Ein Besuch eines ehemaligen EBG-Mitglieds in der Freien Kirche Uster

Einige Erwartungen und Hypothesen

Die FKU liegt nicht weit von meinem Wohnort und ich fragte mich, wie die Menschen dort so sind. Also entschied ich mich, einen ihrer Gottesdienste zu besuchen, und machte mich am Sonntag um 9:24, damit ich auch ja nicht zu früh in den Gottesdienst um 9:30 ankam, auf den Weg in die Kirche. Ich befürchtete, dass ich zum Grund meines Kommens ausgefragt würde und wollte dies vermeiden.

Das Thema des Gottesdiensts war angekündigt als «Mit Freude die Ziellinie erreichen», und der Predigttext als Hebräer 12, 1-3. Ich dachte mir bei dieser Wortwahl schon, es gehe dabei um die Entrückung und das zweite Kommen von Jesus – Themen, von welchen ich schon so häufig hörte, dass es für mich nicht viel andere Optionen gab. Beim Verwenden des Hebräerbriefs war ich etwas überrascht, geht es doch dort eher darum, im Glauben weiterzukämpfen, was ja nichts mit der Entrückung zu tun hat. Zudem erwähnt er nicht sehr viel Freude, ausser, je nach Bibelübersetzung, die Vorfreude. Aber Ziellinie kann bekanntlich für allerlei stehen, und hier stand sie wohl doch nicht für die Entrückung, sondern einfach «das Ende». 

Als ich dann knapp vor Gottesdienstbeginn in die kleine Kirche am Aabach ankam, war der Raum bereits gut gefüllt, sowohl von älteren als auch von jüngeren Erwachsenen, und ich entschied mich, direkt auf die Empore zu gehen. Ein klarer Dresscode schien nicht vorhanden zu sein, einzelne waren eher elegant gekleidet, andere fast schon sportlich – letzteres besonders bei den jungen Erwachsenen. Ein Fokus auf «Bescheidenheit» fiel mir nicht auf, höchstens beim Ausschnitt, ich sah nämlich keine beträchtlichen. Beim Begrüssen jeder Person, die mir zufällig über den Weg lief, wie dies in so Gemeinden üblich ist, wurde ich von allen angestrahlt. Das war nicht weiter erstaunlich und ich kenne es von anderen Freikirchen. Etwas unangenehm war es mir aber dann doch. Zum Glück war ich so knapp vor Gottesdienstbeginn dort und musste nur den paar anderen, späteren die Hand schütteln.

Die Webseite der Freien Kirche Uster nennt «Mission» als einen für sie wichtigen Fokus. Entsprechend betrat ich den Gottesdienst mit der innerlichen Frage, wie stark ich hier dieses Bedürfnis nach Mission verspüren würde – im Sinne von, wie stark Gemeindemitglieder und der Prediger anfangen würden, mich zu ihrem Glauben zu bekehren, oder dies zumindest zu versuchen. Ich war mir bereits gewöhnt, dass in anderen Freikirchen ab Besuch einer neuen, vermutlich unbekehrten Person der ganze Gottesdienst nur von der Sündhaftigkeit der Menschen und der Notwendigkeit der Bekehrung handelten.

Tipps und Tricks zum Nicht-Austreten

In der Einleitung des Gottesdiensts, die diesmal ein Mann machte, fand ich heraus, dass ich wohl im Taufgottesdienst gelandet war. Ich wusste, dass im Juli einer stattfinden würde, war mir aber nicht bewusst, dass es genau jetzt war. In einer Taufpredigt würden wohl kaum missionarische Elemente, die zur Sündenbusse und Bekehrung aufrufen, vorkommen, und es blieb tatsächlich dabei, dass bis Ende Gottesdienst die «ungläubigen» Personen (gemäss FKU: Personen, welche noch nicht den Weg mit Jesus gehen) nur im Gebet erwähnt wurden. Im Gottesdienst ging es stattdessen um «Tipps und Tricks», im Glauben zu bleiben und nicht aus der Kirche auszutreten. Da ja auch die reformierte Kirche genügende Austritte zu verzeichnen hat, war ich sehr gespannt auf diese Aspekte und vergass dabei, dass ich mich gerade in einer Freikirche befand. Stefan Hardmeier, der aktuelle Prediger, listete mit teilweiser Unterstützung des Predigttexts im Hebräerbrief vier Aspekte auf: Gemeinschaft mit anderen Christen, Vorbild der älteren, «erfahreneren» Christen, das Überwinden von Sünden, und das Aufsehen zu Jesus. Und in diesem Moment fiel mir wieder ein, dass ich ja hier in einer Freikirche war. In der reformierten Kirche würde es wohl nicht reichen. Ob mich diese vier Punkte damals vom Austreten aus einer konservativeren Freikirche abgehalten hätten? Ich bezweifle es, gab ich doch mein Bestes, um alle vier bereits zu erreichen. Auch die «geistlichen Abkürzungen», die Menschen letzten Endes zum Austritt zu verleiten schienen, waren mir bekannt. Zu wenig Bibellesen, zu wenig Gebet, und zu wenig Gemeinschaft durch Gottesdienstbesuch, wobei letzteres notwendig war für die «Ermutigung und Korrektur». Ermutigung ist ja selbsterklärend, aber wie stark wird hier korrigiert? Das ist wohl schwierig einzuschätzen. Ein «Ermahnen vor der Gemeinde» kann genauso gut als «Blossstellen vor versammeltem Bekanntenkreis» beschrieben werden, egal, wie gut es gemeint wird. Wenn eine solche «Korrektur» unter vier Augen geschieht, ist es zumindest nur etwas unangenehm und für andere Menschen nicht (zwingend) ersichtlich.

