Gebetspfeife rauchen und Trommelreise zum Krafttier – Erfahrungen mit Schamanismus

Elisa Bruder, 2018

Als Schamanismus wird die Religion zahlreicher traditionaler Völker auf allen Kontinenten bezeichnet. Vermutlich reicht der Schamanismus weit in die Menschheitsgeschichte zurück. Typisch für den Schamanismus ist die Vorstellung, dass neben der sichtbaren weitere Welten existieren, welche durch einen veränderten Bewusstseinszustand erfahren werden können. Zentral ist die Figur des Schamanen, des Experten für diese Bewusstseinsreisen, der in seinem sozialen Umfeld als Berater, Heiler und Wahrsager wirkt. Moderner Neoschamanismus geht davon aus, dass die Fähigkeit des Schamanen zur Wahrnehmung anderer Welten jedem Menschen zugänglich ist.

Der Schamanismus wird immer präsenter in unserer Gesellschaft, ich fragte mich, was genau den Schamanismus denn so interessant und anziehend macht, also meldete ich mich für ein schamanisches Schwitzhüttenfest im September 2018 an. Ich war sehr aufgeregt und wusste nicht, was mich erwarten würde. Meine Freunde und meine Mutter waren nervös und hatten Angst, dass ich zu irgendwas bekehrt werden oder zusammenbrechen würde, oder irgendwelche Drogen eingeflösst bekäme.

Am 24. September machte ich mich auf den Weg nach Biberstein im Aargau. Ich fand das kleine Anwesen von Andi Schild, diplomierter Kletterlehrer mit langjährigen Ausbildungen im Schamanismus bei und mit den Ureinwohnern Nordamerikas und Kanadas. Ich war eine der Ersten, die angekommen waren, und traf auf Andi und einen Freund, den Feuermeister. Die Begrüssung war herzlich, aber nicht künstlich überschwänglich. Nach etwa zehn Minuten und etwas Smalltalk waren alle da: Fünf Personen plus Zeremonienleiter Andi Schild.

Nachdem ich vom Bio-WC, einem Eimer in einem Holzhäuschen hinter der Hütte, Gebrauch gemacht hatte, wurden wir ins Zelt eingeladen. Es war sehr heimelig, geschmückt mit Lichterketten, Traumfänger, Kissen und Sofas, Figuren und Verzierungen. Wir machten es uns gemütlich und begannen mit einer Vorstellungsrunde, in der wir unsere Motivation und Beweggründe, an einem Schwitzhüttenfest teilzunehmen, mit den anderen teilen sollten. Ich war nicht die einzige, die das erste Mal schamanische Erfahrungen machen sollte. Die ganze Gruppe war sehr freundlich und auch humorvoll, es entstand eine grosse Vertrautheit und ein freundschaftlicher Umgang.

Nach dem Einstieg begaben wir uns in die Schwitzhütte: Eine Lehmhütte, zirka zwei Meter hoch, mit Holzspänen ausgedeckt und von Andi selbst erbaut, die als Zeremonien- und Ritualort gebraucht wird. Barfuss krochen wir alle nacheinander in die Hütte. Die Frauen nahmen auf der linken Seite Platz, die Männer auf der rechten, so soll der Energiefluss in der runden Hütte gewährleistet werden. Jeder brachte seine eigene Decke mit und richtete sich ein kleines Plätzchen ein. Viel mehr Menschen als sechs hätten darin wahrscheinlich nicht Platz.

In der Mitte des Kreises waren vier Kerzen aufgestellt, für jede Himmelsrichtung eine. Vier ist eine magische Zahl bei den Indianern, sie steht zum Beispiel für die vier Himmelsrichtungen, die vier Extremitäten am Körper oder die vier Jahreszeiten.

Andi begann von seinen Reisen und Erfahrungen mit den Indianern in Amerika zu erzählen. Er verbrachte lange Zeit mit dem Volk der Blackfoot und kam dort auch zu seiner Gebetspfeife als Geschenk von einem Stammesangehörigen. Er erklärte uns, dass Schamanismus keine allgemein gültige Definition habe, und er fügte an, dass er verschiedene Techniken miteinander verknüpfe, persönliche Vorlieben und auch eigene Gedanken einbringe.

Die Zeremonie begann mit Salbei, den Andi anzündete. Mit dem entstehenden Rauch reinigte er seinen Körper. Das Salbei-Töpfchen wurde herumgereicht und wir alle taten dasselbe. Begleitet wurde dieses Reinigungsritual durch ein indianisches Flötenspiel von Andi. Danach wurden Lieder gesungen, die vor allem aus „heyyaa heyyaa“ und anderen Lauten und Wörtern in indianischer Sprache bestanden. Die Klänge waren wunderschön und der Raum wurde mit viel Wärme (und Salbeirauch) erfüllt. Allmählich fühlte ich mich wie ein Teil einer Gruppe Indianer irgendwo im Nirgendwo.

