Das Haus der Religionen – kulturelle Co-Existenzen im Hinblick auf aktuelle weltpolitische Geschehnisse

Das Haus der Religionen ist das einzige Mehrreligionen Haus in der Schweiz und steht so nicht nur für einen religionstheologischen Pluralismus, sondern auch eine interreligiöse Gastfreundschaft. Das Zweite geschieht über das Restaurant Vanakam, wo am Mittag aussschliesslich koscher-ayurvedisches Essen angeboten wird. Im Haus der Religionen wird die Verantwortung über die Repräsentation der Religionen den verschiedenen Vereinen, die dort ihre sakralen Räume haben, übergeben. So steht die Entscheidungsmacht bei den Religionsvertretern. Im Haus der Religionen haben der Förderverein Alevitische Kultur, der Inter-Buddhistische Verein, der Verein Kirche im Haus der Religionen, der tamilische Verein Saivanerikoodam und der Muslimische Verein Bern sakralen Räume. Vertreten aber ohne eigene Räumlichkeiten sind die Schweizer Bahá’i Gemeinde, die Jüdische Gemeinde Bern und die Sikh Gemeinde Gurudwara Sahib Switzerland. Ich habe die Führung am 18. November 2023 zusammen mit meiner Mutter und etwa dreißig anderen Personen im Alter zwischen 15 und 70 besucht und würde so eine Führung allen empfehlen, die noch nicht dort waren.

Wichtigkeit von interreligiösen Konzepten

Wenn wir die weltpolitische Lage zum jetzigen Zeitpunkt beachten, ist der Grundsatz des Hauses der Religionen fast schon utopisch und doch ist das, was es repräsentiert umso wichtiger. Multireligiöse Konzepte nehmen in Bezug zu heutigen Geschehnissen einen wichtigen Stellenwert ein, da sie zeigen, dass religiöse Co-Existenzen möglich sind. Der religionstheologische Pluralismus des Hauses der Religionen zielt darauf ab, allen vertretenen Religionen einen gleichwertigen Vorrang zu geben. Der Dialog zwischen den Religionen zelebriert so Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede. Dies steht in einem Gegensatz zum House of One in Berlin – wo aber dennoch eine Art der religiösen Co-Existenz gelebt wird. Das House of One in Berlin dient als multireligiöses Gebetshaus für die drei abrahamischen Religionen. Dort wird vor allem auf die gemeinsamen Wurzeln von Judentum, Christentum und Islam fokussiert, wodurch die Unterschiede zwischen den Religionen mehr vernachlässigt werden. Eine weitere Möglichkeit einer interreligiösen Praxis zeigt die Kirchenmoschee in Hamburg auf, deren Räumlichkeiten Inter- und Transreligiös sind. Dies weil die ehemalige Kirche in eine Moschee umgewandelt wurde. Von außen sieht das Gebäude also aus wie eine Kirche, mit einem kleinen aber wichtigen Detail, dem arabischen Schriftzug «اللە» (Allah), auf dem Kirchenturm, wo früher das Kreuz thronte. Die Geschichte des Gebäudes als ehemalige Kirche ist wichtig und wird auch an den sorgfältig ausgewählten Suren an den Wänden und den bewahrten christlichen Fenstern ersichtlich.

Obwohl die Initiative für ein «Haus der Religionen – Dialog der Kulturen» in Bern erstmals von Christian Jaquet von der Imagestudie Bern und von Harmut Haas von der Herrnhuter Gemeinschaft gekommen ist, gibt es vordergründig keine asymmetrische Entscheidungsmacht im Dialog zwischen den Religionen. Auch ein Synkretismus also eine Vermischung zwischen den religiösen Vereinen wird im Haus der Religionen nicht gelebt. Vielleicht kann man auch behaupten, dass nicht einmal innerhalb einer Religion unter den verschiedenen Auslegungen ein Synkretismus angestrebt wird, sondern auch dort mehr auf Pluralismus gesetzt wird. Dies ist an der schlichten Einrichtung mehrerer sakralen Räume ersichtlich, mit dem Prinzip, dass spezifische Einrichtungsgegenstände für die jeweiligen Gemeinschaften mobil hingestellt und wieder entfernt werden können.

