Fundamentalistische Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage

Fundamentalist Church of Jesus Christ of Latter-Day Saints; kurz FLDS

Im Jahr 1954 teilte sich die Gemeinschaft des Council of Friends und ein Teil folgte Leroy Sunderland Johnson, auch Uncle Roy genannt, der die Fundamentalistische Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzen Tage (FLDS) gründete. Der neue Name wurde jedoch erst etwa 30 Jahre später offiziell gebraucht und die polygame Gemeinde sah sich immer noch als Council of Friends. Die ersten erneuten Abspaltungen gab es durch die Einführung der Ein-Mann-Doktrin. Gemäss dieser wurde die Struktur der Kirche geändert und neu soll nur ein Mann über die Kirche und das Priestertum herrschen. Johnson bezeichnete sich selbst nie als Prophet. Unter Johnsons Leitung erfolgte der „Short Creek raid“ bei dem die Nationalgarde des US-Bundesstaats Arizona die Mitglieder der Gemeinschaft verhaftete oder in Gewahrsam nahm. Ein paar Eltern wurde das Sorgerecht entzogen, die meisten Familien schlossen sich in den folgenden Jahren jedoch wieder zusammen. Die FLDS ist heute in kleinen Gemeinden in Utah, Arizona, Texas, Colorado, South Dakota und in Kanada anzutreffen.

Nach dem Tod von Johnson wurde die Führerschaft im Jahr 1986 an Rulon Jeffs übergeben. Die Herrschaft blieb bis auf den prophezeiten Weltuntergang in der Jahrtausendwende skandalfrei. Im Unterschied zu Johnson sah sich Jeffs als Prophet der Gemeinde an. Zum Zeitpunkt seines Todes im Jahr 2002 soll Rulon Jeffs 20 bis 75 Frauen und 60 bis 65 Kinder gehabt haben.

Die Ein-Mann-Doktrin machte die Bestimmung eines Nachfolgers schwer, da keine organisierte Hierarchie existierte. Während den letzten Jahren von Rulon Jeffs Leben erklärte sich sein Sohn Waren Jeffs als Sprecher, Helfer und Berater des Propheten. Zusätzlich hatte sich Waren Jeffs als Leiter der United Effort Plan (UEP), die eine von der Kirche geleitete Organisation für die Vermögensverwaltung der FLDS ist, etabliert. Durch seine bereits ausgeübte Macht wurde er als Nachfolger ernannt und akzeptiert. Eine der ersten Taten als neuer Prophet und Präsident war es, alle Frauen von seinem Vater und Vorgänger zu heiraten.

Kurz nach seiner Ernennung kamen die ersten Vorwürfe gegen Jeffs auf. Ein paar seiner Kinder und Nichten sowie auch andere FLDS-Mitglieder beschuldigten Jeffs, sie sexuell missbraucht zu haben. Er stellte sich später heraus, dass Jeffs während seiner Zeit als Direktor einer FLDS-Schule etliche Kinder missbraucht hatte. Als Prophet arrangierte er die Heirat von minderjährigen Mädchen und wurde dafür angezeigt. Eine von Waren Jeffs spirituellen Ehefrauen war zwölf Jahre alt. Die FLDS und Waren Jeffs wechselten ihren offiziellen Standort nach Eldorado, Texas und erbauten dort den „Sehnsucht nach Zion“- Tempel. Der Standortwechsel soll unter anderem durch das in Texas geltende legale Heiratsalter von 14 Jahren motiviert gewesen sein.

Warren Jeffs wurde im August 2006 verhaftet und im September 2007 und Januar 2011 verurteilt. Er sitzt eine lebenslängliche Freiheitsstrafe für verschiedene Sexualgewalt-Delikte ab.  Er soll mit bis zu 87 Frauen verheiratet sein und mindestens 60 Kinder haben. Viele seiner Kinder oder ehemaligen Frauen sind zwischenzeitlich aus der FLDS ausgestiegen. Waren Jeffs bleibt Präsident und Prophet der FLDS.

