Besuch im ISKCON-Tempel Langenthal

Elisa Bruder, 2019

Nachdem ich zuerst in den falschen Bus gestiegen bin, schaffte ich es doch noch und erreichte Langenthal Schoren-Ochsen, den Standort des Krishna-Tempels.

Der Verein Gaura Bhaktiyoga Center existiert seit 2007 und führt an der Dorfgasse 43 in Langenthal einen Tempel in der Tradition der Internationalen Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein, die 1966 in New York von Bhaktivedanta A.C. Prabhupada gegründet worden ist.

Von aussen sieht man, dass es sich beim Tempel um ein ehemaliges Restaurantgebäude handelt. Nachdem ich den Eingang gefunden hatte, betrat ich einen dunklen Korridor. Sogleich fielen mir die vielen Schuhe auf, die auf Gestellen platziert waren. Ich erinnerte mich an meine Reise durch Nepal und Indien, wo bei jedem Betreten eines Hauses oder einer heiligen Gebetsstätte die Schuhe ausgezogen werden müssen, und tat hier dasselbe. Das farbige Durcheinander von Schuhwerk sah in Langental etwas gesitteter und westlicher aus, als ich es aus Asien in Erinnerung hatte.

Da ich niemanden sah, rief ich ein paar Mal „Hallo“ und überlegte, ob ich auf „Namaste“ wechseln sollte, doch da hörte ich Geklapper und Geplapper aus einem Nebenraum. Ich trat in den Raum, der sich als Küche entpuppte. Zwei Kinder im Alter von etwa 14 Jahren schwirrten mit Kochschürzen umher und begrüssten mich. Ein Mann erklärte, dass die beiden gerade ihren wöchentlichen Kurs in indischer vegetarischer Kochkunst absolvierten. Er stellte sich als Ehemann von Kalindi vor, der Frau, mit welcher ich meinen Besuch vereinbart hatte, und so brachte er mich zu ihr. Eine Treppe führte hinauf in ein Raum- und Korridor-Labyrinth.

Kalindi begrüsste mich herzlich mit Kind auf dem Arm. Kindergeschrei ertönte und diverse andere Menschen waren unterwegs. Kalindi nahm mich mit auf eine Tempelführung. Wir gingen Treppen hinunter, sie zeigte mir Büros und Lagerräume, versorgte mich mit Ayurveda-Heftchen und präsentierte mir den Raum, der gerade als Laden für indische Produkte samt Take Away und Catering eingerichtet wurde. Der Tempel ist erst vor fünf Jahren an seinen heutigen Standort gezogen, weshalb vieles ist noch in Arbeit ist. Kalindi erzählte mir stolz von der neu eröffneten und staatlich anerkannten Privatschule für erste bis neunte Klasse, die im Tempel geführt wird. Wir kamen vorbei an Massenschlägen, in denen allfällige Pilger untergebracht werden können. Daneben hat es auch Räume, die von den Gurus der Bewegung bewohnt werden, wenn sie den Tempel in Langenthal besuchen.

Dann kam das für mich Überraschendste: „In diesem Zimmer wohnt unser Lord Krishna, da dürfen wir leider nicht reingehen, aber du kannst dir seine Garderobe anschauen“, meinte Kalindi und deutete auf einen überladenen Raum mit Unmengen von Schmuck und exquisiten Tüchern und Gewändern. „Wir kleiden ihn jeden Tag neu ein.“ Ich war völlig perplex, welcher Aufwand um die Statue von Krishna betrieben wird. Doch das Beste erwähnte sie gleich anschliessend: „Unser Lord wird richtig von uns verwöhnt, er bekommt acht Mahlzeiten pro Tag. Start um 4.30 Uhr am Morgen, und vor dem Schlafengehen bekommt er Milch mit Süssgebäck.“

Während der Führung kamen immer wieder Kalindis Kinder vorbei und tobten herum. Wir begaben uns nun in den Tempelraum, wo Kalindi sich sogleich auf die Knie fallen liess und mit ihrer Stirn den Boden berührte: Sie verbeugte sich vor Krishna. Ich fragte mich für einen kurzen Moment, ob ich es ihr gleichtun sollte, liess es dann aber sein und stand etwas unbeholfen daneben. Zusammen liessen wir uns dann auf Kissen nieder. Da es sich beim Tempelgebäude um ein ehemaliges Restaurant handelt, ist der Tempelraum nach wie vor als ein Saal mit Bühne erkennbar. Die Vorhänge der Bühne waren gerade zugezogen, weil Krishna, wie Kalindi erklärte, gerade am Essen war.

Wir sprachen auch über Kalindis Werdegang. Sie erzählte mir, dass sie früher als Hippie mit Rastas durch die Welt gereist war, allerlei Religionen ausprobiert hatte und dann vor etwa elf Jahren zu Krishna fand. Rückblickend sagte sie, dass sie anscheinend bereits als junges Mädchen von Krishna gerufen wurde. Einmal im Jahr reist Kalindi mit ihrer Familie nach Indien.