Die Zukunft des Schlagzeugs

Einige typische Eigenschaften, die mir auffielen, war das Sprechen über Jesus als «unser Herr Jesus», die absolute Absenz des Genderns – nicht einmal nur maskulin und feminin, sondern alles im generischen Maskulinum – und, die Aussage, die ein Taufgehilfe tätigte: «Unser Herz ist böse.» Diese Aussage habe ich tatsächlich noch nie so gehört, und ich war genügend überrascht über so eine Wortwahl. Dass Menschen sündig sind, wird in Freikirchen nicht infrage gestellt. Aber ein böses Herz?

Typisch für «modernere» Freikirchen wurde der Gottesdienst von einer Power-Point-Präsentation untermalt. Dabei leider auch typisch: Das Anzeigen der Liedtexte ohne jegliche Noten. Ich weiss, Notenlesen können nicht alle, und das muss auch nicht so sein. Aber ich wüsste gern, wie das Lied notentechnisch in etwa aussieht, statt nur auf die beiden Mikrofontragenden zu hören und denen nachzusingen. Es gab auch einige Stellen, bei welchen der Rhythmus des Liedes auch für diese beiden unklar war, und die Gemeinde konnte nicht dem folgen, wo nichts war. Die allgemeine musikalische Untermalung war angenehm, es gab ein Klavier, jemanden mit einer Panflöte, und in der Ecke stand noch ein – diesmal nicht genutztes – Schlagzeug. Dort spielt anscheinend, wenn jemand spielt, auch ein über 70-jähriger Mann Schlagzeug. Es hätten sich wohl einzelne ein wenig darüber beklagt, dass es heute weniger rhythmisch war, aber wenn kein Schlagzeuger und keine Schlagzeugerin vorhanden ist, dann wird es schwierig. Wer wohl einst das Schlagzeug übernehmen wird?

«Sexuelle Unmoral»

Auch ganz klassisch war dann natürlich noch das Sprechen über «sexuelle Unmoral». Dieses Wort hört sich angenehm breit an, bezieht sich aber grundsätzlich auf alles, was nicht Sexualität im Rahmen einer Ehe zwischen einem Mann und einer Frau (idealerweise christlich) betrifft. Wie anzüglich man sich kleiden darf und inwiefern eine Frau schuldig ist, wenn sie einen Mann durch ihre Kleidung «verführt», wurde nicht erwähnt, und mit dem nicht vorhandenen Dresscode scheint auch nicht enorm viel Wert darauf gelegt zu werden. Auch was genau Sexualität alles beinhaltet, kann ein wenig gedreht und gewendet werden, was eben gerade passt. Klar ist: Sex vor der Ehe, Sex mit mehr als nur dem Ehepartner (gleichzeitig), Sex mit Gleichgeschlechtlichen, das alles ist sicher sündhaft, egal, wer alles einverstanden ist. Gott und «sein Wille» ja nicht.

Weder Bibel noch Notizen: Was ist los?

Von meiner freikirchlichen Zeit bin ich es mir gewöhnt, mir während des Gottesdiensts Notizen zu machen, und behalte dies auch in der reformierten Kirche, wenn möglich, bei. In der FKU schien es aber niemand zu machen, was vielleicht daran lag, dass sie ihre Gottesdienste jeweils aufzeichnen. Aus meinem Unileben weiss ich, dass die Aufnahmen sowieso niemand schaut, der schon anwesend war, auch wenn man es sich vornimmt, und fragte mich, ob es hier gleich sein könnte. Ein wenig schräg fühlte ich mich schon. Aber vielleicht erhielten Gemeindemitglieder die Power-Point-Präsentationen ja und konnten die dann nochmals eigenständig durchklicken. Die Bibel zu Hand hatte auch niemand, oder vielleicht sah ich diese einfach nicht, da ich ja auf der Empore war. Ein Gottesdienst von Gläubigen, ohne dass sie in der Bibel jeweils nach dem Vers suchten? Eine Eingrenzung der verwendbaren oder eine Empfehlung für die Bibelversion besteht nicht, Prediger Stefan Hardmeier wählte die Elberfelderübersetzung für diesen Gottesdienst, da sie eben am besten passe – und über einen «Wettlauf» spräche. Er wollte mit seiner Predigt ein Vergleich zum Ausdauerjogging schaffen, was für mich durchaus passte. Ansonsten verwenden sie allerlei, auf den Folien waren vor allem Schlachter 2000-Verse zu finden, was in meiner konservativen Gemeinde noch akzeptierte Verse waren.

