Besuch im Buddhist Vihara in Lenzburg

Louisa Bernet, September 2020

Ein kurzer Fussmarsch vom Bahnhof Lenzburg den Gleisen entlang führte zum sri-lankisch buddhistischen Kloster «Buddhist Vihara Zurich». Ich hatte im Vorhinein keine konkreten Erwartungen oder Vorstellungen an das Aussehen des Klosters, war aber dennoch überrascht über das ganz normal aussehende Schweizer Einfamilienhaus, dessen Garten noch hinter Büschen versteckt war. Dahinter ragten drei grosse Fahnenmäste hoch an denen die Sri-lankische, die Schweizer und die farbige Internationale Buddhistische Flagge hingen. Erst als ich um die Ecke kam und den Stupa entdeckte, zeigte sich das Gebäude als unverkennbar buddhistisch. Ein Stupa ist ein Bauwerk, dass den Buddha selbst, sowie seine Lehre, den Dharma, symbolisiert. Der grosse weisse Stupa des Buddhist Vihara Zürich war mit goldigen Tüchern dekoriert und lenkte meinen Blick regelrecht auf sich.

Ich betätigte die Klingel des Hauses, hinter welcher das Schutzkonzept gegen das Coronavirus aufgehängt worden war. Ein in Orange gekleideter Mönch mit kahlgeschorenem Kopf öffnete mir die Türe. Indem er seine beiden Handinnenflächen zusammenführte, begrüsste er mich mit der Grussgeste Namasté. Ich tat ihm die Geste nach. Wir beide hielten einen Moment inne. Sofort spürte ich die Ruhe des Klosters, welche mich auch in Reisen nach Südostasien immer wieder in den Bann gezogen hatten. Ich trat in den kleinen Eingangsbereich ein und folgte den Anweisungen des aufgehängten Schildes, wo draufstand «Schuhe ordentlich hinstellen».

Der Mönch führte mich in den grossen Tempelraum, der eine Küche, einen Esstisch und zahlreiche Bücher beinhaltete. Wir setzten uns zusammen an den Esstisch, wo er sich als Bhante Ariyaseela vorstellte. Bhante Ariyaseela ist sri-lankischer Herkunft, etwa 40 Jahre alt und einer der beiden Mönche mit permanentem Wohnsitz im Kloster. Ich war zu jener Zeit noch die einzige Besucherin des Abends, sodass er sich Zeit für mich nehmen konnte. In einem starken Akzent versuchte er mir innerhalb von 10 Minuten die Grundsätze des Buddhismus zu erklären. Dieser unmöglichen Aufgabe ging er nach, indem er zuerst die fünf Fähigkeiten des Buddhismus aufzählte: Vertrauen, Energie, Achtsamkeit, Sammlung und Weisheit. Zudem sei die Praxis des Buddhismus zentral. So sei es eine gute Sache, dass ich den heutigen Meditationskurs, in welchem die Fähigkeit Achtsamkeit erlernt werden würde, besuche. Pünktlich um 19 Uhr forderte mich Bhante Ariyaseela dazu auf eine Kerze auf dem Schrein anzuzünden.

Während unserem Gespräch betrat ein junger Mann westlicher Herkunft den Tempelraum. Offensichtlich war dies nicht sein erster Besuch im Kloster, da er sich sofort vor dem Schrein niederkniete und daraufhin die vielen Kerzen als Vorbereitung für die Meditation anzündete. Auf dem Schrein waren zwei Buddha-Statuen platziert worden. Links sass ein goldiger Buddha, der seine Hände in der Geste der Lehre hielt: Daumen und Zeigefinger der linken Hand halten den Zeigefinger der Rechten. Das Zentrum bildete jedoch ein klassischer Buddha in einem orangen Gewand, dass jenem des Mönches ähnelte. Dieser Buddha legte seine beiden Hände übereinander in der Geste der Meditation. Er wurde links und rechts von einer jeweils gelben und einer blauen Mönch-Statue angebetet. Rundherum war der Schrein mit zahlreichen Blumen und Kerzen dekoriert worden. Die Handgesten der beiden Buddhas symbolisierten unser Vorhaben des Abends – die Meditation und die Lehre.

Bhante Ariyaseela, der junge Mann, ein weiterer per Skype zugeschalteter Mann und ich sassen zu viert in einem Halbkreis vor dem Schrein. Der Laptop, auf welchem ab und an Geräusche des Mannes hörbar waren, sass auf einem eigenen Kissen. Wir begannen mit der Dhamma-Lehre, indem wir einen Ausschnitt aus dem Pali-Kanon lasen. Dieser ist in der Literatursprache Pali verfasst und beinhaltet die überlieferte Sammlung von Lehrreden des Buddhas. Der Mönch und der junge Mann lasen den Abschnitt in Originalsprache. Obwohl rechts davon die englische Übersetzung niedergeschrieben war, wurde ich abgelenkt durch die Ankunft eines weiteren, in Rot gekleideten, Mönches. Dieser setzte sich zu meiner Linken, verbeugte sich vor der Buddha-Statue und wartete geduldig bis die Lesung der Lehre vorbei war.