Kalindi zeigte mir auch den allgemeinen Tagesablauf im Tempel. Um 4.30 Uhr wird das erste Mal gebetet, den ganzen Tag geht es weiter mit religiösen Pflichten, Unterricht, Kochen… viel Freizeit stand nicht auf dem Plan. So sind, wie Kalindi mir erklärte, die eingeweihten Devotees verpflichtet, jeden Tag die Gebetskette, die Japa Mala, durchzubeten. Die Kette umfasst 108 Perlen, und auf jeder Perle wird das Maha Mantra, das Hauptgebet von ISKCON, einmal gebetet: Hare Krishna, Hare Krishna, Krishna Krishna, Hare Hare, Hare Rama, Hare Rama, Rama Rama, Hare Hare (Hare bedeutet die Anrede „Herr“). Täglich sollen auf der Japa Mala mindestens sechzehn Runden gebetet werden, was 1728 Mal das Maha Mantra ergibt und insgesamt etwa zwei Stunden in Anspruch nimmt.

Kalindi führte mich auch in die Grundlagen ihres Glaubens ein: Krishna sei der allmächtige Gott. Neben ihm gebe es zahlreiche Halbgötter. ISKCON-Anhänger würden an Reinkarnation glauben, sie rechneten mit einer ewigen Seele, Atman, die von Leben zu Leben nur ihren Körper wechsle. Erlange man in seinem Leben viel gutes Karma, so werde man als höheres Wesen wiedergeboren, tue man viel Ungutes, so könne man zum Beispiel als Tier wiedergeboren werden. Deshalb würden sie auch vegetarisch leben. Aus den Veden ginge klar hervor, dass der Mensch alleine nicht imstande sei, aus diesem ewigen Kreislauf der Reinkarnation auszubrechen. Folge man dem Bhakti-Yoga (Yoga der Hingabe), würde man vom Kreislauf der Reinkarnation befreit werden.

Diese Grundlagen des Bhakti-Yoga seien aus der Bhagavad-Gita zu entnehmen, wie sie Prabhupada übersetzt hat, dem wichtigsten Buch der Krishna-Gemeinschaft. Genau dieses Buch wurde mir anschliessend auch zum Kauf angeboten, und meiner Glaubwürdigkeit zuliebe kaufte ich die rund 800 Seiten starke „Bhagavad-Gita wie sie ist“. Die einzelnen Verse werden zuerst in Sanskrit und danach übersetzt und erklärt wiedergegeben. Viele Aussagen zum Thema Ethik finden in der Bibel ihre Parallelen, zur Nächstenliebe zum Beispiel steht in der Bhagavad-Gita folgende Aussage: „Wer in Hingabe handelt, wer eine reine Seele ist und wer Geist und Sinne beherrscht, ist jedem lieb, und jeder ist ihm lieb“ (5.7).

Kalindis aufgestellte und sprudelige Kinder schlichen und spielten immer wieder um uns herum, und im Hintergrund machte sich ihr Mann, der eine Ausbildung zum Pujari, zum Priester absolviert hatte, bereit für die Abendzeremonie. Wer gerade im Tempel war und Zeit hatte, versammelte sich mit den anderen im Tempelraum und nahm Trommel oder Glöckchen zu sich. Gemeinsam wurde nun „gechantet“. Ein Lied nach dem anderen wurde auf Sanskrit gesungen, während der Priester diverse Rituale ausübte. So weihte er Kerzen und Wasser. Diese wurden von einer Person abgeholt und jedem Teilnehmer gebracht. Auch ich wurde mit Kerzenschein geweiht und liess mich mit Wasser beträufeln. Zum Abschluss wurde das Hare Krishna Maha Mantra gechantet. Nach der Zeremonie wurde ich zum Essen eingeladen, es gab superfeines indisches Essen.

Die Erfahrung im Krishna-Tempel Langenthal war sehr eindrücklich. Die Menschen im Tempel sind unglaublich lieb und rücksichtsvoll, doch leben sie sehr auf ihre Religion fokussiert. Die missionarische Zielsetzung der Bewegung war klar erkennbar, so wird auf ihrer Website „der Westen als blind und Indien als lahm“ bezeichnet. Der westliche Fortschritt soll mit der vedischen Weisheit kombiniert werden „zum Nutzen jedes Einzelnen und zum Nutzen der ganzen Welt“.

Erstaunlich fand ich die Hingabe zu Krishna und eher irritierend die Verehrung seines Bildes, die sehr viel Zeit und Engagement erfordert. Insgesamt ergibt sich der Eindruck einer Insel der traditionellen indischen Kultur und Religion inmitten der umgebenden Schweizer Gesellschaft.

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