Kritik an Scientology

In einer Sendung im Fernsehen wurde der Öffentlichkeitssprecher der Scientology Organisation Zürich gefragt, ob er irgendetwas an Scientology kritisieren könne. Er ist die Antwort schuldig geblieben.

Für jemanden, der selbst jahrelang in Scientology mitgearbeitet hat, ist diese Reaktion nicht unerwartet: ein Scientologe darf Scientology nicht kritisieren, weder in der Öffentlichkeit (das ist gemäss Scientology-Ethik ein Schwerverbrechen) noch wenn er mit sich selbst allein ist – ich würde sogar sagen, ein Scientologe kann Scientology nicht kritisieren.

Warum nicht? Natürlich wird Scientology gegenüber Scientologen wiederholt und konsequent als sehr positiv hingestellt: am Anfang jedes Kurses gibt es zum Beispiel einen Richtlinienbrief, in dem unter anderem gesagt wird, dass es keine ethischere Gruppe als Scientology gibt, dass Scientology die einzige Technologie ist, die die Menschheit vor dem dritten Weltkrieg retten kann, und einiges mehr in der Richtung. Schön – aber andere Gruppen reden auch positiv von sich selbst. Ein Unterschied ist jedoch, dass in anderen Gruppen gewöhnlich neben den herausgestrichenen positiven Aspekten auch innerhalb der Gruppe Kritik wahrnehmbar vorhanden ist. In Scientology gibt es das nicht.

Der Grund für die Probleme der Scientologen mit Kritik liegt tiefer: in Scientology wird gelehrt, dass jeder, der negativ über Scientology spricht, selbst Dreck am Stecken hat oder unter dem destruktiven Einfluss von Leuten steht, die Scientology kritisieren und demzufolge Dreck am Stecken haben. Kritiker von Scientology sind Verbrecher oder von Verbrechern beeinflusste Leute, die sich ihre Meinung nicht selbst machen. Das wird Scientologen immer wieder gesagt – in jedem einzelnen Fall, wo Scientology von Kritik gegenüber Scientology redet.

Wenn nun ein braver Scientologe kritische Gedanken gegenüber Scientology hat, dann ist ihm dieses „Wissen“ sehr präsent – nur Leute mit Dreck am Stecken kritisieren Scientology, und jetzt hat er selbst einen kritischen Gedanken, also muss er selbst sich irgendwo unethisch verhalten haben. Er geht in sich und schaut, wo er selbst sich nicht optimal verhalten hat: und, da Scientologen da strenge Massstäbe anlegen, wird er mit Sicherheit fündig – siehe da, Scientology hat recht, nur wer unethisch ist, hat kritische Gedanken.

Falls er die kritischen Gedanken sogar ausspricht, wird er ziemlich schnell beim Ethik-Officer landen, der ihm die obige Lektion beibringt – und auch dieser Scientologe findet, wenn nötig mit Hilfe des Ethik-Officers, wo er sich unethisch verhalten hat, und lernt, dass Scientology recht hat – nur wer unethisch ist, hat kritische Gedanken.

Ich habe selbst dreizehn Jahre so gelebt – diese Denkweise geht so in Fleisch und Blut über, dass jeder kritische Gedanke sofort abgeblockt wird. Und sie wirkt sogar nach einer Trennung von Scientology noch lange nach, sogar im Verhältnis zu völlig anderen Gruppen – ich habe einen kritischen Gedanken, also stimmt bei mir etwas nicht.

Es hat lange gedauert, bis ich diesen mentalen Kurzschluss analysieren konnte: Ja, jeder Kritiker von Scientology (oder irgendeiner anderen Gruppe oder Organisation) hat irgendwo Dreck am Stecken, aber das hat mit der Kritik nichts zu tun: der Grund ist ganz schlicht, dass jeder Mensch auf dieser Welt sich von Zeit zu Zeit einmal nicht ganz korrekt verhält. Oder bist du, lieber Leser, liebe Leserin, wirklich die Ausnahme von dieser Regel? Da nun jeder Mensch sich irgendwann unethisch verhalten hat, hat sich logischerweise auch jeder Kritiker irgendwann unethisch verhalten.

Aber – dieses unethische Verhalten dessen, der kritisch ist, steht in keinem zwingenden Zusammenhang mit der Kritik. Und noch weniger hat dieses unethische Verhalten damit zu tun, ob die Kritik begründet ist oder nicht.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: es gibt durchaus auch Kritik, die sachlich nicht korrekt ist – gegenüber Scientology wie gegenüber anderen Gruppen. Nur sollte sachlich nicht korrekte Kritik durch sachliche Argumente widerlegt werden können, und nicht durch Kritik am Kritiker. Und die Existenz von sachlich nicht korrekter Kritik schliesst nicht aus, dass es auch sachlich korrekte Kritik gibt.

Auch ein zu Recht verurteilter Sträfling kann erkennen, dass ein Gefängniswärter bestechlich ist – kann das kritisieren und damit recht haben, und er hat ein Recht, das zu kritisieren und sich dagegen zu beschweren.

Auch ein Staatsbürger, der den einen oder anderen Verstoss gegen das Strassenverkehrsgesetz auf dem Kerbholz hat, kann die Regierung kritisch betrachten und damit recht haben – er kann sich mit Gleichgesinnten zusammentun und politische Aktionen aufziehen.

Auch ein Katholik, der sich sehr wohl bewusst ist, dass er vor Gott und der Kirche ein Sünder ist, kann gewissen Aspekten der katholischen Kirche kritisch gegenüberstehen – die Kirche gesteht ihm dieses Recht ausdrücklich zu.

Ein Scientologe hat dieses Recht in Scientology nicht. Es gibt keine legitime Kritik an Scientology, an L. Ron Hubbard, an Scientology-Lehre, Scientology-Management, Scientologen im Allgemeinen – unter keinen Umständen (Ausnahme: es gibt legitime Kritik an Scientologen, die sich, gemäss offizieller Scientology-Linie Fehlverhalten haben zu Schulden kommen lassen – etwaige sehr seltene und nicht vertuschbare Missstände sind ausschliesslich solchen Leuten zuzuschreiben).

Scientologen sehen sich als die einzigen freien Menschen auf dieser Welt – aber die Freiheit, Scientology auch nur in nebensächlichen Fragen zu kritisieren, gehört nicht zur totalen Freiheit, die Scientology propagiert.

Für Nicht-Scientologen ist es nach dem Lesen dieser Zeilen vielleicht verständlicher, warum Scientologen auf Kritik so rabiat reagieren – warum Scientology jede Kritikfähigkeit abgeht. Sie können sich damit trösten, dass sich mangelnde Kritikfähigkeit auf die Länge gesehen, für jede Organisation nachteilig auswirkt, da dadurch viele Gelegenheiten zur Verbesserung wegfallen.

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