Der neuangekommene Mönch stellte sich als Bhante Tikino Laung Pee Zäm vor. Er ist ein diplomierter Meditationscoach aus Thailand, der im buddhistischen Kloster in Gretzenbach lebt und für die jeweils am Dienstagabend stattfindenden Meditationsabende nach Lenzburg kommt. Seine Aufgabe ist es dabei die Meditation zu leiten und Neulingen wie mir zu erklären. Die Meditationsart des Abends war die Samata-Vipassana Meditation, die Konzentrations-Einsichts Meditation. So soll die Einsicht in die drei Daseinsmerkmale Unbeständigkeit, Leidhaftigkeit und Nicht-Selbst entfaltet werden, sodass das verursachte Leiden überwunden und das Leben ins Nirwana erreicht werden kann. Die Übung der Achtsamkeit ist dabei zentral. Bhante Tikino Laung Pee Zäm nahm sich somit Zeit um mir die Wichtigkeit dieser Praktik zu erklären. So soll die Gegenwart bewusst wahrgenommen werden ohne durch Emotionen, Gedankenströme oder Erinnerungen abgelenkt zu werden. Die Objekte dieser Wahrnehmung, die auf keinen Fall bewertet werden sollen, sind der Körper, die Gefühle, der Geist, sowie die Geistesobjekte. Der Mönch bat uns die Augen zu schliessen.

Als Erstes sollte jedes Körperteil einzeln wahrgenommen werden. So bewegten wir uns in unseren Gedanken von unseren Zehenspitzen aufwärts bis zum Kopf. Die Ablenkung in diesem Teil der Meditation war noch gering, da wir vom Mönch geleitet wurden. Erst als alle Körperteile durchgenommen wurden und wir still dasassen und uns auf den Moment konzentrieren mussten, merkte ich, wie mein Gedankenstrom immer wieder abgelenkt wurde. Der Mönch, dem wohl bewusst war, dass Achtsamkeit geübt werden muss, gab mir ab und an Tipps. So sollte ich beispielsweise meinen Atem kontrollieren, indem ich bewusst mitzählte. Die vergangene Zeit während der Meditation einzuschätzen ist schwierig, da die komplette Stille und Dunkelheit in mir eine gewisse Verwirrung hervorbrachten. Etwa in der Hälfte, nach 30 Minuten, wurden wir angewiesen, uns selbst, einer geliebten Person, einem Feind und schlussendlich der gesamten Welt Glück zu wünschen. Die Wünsche stellten ideal das Bild des gewaltfreien und friedliebenden Buddhismus dar, sodass sogar dem Feind nur das Beste gewünscht wird.

Bhante Tikino Laung Pee Zäm forderte uns nach einer Weile auf, die Augen wieder zu öffnen. Mit Staunen stellte ich fest, dass eine ganze Stunde vergangen war, seitdem wir die Augen geschlossen hatten. Es hatte keinen Moment der Langeweile gegeben. Als ich wieder mit geöffneten Augen dasass, fühlte es sich an, als ob ich Sport getrieben hätte. Ich fühlte mich so erschöpft wie nach einem Sprint, obwohl ich in der Realität lediglich eine Stunde mit gekreuzten Beinen am Boden gesessen war. Der Mönch stellte die Schwierigkeit der Achtsamkeit danach bildlich dar. Vor ihm dekorierte eine Orchidee den Boden. Zuhause in Thailand besitzt er eine Orchideenfarm mit Tausenden von Orchideen, sodass Erinnerungen und Gedanken in ihm aufgeworfen werden wenn er die Orchidee im Kloster sieht: Gedeihen die Orchideen in Thailand? Wie geht es seiner Familie, welche die Pflanzen pflegt? Wann würden Reisen nach Thailand wieder möglich sein? Diese Gedanken sollen aber abgeschaltet werden. Man solle sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Anschliessend lasen wir nochmals einen Ausschnitt aus dem Pali-Kanon. Dieses Mal konnte ich mich eher auf die englische Übersetzung konzentrieren, sodass mir die Kernaussage schnell bewusst wurde – die Wichtigkeit der Liebe.

Am Ende wurde ich von Bhante Ariyaseela eingeladen, jeweils an den Meditationsabenden in Zürich teilzunehmen, was ein wenig näher an meinem Wohnort wäre. Ich wurde sehr herzlich von den beiden Mönchen verabschiedet und lief am Stupa vorbei zum Bahnhof. Im Zug versuchte ich die Praxis der Achtsamkeit nochmals anzuwenden, da es mir für die Psyche sehr gesund scheint – besonders als Alternative zum Griff zum Handy. Da die Achtsamkeit aber nicht unbedingt nur eine buddhistische Praxis ist und potentiell von jedem ausgeübt werden kann, ist das Üben für eine nicht-buddhistische Person vielleicht einfacher an einem anderen Ort, wo das Zugehörigkeitsgefühl grösser und die Sprachbarriere kleiner ist. Es gibt mittlerweile schliesslich viele Angebote in diesem Bereich. Trotzdem gefiel mir die Authentizität des Buddhist Vihara Zurich, das besonders für die sri-lankisch buddhistische Bevölkerung der Schweiz sicherlich eine gute Anlaufstelle darstellt.

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