Anschliessend kam es zum Gebetspfeifen-Ritual. Andi erzählte uns von der Tradition des Weitergebens der Pfeife über Generationen. Etwas beängstigt fragte ich nach dem Inhalt der Pfeife. Er versicherte uns, dass nur Salbei, Tabak und Süssgras enthalten sei und er nicht mit irgendwelchen anderen Substanzen arbeite. Es gehe beim Rauchen vor allem um den entstehenden Rauch und die Geister, die sich darin eventuell zeigten. Andi reinigte die Pfeife mit Salbeirauch und begrüsste jede Himmelsrichtung. Zwischendurch sagte er immer wieder Wörter in der Sprache der Blackfoot. Das Mundstück der Pfeife sei, so erklärte Andi, der männliche, gebende Teil und muss in der rechten Hand gehalten werden, das andere Ende ist der weibliche, empfangende Teil und muss in der linken Hand (der weiblichen Seite) gehalten werden. Dann wurden wir aufgefordert, die Pfeife im Kreis zu reichen und während der Beigabe von Tabak einen innigen Wunsch auszusprechen. Danach wurde sie angezündet. Mit jedem Zug muss die Spitze der Pfeife gegen die Mitte gehalten werden. So sollen unsere Wünsche in Erfüllung gehen, jedoch nur, wenn man daran glaubt.

Auffällig war, dass Andi immer in der zweiten Person Singular gesprochen hat, so fühlte sich jeder immer sehr persönlich angesprochen.

Nun machten wir eine Trommel-Seelenreise. Dazu schlossen wir die Augen und lauschten den rhythmischen Trommelschlägen, um zum Innersten unserer Seele vorzudringen. Nach etwa fünf Minuten „weckte“ Andi uns mit viermal wiederholenden sieben Schlägen. Danach erzählte jeder von seinem Erlebnis, die Erfahrung sollte nämlich verbalisiert noch magischer wirken.

Nun bereitete er uns auf eine «schamanische Reise» vor. Andi nahm Bezug auf Michael Harners Kosmologie-Vorstellung: Es gebe drei Schichten der Welt: Die Obere Welt der Geistführer, die mittlere Welt der Menschen und der Natur- und Wassergeister und die Unterwelt (nicht zu verwechseln mit der Vorstellung eines Totenreichs). In der Unterwelt befinde sich unser persönliches Krafttier, das uns Kraft gibt, uns unterstützt und rettet. Wir sollten versuchen, mit unserem Krafttier Kontakt aufzunehmen. Die Auffindung des Krafttiers könne als eine Art Initiationsritual empfunden werden. Es gebe Zeiten und Orte, an denen die Grenzen zwischen Ober-, Mittel- und Unterwelt nicht klar trennbar oder nur dünnschichtig sind. Mögliche Passagen für den Einstieg in die Untere Welt sind zum Beispiel Jahreszeitenwechsel oder offene Stellen wie Quellen, Teiche, Höhlen oder Felsspalten, in die Obere Welt könnten etwa hohe Bäume führen. Diese Vorstellung eines Kosmos mit drei verschiedenen Welten finde sich bei zahlreichen traditionalen Völkern, weshalb sie von Michael Harner in seinen „Core Shamanism“ übernommen wurde, welcher die Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen schamanischen Vorstellungen herausarbeiten will. Seither ist die Idee der drei Welten im Neoschamanismus weit verbreitet.

Andi erklärte, dass für das Finden des Krafttiers der Einstieg in die Unterwelt das Wichtigste sei. Dafür brauche man einen Kraftort, ganz persönlich und vertraut, es sollte ein Ort sein, bei dem man zum Beispiel in einen See, Teich oder in ein Loch hinabtauchen könne. In einem fünfminütigen Trommelrhythmus sollten wir in uns kehren und diesen Platz suchen. Wieder wurde den anderen Teilnehmenden davon berichtet. Nun war es soweit, eine 20-minütige Reise zu versuchen. Ich legte mich hin, Andi bereitete uns vor. Die Trommelschläge begannen und der Rhythmus, die vier bis sieben Schläge pro Sekunde zählte, löste eine hypnotisierende Wirkung aus. Ich begann abzudriften und Raum und Zeit zu vergessen. Ich bemühte mich, im Geist zu meinem Kraftort zu wandern und dort hinabzusteigen, und ich fragte mich, was mich für ein Tier erwarten würde. Irgendwann gab ich auf und lauschte einfach noch den Trommelschlägen und dachte über das Mittagessen nach. Das war der Moment, in dem „der Verstand, der Kopf“ die Kontrolle nahm, was eben eigentlich vermieden werden sollte.

Als Andi uns wieder zurückholte, wurden die Erfahrungen miteinander mit dem Herumreichen der Gebetspfeife als einer Art Redestab geteilt. Zwei der Teilnehmenden sind einem Tier begegnet, der eine einem Schmetterling, der ihm jedoch wieder davongeflogen ist, die andere einem Adler, vor dem sie sich jedoch fürchtete. Andi lauschte allen Schilderungen und interpretierte auch das Eine oder Andere. Es entstanden tiefe Gespräche, immer wieder wurde aber auch gewitzelt, die Stimmung war ernst, aber nicht angespannt.

Die schamanische Seelenreise entspricht weitgehend dem Träumen, der Unterschied besteht jedoch darin, dass der Schamane kontrolliert und aufgrund eines bewussten Willensentscheides „träumt“. Kommunikation mit Hilfs- und Schutzgeistern „im Traum“ soll dazu führen, dass die Menschen aufs Leben vorbereitet würden.

Die Zeremonie wurde mit einem erneuten Herumreichen der Gebetspfeife beendet. Ich nahm übrigens nur wenige Züge und blieb lieber vorsichtig. Danach wurde erneut gesungen und getrommelt. Angenehme Gespräche wurden geführt und es wurde zum Essenteilen drüben im Zelt eingeladen, so wie Andi es von den Indianern gelernt hatte. Nach einer Weile verliess ich diesen Ort ohne Zeit und weg von der Welt irgendwo im Wald mit Bio-WC, und begab mich nach Hause in die Mittelwelt. Meine Haare dufteten noch immer etwas nach Salbeirauch.

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