Unbekannte Gemeinschaft aufgedeckt: Christians for Mission

 Im März 2023 berichteten wir über eine unbekannte Gemeinschaft, die an Schweizer Universitäten missioniert. Unsere Recherche begann mit einem bunten Flyer, der mir im Januar 2023 an der Universität Zürich auffiel. «We need a fresh wind from Heaven» hiess es darauf. Geworben wurde für die Teilnahme an einem Bibelkreis, allerdings fand man mit Ausnahme von Vornamen auf Abreisszetteln keinen Hinweis darauf, wer diesen organisiert. Wir hatten den Entschluss schon gefasst, der Gemeinschaft einen Besuch abzustatten, als eine Anfrage einer Journalistin aus Bern eintraf. Sie sei auf einen sehr ähnlichen Flyer an der Universität Bern aufmerksam gemacht worden. Wir recherchierten daraufhin in unserem Archiv und fanden heraus, wer der Leiter des Berner Bibelkreises ist. Es handelt sich um Michael Ackert, einen Mitarbeiter des Instituts für Empirische Religionsforschung in Bern. Mit Ackert, dessen Vorname auf dem Berner Flyer zu lesen ist, gestaltete sich die Korrespondenz als wenig ergiebig. Er zeigt sich verschlossen und verriet trotz vermehrter Nachfrage weder uns, noch der Journalistin, was es mit den Bibelkreisen auf sich hat.

Besuch des Bibelkreises

Ein solch intransparentes Vorgehen tritt eher bei problematischen Gruppierungen auf. Ein Verdacht von unserer Seite entstand gegenüber der hochumstrittenen Gemeinschaft Shincheonji, die laufend neue Anwerbestrategien entwickelt und es so wenig verwundert hätte, wäre der geheimnisvolle Bibelkurs Teil davon gewesen. Der Verdacht bestätigte sich während des «Bible Study», den wir im Februar 2023 besuchten, jedoch nicht. Die theologischen und konzeptionellen Unterschiede waren zu gross. Durch die Aussagen des Leiters, Hovanness Khatchdourian, fügte sich ein anderes Bild zusammen. Scheinbar hatte er seine auch anwesende Frau in einem Bibelkreis derselben Gemeinschaft kennengelernt, und zwar in Berlin. Der Anblick ihrer circa 16 Jahre alten Tochter verriet: Das muss fast 20 Jahre her sein. Sie erzählten darüber hinaus, dass sie nach ihrer Zeit in Berlin in andere deutsche Städte gingen und dort ähnliche Bibelgruppen ins Leben riefen. Sie erwähnten sogar, dass sie damals schon mit Flyern warben. Es entstand der Eindruck, dass es eine Gemeinschaft in Berlin gab oder gibt, die ihre Mitglieder aussendet, um in diversen Städten Bibelkreise zu gründen. Unterstützt wird die Vermutung von der Tatsache, dass Michael Ackert auch längere Zeit in Berlin aktiv war und nun einen Bibelkreis in Bern gegründet hat. Bei einem Telefonat bestätigte er uns, dass es sich bei der Gemeinde in Berlin um dieselbe handelt, der er heute noch angehört.

Jedoch wollte nicht nur er keine Angaben über diese mysteriöse Gemeinschaft machen, auch beim Bibelkreis erhielten wir keine Antworten. Selbst auf direkte Nachfrage sprach man nur von «der Gemeinschaft». So blieb uns nichts anderes übrig, als unsere Recherche zu veröffentlichen – auch ohne die Identität der Gruppierung erfahren zu haben.

Eine unerwartete Wendung

Sechs Monate sind seit der Publikation unseres Texts vergangen, als uns plötzlich zwei Personen kontaktieren. Eva und Peter (Namen geändert) erklären, bei der von uns recherchierten Gemeinschaft Mitglied gewesen zu sein und über eine Vielzahl an Informationen zu verfügen. Zudem seien sie nicht nur in Berlin bei der Gemeinschaft aktiv gewesen, sondern zeitweise auch in Zürich. Sie berichten uns von ihren Erfahrungen, erläutern die Gründe für ihren Ausstieg und lüften das Rätsel um den Namen der Gemeinschaft.

Christians for Mission

«Christians for Mission» oder früher auch «Students for Mission» nennt sich die Gemeinschaft, die unseres Wissens nach keiner Beratungsstelle im deutschsprachigen Raum ein Begriff ist. Eingetragen ist die Gruppe in New York in den Vereinigten Staaten als «Christians for Mission Inc.» und seit 2006 am Amtsgericht in Berlin Charlottenburg als «Christians for Mission e.V. (CfM)».

Dass wir es so schwer hatten, den Namen der Gruppierung zu erfahren, sei laut Eva und Peter kein Zufall. Selbst langjährige Mitglieder wüssten manchmal nicht, wie ihre Gemeinschaft heisse. Wenn Aussenstehende den Namen erfahren wollen, sollen Mitglieder antworten: «Kein Name, keine Richtung, wir sind einfach die Gemeinde Jesu Christi, Ekklesia. Wir sind nur Gläubige, wir sind keine Religion, sondern Christen, keine Organisation.» Eva und Peter hinterfragten dies zu Beginn kaum, mit der Zeit stossen sie jedoch auf Widersprüche und Einschränkungen, wegen der sie sich von Christians for Mission distanzieren.