Interbuddhismus

Besonders sichtbar ist dies in den Räumen des Inter-Buddhistischen Vereins. Wir werden von Frau Graf, welche die Führung leitet, in die Räumlichkeiten des Buddhismus geführt und dort von einer Vertreterin des Sozialen Buddhismus begrüsst. Neben den ersichtlichen Eindrücken, fällt mir auch der Geruch eines Räucherstäbchens auf, das im Hauptraum brennt. Die Buddhistin erklärt uns, dass die Buddhafigur am Eingang den lehrenden Buddha darstellen sollte und die Figur im Hauptraum den meditierenden Buddha.
Es gibt zwei Räume, der erste Raum dient dem Empfang und beinhaltet eine Küche und eine kleine Bibliothek, der zweite Raum, welches auch als Hauptraum fungiert, wird für die Meditation genutzt und ist sehr schlicht gehalten. Der grosse meditierende Buddha sitzt ganz vorne an der Wand. Vor ihm befinden sich runde orange Kissen, die sorgfältig in mehreren Reihen angeordnet sind. An der linken Wand befindet sich ein Bild eines Mönchs und an der rechten Wand steht ein Möbel, das verschiedene rituelle und dekorierende Objekte beinhaltet, die für die verschiedenen buddhistischen Gemeinschaften jeweils hervorgenommen werden können. Sonst schmückt wenig den Raum. Es fühlt sich so an, als sei jeder einzelne Gegenstand mit Bedacht und mit Intention platziert worden. Anders sieht es im Vorraum aus: Eine Vitrine gefüllt mit vielen verschiedenen Glücksbuddhas, farbige 3D-Bilder von Szenen aus dem Leben Buddhas, buddhistische Gegenstände auf dem Fenstersims, Bücher, Flyer und Pinnwände mit Informationen oder Anlässen.

Bei den Christen und Aleviten wäscht die eine Hand die andere

Auch bei den christlichen und alevitischen Räumen steht eine Schlichtheit im Vordergrund. Bei den christlichen Räumen aus dem gleichen Grund wie bei den buddhistischen. Leider können wir die Kirche nicht besuchen, da die Kirche im Moment genutzt wird, um Stille und Schweigen zu üben. Die Kirche und die alevitische Dergâh befinden sich beide im 1. Stock. Während des Baus konnten der Förderverein Alevitische Kultur und der Verein Kirche im Haus gegenseitig voneinander profitieren. Da, wie die Mitarbeiterin des Hauses der Religionen erzählt, der Förderverein für Alevitische Kultur Knowhow über das Bodenlegen verfügte und Mitglieder hatte, welche Bodenleger waren, hatte der Verein in der Kirche den Boden verlegt. Zum Dank oder als Gegenzug hatte der Verein Kirche im Haus der Religionen dem Förderverein einen Architekten zur Verfügung gestellt, der die Räume zu ihren Wünschen konstruieren konnte.

