Die Bahá’í – oder der Weg zur globalen Vereinheitlichung

Die Bahá’í-Religion (auch Bahá’ismus genannt) ist eine im 19. Jh. entstandene Religionsgemeinschaft, die ihre Wurzeln im schi’itischen Islam hat. Ihr Gründer ist der in Teheran (Iran) geborene Mírzá Husain Alí Núrí (1817-1892), der sich den Beinamen Bahá’u’lláh (»Herrlichkeit Gottes«) zulegte.

Die Bahá’í-Religion verkündet die Einheit Gottes, die Einheit der Religionen und die Einheit des Menschen­ge­schlechts in einer weltumspannenden Theokratie (Gottesherrschaft). Sie anerkennt die früheren Religionen (Judentum, Christentum und Islam) als göttlich in ihrem Ursprung, lehrt aber, dass Gott sich in Bahá’u’lláh als dem neuen Propheten (Erscheinung Gottes) für das heutige Zeitalter offenbarte. Alle früheren Religionen haben dem­nach ihre frühere Daseinsberechtigung eingebüßt, denn im gegenwärtigen Tausendjahrzyklus kann nur das Bahá’ítum die allein wahre Religion Gottes sein.

Die Gemeinschaft ist weltweit verbreitet (v.a. in den Ländern der Dritten Welt) und zählt gegen 6 Mio. Anhänger; in Europa jedoch nur wenige Tausend. Ihr Sitz befindet sich in Haifa (Israel), wo das »Universale Haus der Ge­rechtigkeit« (die oberste Führungsinstanz) die Geschicke des Glaubens leitet. Es ist mit absoluter Vollmacht aus­ge­stattet und unfehlbar.

Die Bahá’í erstreben die Durchsetzung ihres Glaubens als alleinige Universalreligion in einem zu schaffenden theokratisch verfassten Welteinheitsstaat. Ihr religiöses Gesetz, das weltweite Geltung beansprucht, ist enthalten im Kitáb-i-Aqdas, dem »Heiligsten Buch«, das seit 2000 auch in deutscher Übersetzung vorliegt.

Die Bahá’í verfügen über eine straffe Führungsstruktur. Der Organisation oder »Verwaltungsordnung« ist jeder Gläu­bige zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Wer sich ihr widersetzt, wird seiner »administrativen Rechte« ent­zogen oder aus der Gemeinschaft ausgeschlossen.

Nach außen zeigt sich die Bahá’í-Religion sehr modern, aufgeschlossen und tolerant. Betont wird u.a. die Gleich­heit der Geschlechter, doch kann eine Frau nicht in das »Universale Haus der Gerechtigkeit« gewählt werden. Auch im Ehe-, Scheidungs- und Erbrecht ist sie dem Mann untergeordnet. Das Strafrecht der Bahá’í sieht für ge­wis­se Vergehen die Todesstrafe vor. Dem rückfälligen Dieb ist ein bleibendes Brandmal auf die Stirn anzu­brin­gen. Diese und zahlreiche andere Bestimmungen stehen in deutlichem Widerspruch zur propagierten Modernität des Bahá’ismus, der den Anspruch erhebt, die zeitgemäße und allein gültige Botschaft Gottes im gegenwärtigen Äon zu sein.

Im kultischen Bereich bestehen zahlreiche Anleihen an den Islam, doch auch wesentliche Unterschiede zu die­sem. In den meisten islamischen Staaten ist die Bahá’í-Religion als Häresie verboten oder starken Ein­schrän­kun­gen unterworfen.

In der westlichen Welt betätigen sich die Bahá’í in zahlreichen interreligiösen Programmen. Diese dienen aber weniger der Verständigung unter den Religionen denn der Eigenwerbung, indem die Bahá’í von der Überzeugung ge­tragen sind, dass alle alten Systeme ohnehin versagt haben und nur ihr Glaube die Welt retten kann. Aus die­sem Grunde ist den Bahá’í auch jede politische Tätigkeit untersagt und sind sämtliche Aktivitäten der Gemein­schaft schwerpunktmäßig auf die Stärkung und den Ausbau der »Verwaltungsordnung« und auf die interne orga­ni­satorische Geschlossenheit fokussiert. Das anvisierte Ziel der totalen Weltherrschaft und die Errichtung einer glo­balen Theokratie wird aus taktischen Gründen aber kaschiert und nicht offen vorgetragen.

Die Geschichte der Bahá’í ist gekennzeichnet durch (teilweise auch blutig ausgetragene) innere Zerwürfnisse, sich wiederholende Nachfolgestreitigkeiten, gegensätzliche Führungsansprüche und Abspaltungen. Erst seit 1963 ist eine allgemeine Beruhigung der Lage zu verzeichnen. Seit Mitte der 1990er Jahr regen sich aber wieder ver­mehrt Widerstände gegen den hervorgehobenen Absolutheits- und Unfehlbarkeitsanspruch der Führung und ge­gen einen sich verhärtenden intransigenten Fundamentalismus. Die rigorose Kontrolle der Gläubigen und die frei­mütig gehandhabte Exkommunikationspraxis verhindern jedoch, dass innergemeinschaftlich auch kritische Stim­men zu Worte kommen.