Führungskult par excellence

Als besonders restriktiv erleben die beiden, dass der Leiter der Gemeinschaft nach und nach grossen Einfluss auf ihr Leben nimmt. «Bruder Paul Kim», mit bürgerlichem Namen Young Su Kim, ist bei Christians for Mission gleichermassen wegweisend sowie rätselhaft. Die meisten Mitglieder wissen kaum etwas über ihren Leiter, dessen Botschaften angeblich direkt von Heiligen Geist kommen und somit nicht in Frage gestellt werden. Selbstredend kann so auch keine Kritik an den Aussagen, Wünschen und Vorstellungen von Paul Kim getätigt werden. Peter berichtet sogar, dass man rigoros von Christians for Mission ausgeschlossen wird, wenn man alternative Meinungen oder Kritik an Paul Kim äussert.

Um anderen Sichtweisen vorzubeugen hat Paul Kim für die Leiter der lokalen Bibelkreise ein System errichtet, in dem es keinen Spielraum für eigene Gedanken gibt. Er sendet den Leitern eine Audioaufnahme seiner Predigt zu, die wörtlich übernommen und in den Bibelkreisen vorgetragen werden soll. Eine solche Audioaufnahme liegt uns vor.

Schleichender Prozess

Besonders prekär ist das Verbot von Kritik, wenn es um Entscheidungen von Paul Kim geht, die direkte Auswirkungen auf den Lebensweg der Mitglieder haben. Eva und Peter beschreiben, dass sich nach und nach ein Klima bei der Gemeinschaft entwickelt, in dem man für jede Lebensentscheidung Paul Kim zu Rate zog. Was einem zu Beginn freiwillig erscheint, wird mehr und mehr zum Zwang, sodass nach aussen der Eindruck eines wohlwollenden Ratgebers bleibt, von innen jedoch ein absolutes System entsteht. Sie erleben diesen Vorgang als schleichenden Prozess, bei dem sie lange das Gefühl haben, selbstbestimmt zu handeln. Erst mit der Zeit fallen ihnen Bräuche und Gewohnheiten auf, die beim näheren Hinsehen einen fraglichen Einfluss auf ihre Entscheidungen haben.

Eigentümliches Gemeinschaftsgefühl

Paul Kim betont so beispielsweise, dass man seine Zeit und Energie für Christians for Mission aufwenden soll. Die Besuche der Bibelkreise, das Bibelstudium und die Gottesdienste gehören zum elementaren Engagement für die Gemeinschaft. Über diesen formellen Rahmen hinaus ist das Gemeinschaftsgefühl jedoch relativ beschränkt, was Peter irgendwann auffiel. Er bemerkte, dass er so gut wie nichts über die anderen Mitglieder von Christians for Mission wusste. Ausserhalb von den festen Treffen wie Bibelkreisen, Gottesdiensten und dreimal jährlich stattfindenden Konferenzen sah und hörte man die anderen kaum. Er überlegte sich deshalb, ein Barbecue mit einigen Mitgliedern des Berliner Bibelkreises zu veranstalten. Er ahnte nicht, wie Paul Kim darauf reagieren würde: Er war ausser sich war, als er von seinem Plan erfuhr. Private Treffen sollten nie ohne sein Wissen stattfinden. Peter wurde durch diesen Vorfall zum Nachdenken angeregt – weshalb sollen sich Mitglieder nicht untereinander austauschen?

Fassade der Freiheit

Dass die Fassade der Gemeinschaft mit der Zeit mehr und mehr Risse zieren, hat auch Eva erlebt. Eva ist wie viele Frauen bei Christians for Mission Akademikern. Dies mag auf den ersten Blick erstaunen, so ist bei vielen radikaleren christlichen Gruppierungen ein traditionelles Rollenverständnis keine Seltenheit. Von dieser beruflichen Freiheit, ja sogar der Ermunterung zu einer akademischen Karriere, fühlte sich Eva angezogen. Christians for Mission schien ihr etwas zu bieten, was sie bis dahin in ihrer Biografie vermisst hatte: Eine Gemeinschaft, in der sie sowohl zum beruflichen Aufstieg motiviert, als auch eine Familie gründen könnte. Vorgelebt wird nämlich, dass bei Christians for Mission früher oder später jeder Topf seinen Deckel findet – vorausgesetzt beide Teile sind feste Mitglieder der Gemeinschaft. Eva merkte jedoch mit der Zeit, dass Frauen bei Christians for Mission nicht so frei sind, wie es zunächst scheinen mag.

