weg und der Weg zu Gott gehe von Vishwananda aus, der, der «über uns» steht. Wir ziehen unsere Schuhe aus und gehen in den Tempel. Ich sehe einen großen, von Wandmalereien und Statuen geschmückten Raum. An der Decke befinden sich herabgesetzte Wandelemente, auf der die Lebensgeschichte Krishnas farbenfroh portraitiert ist. Der Raum ist in zwei Stuhlgruppen aufgeteilt: Während den Gebeten sitzen auf einer Seite Männer, auf der anderen Seite Frauen. Am rechten Ende des Tempels steht der «Thron» Vishwanandas, auf dem passenderweise ein gerahmtes Bild von ihm platziert ist.

Eine weitere Darstellung des Gurus befindet sich in der Nähe des Eingangs, die ihn mit der Heiligen «Meerabai» und «Giridhari» zeigt. Meine Gästeführerin erklärt mir, dass die Heilige schon seit dem 16. Jahrhundert verstorben sei. Sie sei dennoch mit Vishwananda in einem Tempel in Kontakt getreten. Dort habe er von dem zuständigen Priester die kleine Figur Giridhari erhalten, die seitdem in seinem Besitz ist und täglich geehrt werde. Bei meiner anschließenden Recherche finde ich heraus, dass «Meerabai» oder auch «Mirabai» eine Heilige war, von 1498 bis 1546 in Nordindien gelebt haben soll. Von ihr sind hunderte Lieder überliefert, die heute noch in verschiedenen Religionen gesungen werden. Mir scheint die enge Verbindung von ihr und Vishwananda nicht zufällig: Meerabai ist dafür bekannt, sich leidenschaftlich und aufopferungsvoll ihrem Gott hingegeben zu haben. Vishwananda bezieht sich auf sie als Vorbild für Unterwerfung und Selbstaufgabe. Sie sei so involviert gewesen, dass sie ihren Verstand und ihren Körper vergessen habe. Nur wenn man so fokussiert auf Gott sei wie sie, dann werde man zu ihm kommen. Es stellt sich die dringliche Frage, ob «Meerabai» hier ein Exempel statuieren soll: Vishwanandas Anhänger werden erst zu ihm finden, wenn sie sich ihm vollends hingeben und ihren Verstand hinter sich lassen. Dafür spricht, dass Bhakti Marga mittlerweile ausdrücklich darauf hinweist, dass Vishwananda «gleichbedeutend mit Gott» ist.

Die Heiligen und ihre Schuhe

Nachdem ich den Tempel fotografieren durfte, führt mich die nette Frau in das Museum des Ashrams. Hier darf ich leider keine Fotos machen. Vor mir bäumen sich dutzende Glasvitrinen auf, in denen nebeneinander kleine Bilder von Heiligen gestaffelt sind. Sie sind jeweils mit einem persönlichen Gegenstand der Heiligen versehen. Oft sind es alte Holzsandalen, die von den Gurus getragen worden sein sollen. Manchmal sind es Kristalle oder einfache Alltagsgegenstände.

Sie erzählt mir etwas zu dem Hintergrund einiger wichtiger Gurus, zum Beispiel Yogananda. An den Wänden hängen Zeittafeln, auf denen der Werdegang Vishwanandas dargestellt wird oder die Entwicklung von Bhakti Marga skizziert ist. Die Frau berichtet mir in diesem Zusammenhang von Wundern, die Vishwananda schon als Kind vollbracht habe.

Im hinteren Teil des Raums befindet sich ein Bereich, den ich nicht betreten darf, wie die Frau mir sagt. Wir dürfen ihn uns jedoch ansehen. Umgeben von einer auf die Wände gezeichneten Berglandschaft befindet sich eine Höhle, in der eine düster wirkende Statue sitzt. Es handle sich dabei um «Mahavatar Babaji», durch den Vishwananda spirituell erleuchtet worden sein soll. Er sei mehrere tausend Jahre alt und lebe im Himalaya. Begeistert erzählt mir die Frau, dass Vishwananda als einziger mit ihm kommunizieren könne.

Jesus, Krishna oder einfach Vishwananda?

Während wir uns auf den Weg zur letzten Station der Führung machen, erklärt sie mir, dass es bei Bhakti Marga so viel zu wissen und zu lernen gebe. Sie selbst sei allerdings nicht so streng, was die Schriften angeht. Sie sei mehr der Typ für freiere Umgangsformen und lege viel Wert darauf, einfach drauf losquasseln zu können. Bei mir kommt dies als – sympathisch verdeckter – Versuch an, möglichst locker zu wirken und die Gemeinschaft offen und wenig problematisch wirken zu lassen. Es gibt ihr zudem eine Erklärung dafür, dass sie immer wieder, getarnt durch ihre lebendige, ungezwungene Art, mit direkten Fragen rausplatzt. Ohne direkten Zusammenhang fragt sie mich beispielsweise: «Glaubst du an Gott?».

Gott stellt sich in der Gemeinschaft Bhakti Marga nicht einseitig dar, was sich an unserem letzten Stopp erkennen lässt: Einer russisch-orthodoxen Kapelle mitten im Ashram.

Die Wände der Kapelle sind mit bunten Bildern christlicher Heiliger gepflastert. In Sachen Extravaganz steht die Kapelle dem Rest des Ashrams nichts nach. Meine Begleiterin erklärt mir, dass Vishwananda ein zertifizierter russisch-orthodoxer Priester sei. Den Zusammenhang zwischen dem neohinduistischen und dem christlichen Teil der Gemeinschaft erklärt sie mir mit dem ehrenwerten Versuch Gurujis, Westen und Osten spirituell zusammenzuführen. Ich frage mich, ob sich die Relikte, die Vishwananda Anfang der 2000er Jahre in der Schweiz gestohlen hat, in der Kapelle befinden.

Nachdem wir die Kapelle besichtigt haben begleitet mich die Frau im roten Sari wieder in die Eingangshalle zurück. Sie drückt mir ihre Visitenkarte in die Hand und wir verabschieden uns. Als ich in meinem Auto langsam vom Parkplatz fahre, entdecke ich eine andere Frau im roten Sari, die einen Papagei auf dem Arm trägt. Mit langsamen 20 Stundenkilometern verlasse ich erleichtert diese Parallelwelt im Taunus.

Julia Sulzmann, 01.02.2022

 

Quellen

Paramahamsa Vishwananda International. (2014). Meerabai – a model of devotion and surrender. http://paramahamsavishwananda-info.blogspot.com/2014/10/meerabai-model-of-devotion-and-surrender.html

Süß, S. & Gerhardt, P. (2022). Just Love? Sektenaussteiger packen aus. ARD Mediathek. https://www.ardmediathek.de/video/doku-und-reportage/just-love-sektenaussteiger-packen-aus/hr-fernsehen/Y3JpZDovL2hyLW9ubGluZS8xNjAzNDU/

Paramahamsa Vishwanandas Stellungnahme zur jüngsten Fernsehsendung des Hessischen Rundfunks. (2022). Bhakti Marga. https://pages.bhaktimarga.org/de/stellungnahme-bhakti-marga-zur-berichterstattung-des-hessischen-rundfunk

Link zum Lexikoneintrag zu Bhakti Marga

http://www.relinfo.ch/lexikon/hinduismus/neuere-aus-dem-hinduismus-stammende-religioese-bewegungen/bhakti-marga/