Der Glaube der FLDS ist sehr konservativ. Das Wort des Propheten ist Gesetz und niemand widerspricht ihm. Der Prophet wird als Heiliger und direktes Sprachrohr Gottes angesehen. Kritiker werden aus der Gemeinschaft verbannt und geächtet. Viele Mitglieder glauben, dass Jeffs‘ Verurteilung unrechtmässig war und ihr Prophet bald freigelassen wird. Die Gemeinschaft wird aufgefordert, für die Freilassung des Propheten zu beten. Warren Jeffs meint, dass seine Freilassung noch nicht erfolgt sei, weil die Gemeinschaft nicht gläubig genug sei.

Die Befehlsgewalt des Propheten kommt auch bei privaten Beziehungen der Gläubigen zum Tragen. Unter dem „Law of Placing“ sollen sich junge Frauen bei der Führung der Kirche melden, wenn sie bereit für eine Heirat sind. Der Prophet wird den rechtmässigen und von Gott gesandten Ehemann für die Frauen finden und die Ehe arrangieren. Laut Erfahrungsberichten von Aussteigern und Aussteigerinnen fanden solch arrangierte Ehen auch ohne die Bereitschaft der jungen Frauen statt und der Prophet oder ihr Vater nahm diese Entscheidung für die Frauen beziehungsweise jungen Mädchen ab. Diese Vorgehensweise hatte zur Folge, dass die weiblichen Mitglieder älteren und angesehenen Männern der Gemeinschaft zugeteilt und deren zigfache Frau wurden. Die jungen Männer blieben alleinstehend und Aussteiger/-innen berichten, dass die grosse Anzahl von Ächtungen bei männlichen Mitgliedern direkt damit zusammenhängt. In den letzten Jahren soll es keinerlei Heiraten in der FLDS-Gemeinschaft gegeben haben, da Prophet Jeffs die Eheschliessung ohne sein Beisein verboten hat. Zusätzlich hat er den verheirateten Mitglieder verboten intim zu sein. Deren Ehen seien durch die Verhaftung des Propheten ungültig geworden und müssen nach seiner Freilassung neu gesegnet werden.

Waren Jeffs predigte, dass für den Einlass im Himmel mindestens drei Ehen geschlossen werden müssen (dies gilt nur für den Mann; ein Mann muss mindestens drei Frauen haben). Je mehr Frauen ein Mann hat, desto näher ist er dem Himmel und Gott.

Die FLDS lebt von der Aussenwelt abgeschieden in eigenen Gemeinschaften in US-Bundesstaaten und Kanada. Durch die Kleidung sollen sich die Mitglieder von der Gesellschaft abheben und der Welt offen zeigen, dass sie polygame Mormonen sind. Besonders auffallend ist der Kleindungstil der weiblichen Mitglieder. Sie tragen lange Präriekleider, die den Körper von den Armgelenken bis zu den Knöcheln bedeckt. Dies kommt vom Glauben, dass der Körper als heiliger Tempel angesehen wird und nicht gezeigt werden soll. Die Haare werden in Zopffrisuren geflochten und sollen nicht geschnitten werden. Die männlichen Mitglieder kleiden sich sehr bescheiden mit Hemden und Stoffhosen oder Jeans.

Seit Jeffs an der Macht ist, wurden alle Unterhaltungsmittel, darunter auch Spielzeuge, verbannt. Des Weiteren verbot er, dass die Kinder der FLDS öffentliche Schulen besuchen, da diese einen schlechten Einfluss haben. So erhielten die jungen Mitglieder ihren Schulunterricht zu Hause oder von Führungsmitgliedern der Kirche sowie Warren Jeffs selbst. Aussteiger/-innen berichteten, dass unter anderem gelehrt wurde, dass der Prophet Jeffs Präsident der USA sei. Eine Nachahmung der FLDS, insbesondere in diesen turbulenten Zeiten, ist in der TV-Serie „Big Love“ zu sehen.

