Kursbesuch im neuen Hexenmuseum

«Merry Meet bei Wheel of Wisdom»

Elisa Bruder, 2018

«Hexerei ist ein Menschheitsthema, liefert sie doch eine Erklärung für das Unglück in der Welt und eröffnet die Hoffnung auf eine aktive Beeinflussung des Schicksals jenseits der Gesetze der Natur. Indem wir uns damit beschäftigen, erfahren wir viel über kollektive und individuelle Sorgen und Hoffnungen, Deutungsmuster und Verhaltensformen.» (Wolfgang Behringer)

Seit der Neueröffnung des Hexenmuseums auf dem Schloss Liebegg in Gränichen locken Eigentümerin Wicca Meier und ihre Mitarbeitenden unzählige Besucher und Interessierte in ihr Schloss. Im Museum wird über Magie, Brauchtum, Vorstellungen des Volksglaubens und die Hexenverfolgungen in Renaissance und Barockzeit informiert. Es ist das einzige Hexenmuseum solcher Art im deutschsprachigen Europa. «Hexerei ist ein Menschheitsthema, die eine Begründung für das Unglück der Welt sicherstellt und Hoffnung für die Eingriffnahme in die Veränderung des Schicksals jenseits der Gesetze der Natur kreiert», informiert das Leitbild des Vereins auf seiner Website.

Um mir einen tieferen Eindruck zu verschaffen, nahm ich an einem der Kurse teil. Die Teilnahmebestätigung für die «Frauendreissiger Hexenkräuterweihe» erreichte mich per Post und so begab ich mich am 15. August auf den Spaziergang aufs Schloss Liebegg. Ich war spät dran, da ich bei der Anfahrt in einen Stau geriet. Als ich mich dem Schloss näherte, rief mir Wicca Meier schon von weitem meinen Namen zu. Die Begrüssung war sehr herzlich und sie führte mich sogleich auf die Terrasse des Museumshauses. Es war ein warmer, ruhiger Sommerabend und auf der Terrasse angekommen, spürte ich sofort das angenehme und gemütliche Ambiente. Mit mir war nun die neunte und letzte Teilnehmerin eingetroffen. Mir fiel sofort auf, dass ich die Jüngste war, die Altersverteilung lag etwa zwischen 26 und 65 Jahren. Alle waren es Frauen, gemütlich rund um einen Tisch gruppiert, Muffin essend und Mineralwasser trinkend. Sie alle schienen sich bereits zu kennen. Viele der Frauen hatten bereits an einigen Kursen von Wicca teilgenommen, wie ich herausfand. Obwohl ich eine Aussenstehende war, wurde ich problemlos akzeptiert. Während des ganzen Kurses fragte mich niemand nach meiner Motivation oder meiner religiösen Einstellung. Ich setzte mich neben eine jüngere Frau mit knallrot gefärbten Haaren.

Die Atmosphäre war entspannt und freundschaftlich. Das Motto der neuen Hexen: Merry Meet, fröhliches Treffen, war sehr passend. Und auch der Titel von Wiccas Kurswesen, «Wheel of Wisdom», Rad des Wissens, erwies sich als treffend: Für die Hexenbewegung ist die Vermittlung von Wissen sehr wichtig. Dementsprechend begann Wicca mit einem Referat rund ums Kursthema: «Frauendreissiger Hexenkräuterweihe». Frauendreissiger beschreibt für Wicca eine Zeitspanne von 30 Tagen, die vom 13. August bis zum 13. September dauert. Nach Wiccas Deutung stellen diese Daten Feste der Göttinnen Hekate, Diana und Aphrodite dar. Spannend hier zu sehen ist der für den Neopaganismus typischen Umgang mit antiken Religionen, die ahistorische Kombination von Gottheiten (hier die lateinische Diana und griechische Aphrodite). Neopaganismus (oder Neuheidentum) nennt man religiöse und kulturelle Strömungen, welche sich an antiken Religionen orientieren. Geeignete Aspekte der klassischen Antike werden verwendet, andere adaptiert und verändert, sodass sie ins eigene Weltbild passen. Nicht selten werden im Neuheidentum auch christliche Feste oder Traditionen umgedeutet. So beruht der Frauendreissiger auf einer katholischen Tradition und meint die Zeit von Mariä Himmelfahrt, 15. August, bis zu Mariä Schmerzen am 15. September.

Wicca interpretiert diese 30 Tage so: Heilpflanzen hätten dreifache Heilkraft. Dieser dreifache Segen ergäbe sich auch aus der Dreifaltigkeit der Göttinnen Diana, Aphrodite und Hekate, welche die Lebensphasen der Frau symbolisierten: Jungfrau, Mutter und Weise Alte. Diese sogenannte triple goddess ist eine Schöpfung des Neuheidentums.

Auffallend waren die vielen Querbezüge, Vergleiche und Vermischungen zu und mit den verschiedensten religiösen Traditionen, welche Wicca machte. Deutlich wurde das neuheidnische Geschichtsbild von Wicca: Was Hexen heute praktizieren, gilt als Tradition aus vorchristlicher Zeit, welche von den Christen entweder verändert oder verboten worden sei.