Die Dergâh wirkt fast leer. Unwissende Augen könnten den Raum für einen Mietraum für Workshops oder andere Anlässe halten. Doch die Derga birgt einige religiöse Hinweise. Die Wände sind in einer hellen lehmähnlichen Farbe gestrichen, welche leicht mit einem warmen Beige zu verwechseln sind. Nimmt man die Wände näher in Augenschein, fällt einem auf, dass es keine Kanten gibt, die Kanten des Raumes wurden abgerundet, was an die Lehmhöhlen erinnern soll, wo die Aleviten ihre geheimen Zusammenkünfte halten mussten, da ihr Glaube verboten war. (In der Türkei ist ihre Situation auch heute noch heikel.) In die Wände wurden 12 grössere Nischen und mehrere kleinere Nischen eingearbeitet. Frau Graf meint, auf Nachfrage, wozu diese dienen, dass die Antwort variieren kann. Für die einen stehen die 12 Nischen für 12 Dichter, für die anderen stehen sie für 12 Imame. Frau Graf erwähnt, dass das Alevitentum keine Buchreligion sei, sondern dass die Religion lange mündlich über Gesänge und Gedichte überliefert wurde. Gesang, Musik und Tanz sei sowieso sehr wichtig für die Aleviten. Dies wird durch das einzige Bild, das an der vorderen Wand hängt, auch betont. Das Bild ist schwungvoll und zeigt im Kreis tanzende um sich drehende Figuren. Da die vier Elemente auch wichtig für den alevitischen Glauben sind, werden auch diese im Bild repräsentiert. Zudem steht vorne rechts neben dem Bild eine Feuerschale, welche Kerzen beinhaltet, da ja kein grosses Feuer gemacht werden kann. Nun sieht man hier die gleiche Sorgfalt und bestimmte Intention mit der der Raum konzipiert wurde, die man auch in den buddhistischen Räumen fühlen kann.

Rituelle Waschung in der Moschee

«Mit den Schuhen nicht auf den roten Teppich stehen!», dies wird uns regelrecht eingetrichtert bevor wir uns zu den muslimischen Räumlichkeiten aufmachen. Aus hygienischen Gründen ziehen wir vor der Moschee die Schuhe aus und legen sie in die dafür vorgesehen Fächer. In dem ganzen Prozedere müssen wir aufpassen, dass wir nicht auf den roten Teppich vor den Schuhregalen stehen. Neben dem Eingang zur Mosche gibt es einen kleinen Raum, der für die Waschung vor dem Betreten der Mosche vorgesehen ist. Dieser sei für die Männer gedacht und im ersten Stock gibt es auch einen für die Frauen, welche oben auf der Empore beten. Die Moschee ist im Vergleich zu den buddhistischen und alevitischen Räumen fast schon prunkvoll eingerichtet. Der ganze Boden ist mit einem schönen roten mit Ornamenten verzierter Teppich ausgelegt. Nebst dem Teppich, fällt einem gleich zu Beginn auch der riesige Kronleuchter auf, der von der Decke bis über die Mitte der Höhe des Raumes hängt. Gleich darunter ist auch das augenscheinliche Zentrum des Raumes. Auge in Auge schauen sich nun das grosse rundliche Mandala auf dem Teppich und der Kronleuchter gegenüber an. Zudem ist der Raum mit Mandalas und Suren, welche an die Wände gemalt worden sind geschmückt. Als gefragt wird, auf welche Sprachen die Gebete und Predigten durchgeführt werden, rezitiert Frau Graf den früheren Imam, der meinte: Predigten werden «Arabisch in der Sprache des Korans, Albanisch in der Sprache der Besucher und Deutsch in der heimischen Sprache der Moschee» durchgeführt. Gebete werden jedoch ausschliesslich auf Arabisch durchgeführt.

Frau Graf erläutert zudem, dass der Imam, nachdem bekanntgeworden ist, dass in dieser Moschee Zwangsehen durchgeführt wurden, die Verantwortung dafür übernommen habe und zurückgetreten sei. Das Präsidium des eigenständigen Muslimischen Vereins Bern ging danach an die nächste Generation über. Das Haus der Religionen hat daraufhin einen klaren Code of Conduct eingeführt, der unter anderem das Vorgehen und die Dokumentation bei religiösen Eheschliessungen klar regelt. So können zum Beispiel im gesamten Haus der Religionen nur Hochzeiten durchgeführt werden, wenn das Paar ihre zivilstandesamtliche Ehe vorzeigen kann.