Gehorsam und Doppelbelastung

Das verdeutlicht eine Anekdote aus ihren frühen Jahren bei Christians for Mission. Für einen Bibelkreis stellte sie ihr Studentenzimmer zur Verfügung. Wie in der Gemeinschaft üblich, leitete sie den Kreis nicht selbst, dies wurde von einem Bruder übernommen. Um ihren Beitrag zu leisten, kochte sie für die ganze Gruppe. Eines Abends stellte sich die Frage, ob der nächste Bibeltreff stattfinde. Eva antwortete spontan, dass die nächste Bibelstunde ausfalle. Scheinbar wäre diese Auskunft die Aufgabe des Bruders gewesen und so dauerte es nicht lange, bis Eva eine erboste Nachricht erhielt. Darin warf der Bruder Eva Respektlosigkeit vor, sie scheine ihren Platz in der Gemeinschaft nicht zu kennen. Er nutze die Gelegenheit, um ihr diverse andere Vorhaltungen zu machen: Ihre Schlüsselanhänger und Bilder in ihrem Zimmer seien zu «weltlich», genauso wie ihre Profilbilder auf Social Media. Eva war eingeschüchtert und änderte ihre Bilder und Schlüsselanhänger. Dieses Erlebnis war für sie nur der Anfang eines Prozesses, in dem sie immer mehr bestätigt bekam: Bei Christians for Mission gehorchen Frauen den Männern.

So seien auch die akademischen Karrieren der Frauen im Rahmen eines Dienstes an Männern zu interpretieren. Damit die männlichen Mitglieder genügend Zeit für ihre spirituelle Entwicklung haben und sich der sogenannten «Mission School» widmen können, benötigen die Frauen ein hohes Erwerbseinkommen. Zudem liegen die Erziehung gemeinsamer Kinder sowie Haushaltstätigkeiten im Verantwortungsbereich der Frauen. Diese erwartete Doppelbelastung setzt den weiblichen Mitgliedern zu und bewirkt ganz nebenbei, dass sie keine Zeit haben, sich nach anderen Meinungen oder Lehren umzusehen.

Exklusivität

Sich mit etwas anderem zu beschäftigen, als den Lehren von Paul Kim, wird bei Christians for Mission verurteilt. Selbst andere christliche Bücher gehören zu verbotener Lektüre, in denen laut Paul Kim «zu viele fremde Geister» seien. Ausgeschlossen ist zudem die Erquickung durch weltliche Unterhaltung, wie Filme zu schauen oder Musik zu hören – mit Ausnahme der Gemeindeloblieder. Peter vermutet, dass dabei neben möglicher Ablenkung auch verhindert werden soll, dass Mitglieder die angeblich göttlichen Predigtinhalte von Paul Kim hinterfragen. Er äussert in diesem Zusammenhang den Verdacht, dass grosse Teile von Paul Kims Predigten von der Recovery Church, genauer von «Witness Lee» abgekupfert sind. Darauf deutet Paul Kims Verwendung der sogenannten Recovery-Bibel während seiner Predigten hin.

Tabuthema Finanzen

Kontrovers ist bei Christians for Mission auch der Umgang mit Geld. In den organisationalen Zielen des Eintrags in New York heisst es, man wolle Bedürftige mit «Missionsdiensten und Einsätzen in der Gemeinde» unterstützen. Damit ist laut Peter jedoch keinesfalls Wohltätigkeit im traditionellen Sinn gemeint. Paul Kim betone nämlich, dass materielle Unterstützung für Bedürftige sinnlos sei. Es helfe den Menschen viel mehr, wenn man sie geistig unterstütze, indem man sie zur Teilnahme an Bibelkreisen motiviert. Sind sie einmal in bei Christians for Mission dabei, müssen sie auf verschiedenen Wegen ihre Dankbarkeit zeigen, auch durch «Opfergaben» oder Konferenzgebühren, die ausschliesslich bar gezahlt werden. Wie das Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaft ist, sei den Mitgliedern schleierhaft. Jedenfalls gelange das Geld über mehrere Konten von Brüdern zu seinem Ziel: Paul Kims Konto. Während alle anderen Mitglieder keinerlei Entschädigung für ihre Dienste bei Christians for Mission erhalten, lebt Paul Kim ausschliesslich vom Gemeindebudget.

Taktisches Vorgehen

Für Eva und Peter dauerte es Jahre, bis sie sie die zahlreichen Unklarheiten und Widersprüche bei Christians for Mission erkannten und sich ablösten. Sie berichten von einschneidenden Erlebnissen, durch die sie langsam aber sicher an der Gruppierung zweifelten. Auf subtilem Weg hatte Paul Kim dafür gesorgt, dass sie sich von ihrem restlichen sozialen Umfeld isolierten. Beispielsweise fänden die Konferenzen nicht ganz zufällig so statt, dass sie sich mit typischen Familienzusammenkünften wie Weihnachten überlappen. Zu Beginn erschien Peter und Eva vieles freiwillig. Erst schleichend merkten sie, dass sie bekanntes Vorgehen nicht in Frage stellen durften. Letztlich handelt es sich bei Christians for Mission um eine Gemeinschaft, die ihren Mitgliedern eine Richtung und einen Sinn verspricht, wofür sie im Laufe der Zeit teuer bezahlen.

Julia Sulzmann, 07.12.2023

Lexikoneintrag Christians for Mission

Beitrag vom 15.03.2023: Unbekannte Gemeinschaft missioniert an Schweizer Universitäten