Nach der Theorie folgte die Praxis: Ziel des Kurses war es, dass jede Teilnehmerin einen Kräuterstrauch zusammenstellt. Im Strauch mussten mindestens sieben unterschiedliche Sorten von Kräutern sein, weil die Sieben eine besonders heilige Zahl sei. Ich meldete mich zu Wort und fragte nach dem Grund für die Bedeutung der Sieben. Die anderen Teilnehmerinnen belächelten mich sanft und Wicca meinte, sie könnte einen ganzen Kurs rund um die Magie der Sieben anbieten. Trotzdem erklärte sie mir die wichtigsten Gründe geduldig und zeigte Verständnis. In der Magie würde allgemein den ungeraden Zahlen viel mehr Bedeutung und Wirkung zugesprochen. Die Fünf stehe für etwas Komplettes, Irdisches, zum Beispiel die Hand mit fünf Fingern. Die nächste ungerade Zahl, die Sieben, bedeute eher Übernatürliches. Auch hier erklärte sie viel anhand anderer Religionen oder Überlieferungen: So müssten es auch bei den Katholiken eine bestimmte Anzahl Kräuter sein, zum Beispiel drei für die Dreifaltigkeit oder sieben für die sieben Sakramente.

Anschliessend nahm Wicca Bezug auf die auf den Tischen schön gebüschelten Kräuter und Pflanzen. Jedes einzelne wurde vorgestellt, indem deren magische und esoterische Bedeutung ebenso erläutert wurden wie auch die medizinische, nachgewiesene Heilkraft. So symbolisiere zum Beispiel der stark wachsende Salbei ein Haus mit einer starken Frau, Rosmarin über der Türe gelte als Schutz vor Bösem, stärke aber auch die Konzentration, im schwarzen Holunder lebe die Frau Holle und verbinde sich mit den Bewohnern des Hauses. Einige der genannten Wirkungen der Pflanzen wurden mit persönlichen Geschichten der Referentin oder der Teilnehmenden illustriert.

Nach der Vorstellung der Heilkräfte wurden wir alle eingeladen, unser eigenes Bündel zusammenzustellen. Während ich verzweifelt versuchte, professionell rüberzukommen, mich an alle etwa 15 vorgestellten Sorten zu erinnern und nicht beim Spicken erwischt zu werden, lauschte ich den Gesprächen der Frauen. Schmunzelnd erzählte eine Mutter, dass ihre Tochter sie fragte: «Gosch scho weder zo de Häxe, Mami?», andere suchten das Gespräch und einen Rat bei Wicca, eine Frau band sich Beifuss-Kraut um die Hüfte und erklärte, dass sie in der folgenden Nacht damit schlafen werde, um ihre Rückenschmerzen zu lindern. Wicca erläuterte uns, dass das Bündel ganz nach unserem Willen verwendet werden könne: Es dürfe aufgestellt, aufgehängt, getrocknet und/oder geräuchert werden. Auch der im Dezember stattfindende Markt auf dem Schloss wurde thematisiert und beworben. Einige Frauen fragten die Museumsinhaberin nach dem aus Wein, Holunderblüten und anderen Zutaten selbstgebrauten Met. Irgendwann war ich mit meinem Büschel fertig, bestehend aus der Mindestzahl von sieben Sorten (ich konnte jedoch nicht alle wieder identifizieren, tat aber so). Danach pflückten wir Birnen vom Baum auf der Terrasse.

Nachdem ich eine Infobroschüre zum Kurs ausgehändigt bekam, rief Wicca zum Segen zusammen. Wir stellten uns im Kreis mit den persönlichen und frisch kreierten Büscheln auf. «Dene wos bes jetzt gfalle het und denkt jetzt chont öppis religiöses sekte-artiges, müend kei Angscht ha», bemerkte Wicca gleich. Es ginge vielmehr darum, dass sie die Kräuter und Pflanzen, die wir in unseren Bündeln zusammengepackt hatten, segnen und würdigen möchte. Jede Pflanze habe ihrer Meinung nach eine eigene Seele, wie wir Menschen. Wir wurden aufgefordert, unsere Augen zu schliessen, in unser Sträuchlein rein zu atmen und den Duft aufzunehmen. Ihre segnenden Worte wurden durch ruhige Waldgeräusche im Hintergrund begleitet, was sehr friedlich wirkte. Ich bemerkte, dass dies für viele Frauen ein ungeheuer wichtiges Ritual war. Wir verweilten ein paar Minuten so. Im Neuheidentum wird das Verhältnis von Mensch und Natur ins Zentrum gerückt. Die Heiligkeit der Natur wird oftmals mit Ritualen gefeiert.

Während den ganzen zwei Stunden fühlte ich mich nie unwohl oder beobachtet (ausser wegen meines Hin-und-her-gerissen-Seins, ob ich den letzten verbleibenden Muffin stibitzen soll). Die Stimmung war freundschaftlich und die Teilnehmerinnen wirkten wie «ganz normale» Menschen. Etwas eigenartig war für mich, dass sich einige Frauen sehr stark auf Wiccas Worte fixierten und sie im Einzelgespräch nach Ratschlägen fragten, als würde sie von ihnen vergöttert. Der Kurs im allgemeinen war sehr informativ und nicht missionarisch, aber Menschen, welche empfänglich für neue Glaubensformen und spirituell angehaucht sind, könnten gefährdet sein, in eine Art persönliche Abhängigkeit zu geraten. Besonders die freundliche und freundschaftliche Atmosphäre und die Wertschätzung und Liebe zur Natur locken an.

Als die Veranstaltung zu Ende war, musste ich gleich gehen. Wicca begleitete mich zum Schlosstor, wünschte mir alles Gute, und ich bedankte mich für die sehr spannen- de und einzigartige Erfahrung. Das war sicher ein Merry Meet, doch ob sich das Wheel of Wisdom bei mir angefangen hat zu drehen, das steht in den Sternen. Unser Sitzplatz zuhause ist derweilen von einem hübschen Kräuterbündel geschmückt.

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