Gerüche, Geschmäcker und Geräusche im Hinduistischen Tempel

Wir ziehen die Schuhe wieder an, aber nicht für lange, und werden von der ruhigen Moschee zum belebten Hindutempel geführt. Schon von aussen hören wir Musik und als wir die Türe öffnen, schlägt uns der Geruch von Weihrauch und tamilischen Essen entgegen. Als wir die Schuhe ausgezogen haben, dürfen wir den Hindutempel betreten. Es findet gerade eine Prozession statt, in der eine goldige Kuh von Gläubigen umzingelt im Uhrzeigersinn von Altar zu Altar geführt wird. Im Gegensatz zu der Stille, der Schlichtheit und der Besonnenheit der anderen Räume, wirkt der Hindutempel nahezu schallend, bunt und lebendig. Die vier Instrumentalisten, welche von Südindien angereist sind, begleiten die gegenwärtig laufende Prozession musikalisch mit zwei Trommeln und dem Nadaswaram, einem indischen Blasinstrument. Da wir nicht lange stören wollen, umrunden wir den Hauptaltar in der Mitte schnellstens auch im Uhrzeigersinn. Die Götterfiguren in den Altären werden im Moment von sanften Vorhängen bedeckt und wir werden ausdrücklich darum gebeten, den Respekt zu wahren und nicht hinter die Vorhänge zu blicken.

Als wir wieder draussen sind, erklärt uns Frau Graf, dass Hindutempel normalerweise von aussen umrundbar sein sollten, da diese Prozessionen um den Tempel eine wichtige rituelle Funktion für Hinduisten darstellen würde. Das Haus der Religionen grenze aber auf der einen Seite an die Gleise, wodurch diese Bedingung nicht erfüllbar gewesen sei. Durch zwei Eingänge in der Tiefgarage jedoch, kann die Prozessionen, welche den Tempel umrunden sollten unterirdisch stattfinden. Gleichzeitig sollte ein Hindutempel direkten Kontakt mit der Erde haben auf der er steht, daran konnten sie sich jedoch aufgrund der eben genannten Tiefgarage auch nicht halten. Um diese Bedingungen dennoch auf die ein oder andere Art zu erfüllen, wurde ein mit Erde gefülltes Rohr in die Säule im Hindutempel gestellt, das bis durch die Tiefgarage reicht und dort mit der Erde in Kontakt gerät.
Speziell am Verein Saivanerikoodam ist, dass sie einen reformierten Leitsatz im Tempel führen, der alle Menschen willkommen heisst. Gleichzeitig dürfen auch Frauen in diesem Tempel zu Priesterinnen geweiht werden.

Die verschiedenen Konfessionen und Überzeugungen im Haus der Religionen

Vielen Leuten sind die stark unterschiedlichen Dogmen innerhalb einer Religion nicht so bewusst. Und genau dies wird im Haus der Religionen deutlich. Der Dialog der Kulturen findet nicht nur zwischen den verschiedenen grossen Religionen statt, sondern wird auch innerhalb der Religionen geführt. Dies ist evident an der Einrichtung der verschiedenen sakralen Räume.  Frau Graf hat uns informiert, dass es innerhalb des Hinduismus sogar grössere Unterschiede zwischen den verschiedene Konfessionen gäbe als zwischen dem Glauben der Muslime, Christen und Juden. Durch die Führung wurde aufgezeigt, dass nicht Synkretismus zwischen und innerhalb der Religionen, sondern religionstheologischen Pluralismus angestrebt wird. Im Haus der Religionen treffen also unzählige Welten aufeinander, die zusammen unter ein Dach geholt werden und unter diesen findet ein Dialog statt, der Verständnis und Respekt voraussetzt und dasselbe auch befördert.

Alysejah Huber, November 2023

Haus der Religionen – Dialog der Kulturen Bern – Relinfo.ch

Haus der Religionen – Dialog der Kulturen – Begegnungsstätte der Religionen und ein Ort des Dialogs der Kulturen in Bern (haus-der-religionen.ch)