Die Ziele der Bahá’í sind in vielem utopisch und unrealistisch. Vor allem die Vorstellung, dass ihr religiöses Gesetz (Kitáb-i-Aqdas) und eine auf ihm fußende internationale Weltordnung sich global wird durchsetzen können, ist angesichts der realen Möglichkeiten der Bahá’í und mehr noch vor dem Hintergrund einer pluralistischen und mul­tireligiösen Perspektive in allem wirklichkeitsfremd. Die Ziele der Bahá’í stehen gleichzeitig auch in einem un­ver­söhnlichen Gegensatz zu den Prinzipien einer säkularen, demokratischen und offenen Gesellschaft. So er­weist sich das Einheitsparadigma der Bahá’í bei genauer Betrachtung nicht als Fortschritt, sondern als Rückfall in längst überwunden geglaubte Absolutismen und religiöse Intoleranz, die dem freiheitlichen und ökumenischen Geist der westlich-abendländischen Zivilisation diametral entgegenstehen.

Ich gehörte in den siebziger Jahren selbst dem Bahá’ítum an. In der ersten Auseinandersetzung mit diesem richtete sich mein Interesse zunächst auf die wechselreiche Entstehungsgeschichte der Gemeinschaft. Ich musste aber feststellen, dass innergemeinschaftlich kaum zuverlässiges historisches Material greifbar war und ich somit vor allem auf wissenschaftliche Quellen aus den Bereichen der Islamistik, der Iranistik und der Religionswissenschaft angewiesen war. Dadurch eröffneten sich mir Einblicke, die zur glorifizierenden, hagiographisch verklärten und die historischen Fakten verdunkelnden resp. entstellenden offiziellen Geschichtsschreibung der Bahá’í stark kontrastieren. Schon früh erkannte ich auch die autoritären und zentralistischen Strukturen der Bahá’í-Organisation. Dabei entzündete sich mein innerer Widerstand an ihrem absoluten Führungsanspruch, an der geforderten unbedingten Gehorsamspflicht gegenüber den Institutionen und Funktionsträgern der Gemeinschaft und an der rigorosen Exkommunikationspraxis.

Dies alles veranlasste mich, die Bahá’í-Gemeinschaft wieder zu verlassen. 1981 legte ich im Quell Verlag Stuttgart eine umfassende Gesamtdarstellung dieser Religion vor: »Der Bahá’ismus – Weltreligion der Zukunft? Geschichte, Lehre und Organisation in kritischer Anfrage«. Dieser begegneten die Bahá’í vierzehn Jahre später in einer ebenso umfangreichen Gegenschrift: Schaefer/Gollmer/Towfigh: »Desinformation als Methode – Die Bahá’ismus-Monographie des F. Ficicchia« (Olms Verlag, Hildesheim 1995).

Der Bahá’ismus ist keine islamische Sekte; er ist eine eigenständige Offenbarungsreligion, die zum Islam, ihrer Mutterreligion, in einem ähnlichen Verhältnis steht wie das Christentum zum Judentum. Dennoch weist das Bahá’ítum Wesenzüge auf, die durchweg als sektiererisch einzustufen sind: Alleinigkeitsanspruch, innere Geschlossenheit, unbedingte Gehorsamspflicht gegenüber einer unfehlbaren und omnipräsenten Organisation, offensive Missionspraxis, universales Sendungsbewusstsein und Weltherrschaftsanspruch (= globale Theokratie), stark fundamentalistische und integralistische Tendenzen, Fixierung auf das eigene Religionsgesetz und Rückweisung einer laizistischen Rechtsordnung, geforderter Kirchenaustritt, Verbot politischer Betätigung, Ausweispflicht, Reisekontrollen usw.

Bei alledem muss dennoch festgehalten werden, dass im Bahá’ítum die Gläubigen keiner gezielten Indoktrination im Sinne einer »Gehirnwäsche« unterliegen. Es betreibt keine psychologische Schulung und zielt nicht auf eine psychische Abhängigkeit seiner Mitglieder. In ihren alltäglichen Lebensverrichtungen unterscheiden sich die Bahá’í in nichts von einer andersgläubigen Umwelt. Das Ziel besteht nicht in einer seelischen Vereinnahmung des Einzelnen, sondern in der kollektivistischen Erfassung der Gesamtmenschheit: in der Errichtung eines universalen Gemeinwesens unter dem Banner Bahá’u’lláhs und in der Durchsetzung des Bahá’ismus als der alleinigen Weltreligion.

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