Eindrücke zur Selbstdarstellung der E. Bertschinger als Uriella

Franz Schlenk, 1998

Eine akustische, vor allem aber eine visuelle Begegnung mit der Leiterin des Fiat-Lux-Ordens, dem ‚Sprachrohr Gottes‘ Uriella scheint mit hoher Regelmässigkeit eine typische Reaktion zu bewirken: Die Frau besticht erst einmal durch ihren Unterhaltungswert, sie scheint zu amüsieren und oft ungläubiges Gelächter zu ernten. Vielen dürfte es schwer fallen, sie ernst zu nehmen. Im Lachen distanziert man sich und in der Tat schafft es diese Gestalt offenbar seit Jahren, ihr Gegenüber so zu irritieren, dass nurmehr die Distanznahme oder – mehr oder weniger bildlich gesprochen – die Umarmung verbleiben dürfte. Im Folgenden soll eine Erklärung für dieses Muster versucht werden.

Uriella verkörpert meines Erachtens das Klischee der reinen Jungfrau in einer meisterinnenhaften Zuspitzung und irritierenden Paradoxie, denn immerhin ist Frau Bertschinger nicht mehr die jüngste und bereits mehrfach verheiratet. Die ‚Grossmamma‘ wirkt als Uriella in ihren weissen Röcken und dem Perlen- und Kopfschmuck wie ein süsses Erstkommunionsmädchen. Da sich das Alter aber bekanntlich trotz Verkleidung und Schminke nicht verbergen lässt, wirkt das auf mich wie eine schwülstige Heiligenfigur billigen südländischen Zuschnitts, die in ästhetischer Hinsicht nur das Prädikat kitschig verdient. Die visuelle Verjüngungskur geht halt in der Regel das Risiko ein, als Schiessbudenfigur entlarvt zu werden. Damit dürfte Frau Bertschinger aber natürlich nicht die einzige Frau sein, die in unserer auf Jugendlichkeit versessenen Zeit mit ihrem Alter zu kämpfen hat. Auf die Spitze treibt Uriella die Irritation meiner Meinung nach aber durch ihren weltanschaulich unüberbietbaren Anspruch. Als Wiederverkörperung der Maria Magdalena erhält sie nicht nur das Gewicht einer biblischen Figur, sondern rückt auch in nächste Nähe zu Jesus Christus, zu Gottes Inkarnation. Vermutlich nicht ganz unbewusst wird dabei mit gar nicht mehr so jungfräulichen Assoziationen gespielt, wurde doch in Maria Magdalena immer wieder die bekehrte Hure und Geliebte Jesu vermutet. Jedenfalls behauptet Uriella damit eine maximale Intimität zu Gottes Sohn. Die ‚Grossmamma‘ wirkt nicht nur äusserlich wie ein Erstkommunionsmädchen, sie beansprucht zwischen den Zeilen auch noch die Ehrenstellung der Geliebten Gottes im durchaus exklusiven Sinn.

Bei aller beanspruchten sexuellen Enthaltsamkeit Uriellas verbreitet sie dadurch meinem Empfinden nach doch eine latent erotisierte Aura. Dies zeigt sich mir auch in ihrem Verhalten und liefert vielleicht überhaupt einen Schlüssel zu ihrem Verständnis. Auf Kritik scheint sie mir gerne ungläubig lachend oder gehässig laut zu reagieren, nonverbal aber auch mit einer bekannten Flirtgestik: Sie büschelt ihre Röcke, schlägt den Kopf nach hinten, reckt ihre Brust nach vorn und streicht sich durchs Haar, so wie es dem weiblichen Stereotyp der attraktiven Selbstpräsentation entspricht. Siegesgewiss scheint sie sich damit ihrer eigenen Grösse und Unantastbarkeit zu versichern. Dadurch stärkt sie in mir den Verdacht, in Uriella einer – psychopathologisch gesprochen – histrionischen Persönlichkeit zu begegnen, die letztlich und unbewusst vor allem sich selbst in ihrer Grösse liebt, die ihren Körper beziehungsweise ihr Äusseres ins Zentrum stellt, die nicht leben kann, ohne um sich ein Aufsehen zu machen, die unterschwellig verführerisch wirken will und bei Ablehnung aus Kränkung sehr gehässig wird, die sich theatralisch benimmt und deren emotionale Äusserungen gekünstelt oberflächlich wirken. Die Theatralik würde in diesem Sinne auf jene Aufmerksamkeit zielen, die Frau Bertschinger existentiell im Übermass zu brauchen scheint, und reicht von der Gestik über die aufwendige Bekleidung bis hin zu einer meines Erachtens extrem unnatürlichen Mimik, die in einem auch auf Kritik hin durchgehaltenen, süssen Lächeln verzerrt und beinahe eingefroren erscheint. Zu dieser vermutbaren Selbstverliebtheit würde passen, dass sich Uriella ihren eigenen Tod schlicht nicht vorstellen kann und sogar nicht einmal eigene menschliche Grenzen wirklich einzugestehen bereit ist. Die silbrige Krone scheint keinen Kratzer zu erlauben, auch wenn sie nur aus Plastik ist.