Aussteiger/-innen werden von der Familie geächtet und Miglieder sollen keinen Kontakt zu Personen ausserhalb der Kirche haben. In der Gemeinschaft selbst bestimmt der Prophet, welche Mitglieder besonders heilig sind und welche an sich und ihren Glauben arbeiten müssen. So trennt der Prophet Familien und verteilt die Mitglieder auf verschiedene Grundstücke in US-Bundesstaaten. Viele Angehörige, die weggeschickt wurden, um an sich zu arbeiten, warten noch heute auf eine Antwort vom Propheten für die Wiedereingliederung in die Gemeinschaft. Neben oft veröffentlichten Interviews, Reportagen, Dokumentationen und Büchern sind Aussteiger/-innen auch in der TV-Serie „Escaping Polygamy“ zu sehen.

Die Gemeinschaft in Short Creek ist seit der Verhaftung von Warren Jeffs immer kleiner geworden. Es leben nur noch wenige Mitglieder dort. Da viele FLDS-Angehörige in andere US-Bundesstaaten umgesiedelt wurden und den Kontakt zur Aussenwelt umso mehr vermeiden, ist nicht klar, wie viele Mitglieder die Gemeinschaft noch zählt. Warren Jeffs ist jedoch weiterhin in Gefangenschaft sowie Prophet und Leiter der FLDS.

Das Oberhaupt der FLDS ist der Kirchenpräsident und Prophet. Unter ihm stehen Berater und Bischofe. Die FLDS änderte die ursprüngliche Struktur des Council of Friends und glaubt an die Ein-Mann-Doktrin.

Die Einnahmen werden der Kirche beziehungsweise der United Effort Plan (UEP), die eine von der Kirche geleitete Organisation ist, übergeben. Die Gebäude und Geschäfte gehören auch alle der UEP. Bei einem Rechtsfall im Jahr 2005 wurde das Vermögen der UEP auf 100 Millionen US-Dollar geschätzt.

Der Fakt, dass Polygamie gelebt wird,  bildet die erste Kontroverse. Von liberalen Stimmen lautet der Vorwurf, dass die Praxis der Vielehe die Menschen in den Untergrund zwang und so das Fenster für Kontroversen und Verbrechen öffnete. In der FLDS kommen sehr oft Zwangsheiraten und Kinderehen sowie daraus folgende Sexual-Delikte vor.

Durch das abgeschiedene Leben bleibt der Genpool sehr klein und Eheschliessungen zwischen verwandten Personen sind üblich. Dies führt zu verschiedenen Gendefekten, die in der FLDS-Gemeinschaft verbreitet sind.

Prophet Waren Jeffs glaubt, dass dunkelhäutige Personen das Böse auf der Welt verbreiten und ist ein strikter Gegner von Eheschliessungen zwischen verschiedenen Rassen. Die FLDS wurde deshalb von einer zivilrechtlichen Organisation als Hassgruppe verzeichnet.

Wie bei anderen polygamen Gruppen werden auch bei der FLDS Vorwürfe wegen des Missbrauchs von Sozialgeldern laut. Die spirituell verheiraten Frauen gelten als alleinerziehende Mütter und erhalten Sozialgelder vom Staat. Da viele der Frauen keiner zusätzlichen Arbeit nachgehen und so unter der Armutsgrenze leben, erhalten Sie noch weitere Leistungen. In der FLDS wird der Staat als korrupt und unglaubwürdig angesehen und durch die Annahme der Staatsgelder werde ein Beitrag zum Zerfall des Staates geleistet.

Laut einer selbstveröffentlichten Statistik hat die FLDS etwa 6000 Mitglieder. Die genaue Anzahl ist unklar.

Zurück zu Fundamentalistische Gruppierungen