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  Sekte - Versuch einer Begriffsbestimmung
1.Sekte traditionell: In traditioneller Sicht ist Sekte Abspaltung (secare) von der Kirche. Die Sekte ist (kath.) Häresie, d.h. Auswahl. Sie reduziert die umfassende katholische Lehre oder sie ist Irrlere. In protestantischer Sicht ist Sekte Gemeinschaft mit Bibel plus anderem Werk. Unausgesprochenes Modell der Sekte ist die andere Konfession.

2. Sekte in neuerer Sicht: Jede Gemeinschaft ist potentielle Sekte: Sekte ist eine Gemeinschaft, die sich selber überschätzt. Sektentendenz auf Stufe l ist das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, auf Stufe 2 besser zu sein, auf Stufe 3 die Überzeugung, alle sollten sich uns möglichst angleichen, auf Stufe 4 alleinseligmachend zu sein (die einzigen im Himmel), auf Stufe 5 die einzigen mit Lebensrecht auf Erden. Der Rest der Welt wird untergehen.Die Distanz zur ungläubigen Welt wird immer grösser. Auf Stufe 6 verkennt die Sekte die Umwelt und die eigenen Möglichkeiten völlig Sie verfällt nach aussen dem Verfolgungswahn und nach innen dem Allmachtswahn. Auf Stufe 7 treffen sich Allmachts- und Verfolgungswahn in einem Punkt, in einer Art kollektivem Amoklauf.

3.Sekte religionsgeschichtlich: Wenn Religionen sich ausbreiten, sich die Dynamik des Anfangs verliert und der radikale Glaube der Frühzeit zum Massenglauben der Spätgeborenen wird, finden sich immer wieder Bewegungen, die in die Radikalität des Ursprungs zurückfinden wollen und sich damit bewusst von der Massenreligion trennen. (Bsp. Donatisten, Mozabiten)

4. Hauptunterschied Kirchen und Sekten: Kirchen dämpfen ihre Sektentendenzen. Sekten sind viel ungehemmter Sekten. Die Kirche als potentielle Sekte bleibt potentielle Sekte, solange sie interne Kritik zulässt. (Der liberale Flügel garantiert für kontrollierte Sektentendenzen.)

5. Was bietet die Sekte?

5.1.Die Sekte ersetzt das zerfallende Dorf, das Dorf ersetzte den Stamm. Der archaische Mensch ist zuerst Stamm, dann Clan, dann Familie, dann Individuum. Der moderne Mensch ist fast nur noch Individuum. Der Sekteneintritt wirft das überforderte Individuum augenblicklich zurück ins archaische kollektive Menschsein. Der Eintretende sucht Auflösung des Ichs im Kollektiv, emotionale Stabilität in emotionaler Unsicherheit, ein embryonales Wohlsein (love bombing) und einen problemfreien Raum. Sekte ist eine Art lebenslänglicher Primärtherapie.

5.2.Die Sektenlehre gibt Antwort auf alle bedrängenden Fragen. Der Nichtsektierer weiss wenig. Der Sektierer weiss fast alles. Die lehrmässige Klarheit schenkt emotionale Sicherheit.

5.3. Das Sektenmitglied gehört zu einer religiösen Elite. Sektenzugehörigkeit steigert das Selbstwertgefühl ins Absolute. Zerbrochenes Selbstwertgefühl führt in andauerndes Scheitern. Absolute Bedeutung schenkt enorme Sicherheit.

6. Was fordert die Sekte?

6.1. Die Sekte versucht, moderne Menschen ins archaische Kollektiv zurückzuführen. Das gelingt ihr nur, wenn sie das Kennzeichen des modernen Menschen, die Kritikfähigkeit, systematisch verdrängt. Systematische Verdrängung der Kritikfähigkeit nennen wir Totalitarismus.Sekte verlangt kritiklose Identifikation. Sie schürt die Angst der Mitglieder hemmungslos. Angstbesessene Leute verzichten gerne auf Kritik. Die Aussenwelt wird vom Teufel beherrscht. 6.2.Der Totatalitarismus der Sekte wird rituell gestaltet.Jede Sekkte inzseniert Opfer. Sekte übt radikale Opferbereitschaft. Geopfert werden Geld, Beruf, bisherige Beziehungen, Anspruch auf Privatleben, Kritikbereitschaft, Individualismus, bisheriger Name, persönliche Kreativität. In dieser Opferbereitschaft wird das radikale "sequi" zum radikalen "secare" ("sich trennen").Sekte ist religiöse Gegenwelt. Landeskirche ist weitgehend weltkonform.

7. Ist das Urchristentum Sekte? Das frühe Christentum ist opferfreudig, aber nicht kritiklos guruhörig, es lebt brennende Nachfolge (sequi), aber keine Angst vor der Welt (kein secare).

8. Sekten sind gefährlich: 1. auf Stufe 5 bis 7, 2. immer für den Betroffenen, weil er Realitätsverlust erleidet, 3. für die Gesellschaft, wenn sie aggressive Minderheit oder lokale Mehrheit wird. Kirche muss Sektenströmungen im eigenen Haus richtig plazieren.

Georg Schmid
Letzte Aenderung 1997, © gs 1997, Infostelle 2000
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