Damit ist die eine sich mir aufdrängende Reaktion etwas umschrieben, die Distanznahme im irritierten Lachen, die aber wohl nur zu schnell auch in eine Distanznahme aus Verärgerung umschlagen kann, denn Uriella hält ihre implizite Aufforderung zur Bewunderung ja tatsächlich für angebracht und dies in einem Ausmass, das ihr vermutlich doch die meisten zu spenden nicht bereit sind.

Die gerade gegenteilige Reaktion der bereits angetönten ‚Umarmung‘ wäre dazu die andere Seite der Medaille und könnte die Faszination ihrer AnhängerInnen bezeichnen. Diese scheinen in Uriella viel weniger ein peinliches Moment wahrzunehmen, als vielmehr ein befreiend anderes, das an glückliche Kinderzeiten oder zumindest -hoffnungen erinnern dürfte, an die umsorgende liebevolle (Gross)mutter. Soviel ist jedenfalls klar: Wer bewundert werden will, ist abhängig von den Bewunderern und wird diese deshalb hegen und pflegen. Mit besonderer Liebe könnte sich Uriella ihren Treuen und Kranken deshalb widmen, weil sie – so mein letztlich doch ziemlich trauriger Verdacht – sich dadurch selbst lieben und grossartig spiegeln kann. Die AnhängerInnen würden sich damit aber in einer trickreichen Lage wiederfinden: Sie wären erwünscht, solange sie dem geforderten Soll entsprechen, müssten aber gehasst und gezügelt oder verstossen werden, wenn sie zu stören beginnen. Eine histrionische Persönlichkeit manipuliert ihre Anhängerschar zugunsten des eigenen Selbstwertes. Die liebevolle Amme dürfte sich dabei zeitweise in einen rachevollen Drachen verwandeln. Gemäss G. Schmid könnte die Funktion von Uriellas Untergangsvisionen in einer solchen sozialen Manipulation liegen (s. Artikel „Stellt bitte keine Bedingungen“).

So scheint Frau Bertschinger in ihrer Selbstpräsentation als Uriella ein Spektrum an unterschiedlichsten Assoziationszusammenhängen zu vereinigen, die in ihrer schillernden Gegensätzlichkeit faszinieren, einen in ihrer meines Erachtens naiven Konsequenz aber auch etwas ratlos lassen. Die Wälle von Maskerade und Theatralik, die Frau Bertschinger meines Erachtens unbewusst als Schutz- und Überlebensstrategie aufgebaut hat, wirken für mich so undurchdringlich, dass der verletzliche Mensch dahinter entrückt scheint. Mit einer guten Portion Mitleid für diesen ‚verschollenen‘ Menschen möchte ich Frau Bertschinger gerade im Gedächtnis an Jesus den Christus, der sich auch als Gottes Sohn verletzlich gezeigt hat, sagen, dass sie sich mit ihrer inszenierten Heiligkeit meiner Meinung nach Begegnungen verscherzt, die von echtem Respekt und wahrer menschlicher Liebe getragen sind. Vielleicht muss man sich auch fragen, ob Frau Bertschinger mit Uriellas Untergangsvisionen unbewusst auch etwas davon auszudrücken versucht, dass sie menschlich im eben angetönten Sinne in eine Sackgasse gekommen ist, aus der ihr wegen einer kaum denkbaren Rückkehr auf ‚das menschliche Mass‘ nurmehr eine ‚göttliche Explosion‘ verbleibt, beziehungsweise sie eine solche befürchtet. Frau Bertschinger könnte ahnen, dass sie es mit ihrer Uriellainszenierung übertrieben hat und unbewusst einen Zusammenbruch befürchten, der natürlich auf die Umwelt projiziert wird, weil ein eigenes Scheitern – im Gegensatz zu Christus am Kreuz – nicht eingestanden werden kann.

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