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  Sekten Definition - Strukturen - Hilfe - Prävention
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  Sekte trotz Bildung
aus: Leben und Glauben, Nr. 31 vom 31.7.97, S. 27
Frage
Ich lese von Mittelschullehrern, die zu Uriellas Fiat-Lux-Orden oder zur Universalen Kirche mit ihren antisemitischen Offenbarungen gehören. Warum treten auch sogenannt gebildete Leute in "Sekten" ein?

R. B. in 0.

Antwort
Nicht nur in den beiden erwähnten Gruppierungen finden sich gläubige Akademiker. In manchen Guru-orientierten Bewegungen, zum Beispiel unter den Anhängern Oshos alias Bhagwans mit ihrem Zentrum in Poona, Indien, sind Leute mit Maturität oder Universitätsstudium überall präsent. Bei der sogenannten Familie, den ehe maligen Kindern Gottes mit ihrem sexualneurotisch belasteten Propheten Moses Berg, finden sich einige ehemalige Mittelschüler und Studenten, trotzdem oder gerade weil der Prophet für kritisch denkende Leute unsinnige Lehren verkündet. Ähnliches gilt für viele andere sektenhafte Gruppierungen. Der sogenannte Sekteneintritt hat weniger mit Logik zu tun als mit Psycho-Logik. Dem Sekteneintritt geht ein uneingestandenes, oft sogar auch kaum sichtbares, totales Scheitern voraus. Der spätere hörige Jünger seines Meisters ist mit seiner Weisheit völlig gescheitert Er ist - vielleicht in seinen Beziehungskrisen, vielleicht in seiner beruflichen Orientierungslosigkeit und sicher auch in seiner Einsamkeit - in eine innere Leere und Sinnlosigkeit hineingeglitten, sodass ein weiteres Leben im bisherigen Stil unmöglich wird. Das spätere Sektenmitglied hofft auf eine radikale Wende, auf ein neues Lebensgefühl, auf neue Perspektiven, auf neue Gemeinschaftserfahrungen, auf ein neues Selbstwertgefühl. Genau in diese innere Leere und Orientierungslosigkeit wirft die Sekte ihre absolute, ihre rettende Wahrheit. Und wenn höchste absolute Wahrheit auf völlige innere Leere stösst, sind auch Akademiker bereit, ihre Kritikfähigkeit zu opfern und hörige Jünger ihrer Meisterinnen und Meister zu werden. Hörigkeit wirkt im Moment der Krise auf Akademiker oft besonders attraktiv. In der Hörigkeit wird das eigene Ich aufgehoben und ausgelöscht Die eigene Persönlichkeit verschwimmt im Wir-Gefühl der totalitären Gruppe. Das Ich löst sich im Kollektiv auf. Offensichtlich sind viele Zeitgenossen in Lebenskrisen "ichmüde". Sie haben erfahren, wohin sie dieses sogenannt mündige Ich führte: in die totale innere Leere und Sinnlosigkeit. Kein Wunder, dass sie jetzt bereit sind, möglichst ,"ichfrei" zu glauben und zu denken. Sie opfern das mündige und kritische Ich auf dem Altar der höchsten Wahrheit, weil jetzt nur noch die höchste Wahrheit der Gurus und Meister ihnen weiterhelfen kann. Natürlich fällt dieses Opfer manchen Jüngerinnen und Jüngern nicht leicht, vor allem weil Sekten dazu neigen, nicht nur dieses oder jenes Opfer den Gläubigen abzuverlangen. Das Opfer des bisherigen Berufs und der bisherigen Familienbande und Bekanntschaften zwingt den Gläubigen, sich zu entscheiden und sich nur denen zuzuwenden, die Zuwendung verdienen: den Erleuchteten oder den wahrhaft Gläubigen. Das Opfer des eigenen Körpers zeigt der Jüngerin oder dem Jünger, dass auch im Intimleben kein Raum für eigene Entscheidung mehr bleibt, dass das Intimste nicht soviel gilt wie die Weisung der Gruppe. In kleinen sektenhaften Gruppierungen wird die Gruppe zum Harem des Meisters, in grösseren Gruppierungen spielt die Gruppe Partnervermittlung oder gestaltet mit ihren Normen auch das sexuelle Verhalten der Anhänger. Kein Raum bleibt vom Zugriff der Gruppe verschont. Ähnliches gilt beim Sacrificium intellectus, dem Opfern des eigenen Verstandes an die sogenannte Sektendoktrin. Unterricht in Sektenlehre wird zum reinen Nachbeten der offiziellen Lehren. Kritische Anfragen sind nicht nur unerwünscht. Sie wären Zeichen mangelnder göttlicher Erkenntnis und mangelnder Liebe zum Meister. Wer aber will durch einen Mangel an Erkenntnis oder Liebe auffallen? Also wird auch die eigene Kritikfähigkeit bei entsprechendem Training auf dem Altar der Gruppe geopfert. Das Leben und Denken der Sekte ist ein permanentes Hörigkeitstraining. Dieses Training führt so weit, dass die Hörigen gar nicht mehr erkennen, wieviel sie in ihrem Denken und Leben an Mündigkeit und Persönlichkeit verloren haben. Sie sind und denken genau, wie die Gruppe denkt, und reden genau, wie die Gruppe redet, sie lachen genau, wie der Meister lacht und bekennen uns strahlend, sie hätten sich noch nie so frei gefühlt wie jetzt. Das ist - so scheint mir - der schrecklichste Erfolg des monatelangen oder jahrelangen Hörigkeitstrainings. Die hörigen Akademiker oder Nichtakademiker wünschen sich nur noch eines: ein Leben lang hörig zu bleiben.
Georg Schmid, 1997
Letzte Aenderung 1997, © L&G 1997, Infostelle 2000
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