Predigende Frauen? Die im Gottesdienst sprechen (dürfen)? Ein Kulturschock.

In den Taufbekenntnissen sprachen drei Leute, unter anderem eine Frau. Ich fragte mich also: Welche Positionen und Erlaubnisse haben Frauen in dieser Gemeinde? Dürfen sie Zeugnis ablegen, predigen? Ich erkundigte mich bei Stefan Hardmeier, dem Prediger. Es gibt organisatorisch zwei Gremien, der Vereinsvorstand, der etwa zur Hälfte aus Frauen besteht, und die Gemeindeleitung, der «Ältestenrat», der bewusst nur aus Männern besteht. Die Frau darf sich also grundsätzlich einbringen. Auch Zeugnis abzulegen ist erlaubt, und wird von Frauen auch während des Gottesdiensts häufiger gemacht als von Männern, wenn die Zeit bleibt. Die Einleitungen werden wohl auch häufiger von Frauen als von Männern gemacht und scheint diesmal nur ausnahmsweise ein Mann gewesen zu sein. Predigen tun sie nur, wenn sonst kein Mann kann oder will, im Sinne von: grundsätzlich ja, aber Männer bevorzugt. Selbst die Position der Frau als Mutter erstaunte mich: Mütter hätten nicht etwa zuhause zu bleiben und auf die Kinder aufzupassen, sondern auch ein Hausmann mit berufstätiger Frau sei eine Option. Da mische sich die Gemeinde weniger ein. Nur tägliche Krippenbetreuung sei gar nicht in ihrem Sinne, ein- bis zweimal die Woche gehe aber noch, wenn es denn nicht anders klappen kann. Die weibliche Position ist also bei ihnen nicht so stark wie in der reformierten Kirche, aber doch stärker als in anderen Gemeinden. Die Gemeinde scheint sich bewusst zu sein, dass Frauen doch auch etwas sagen möchten, und die Frauen dort scheinen sich ebenfalls wohl zu fühlen. Eine Bekannte bezeichnete die Frauen in der FKU gar als «emanzipiert». Aber ganz dieselben Rechte wie die Männer haben sie doch nicht. Auch nicht auf Events: Der «Manneträff» geschieht etwa alle zwei Monate, während der «Ladies Brunch» nur einmal im Herbst stattfindet. Vielleicht sind natürlich Frauen auch einfach besser darin, sich untereinander zu vernetzen, ohne einen solchen Event zu brauchen.

Die Taufe der Erwachsenen aus «gläubigen» Familien

Auffällig in den drei Bekenntnissen war auch, dass alle über sich selbst sagten, sie seien in einer «gläubigen» Familie aufgewachsen, und sie seien sehr dankbar dafür. Diese Aussagen waren mir schon sehr bekannt, und ich war damals etwas neidisch auf die anderen Kinder, die – ganz im Gegensatz zu mir – bereits in eine «gläubige» Familie geboren wurden. Heute bin ich froh, dass ich nicht in einer Freikirche gross geworden bin. Auch ihre Taufe machten sie nicht nur aus Liebe oder zur Bekennung, sondern, wie zwei der drei sagten, aus «Gehorsam zu Gott». Einer, der seine Taufe schon um einiges aufgeschoben hatte, erzählte, wie ein Bekannter mit ihm «über die Taufe sprach» und er sich dann dazu entschied, sie endlich zu machen. Ich kenne natürlich das Gefühl, wenn jemand mit einem über etwas «spricht», und fragte mich, was genau ihn dann überzeugt hatte. Er führte aber – verständlicherweise – nicht weiter aus. Eine Taufe ist schliesslich ein Bekenntnis zu Gott, und ein Gespräch mit einem Freund muss ja nicht ein Zwang sein.

Für die Taufe selbst gingen wir an den Aabach, einen Fluss, der mitten durch Uster fliesst. Am See fand wohl bereits eine andere Taufe statt, und der Weg wäre auch zu weit gewesen, um kurz zum See und wieder zurück zu gehen. Die drei hatten sich also wassertauglich umgezogen, alle mit weissen T-Shirts – vielleicht bewusst? – und wateten nacheinander ins Wasser. Der Prediger fragte jeden, ob sie an eine exakte Liste von Dingen – wie eben den dreieinigen Gott, Jesu Tod und Auferstehung, etc. – glaubten, und sobald sie sagten «Ja, ich glaube», kreuzten sie die Arme vor der Brust und liessen sich von Prediger und dem Taufgehilfen ins Wasser tauchen. Sie wurden natürlich direkt wieder hinausgenommen, komplett nass, und erhielten beim Auftauchen erst Applaus, dann ein «Gott segne ihn/sie»-Gesang der Gemeinde. Nach dem Taufen informierte ich den Prediger, dass ich einen Bericht für Relinfo schreibe, und noch einige Fragen hätte. Es ist tatsächlich schon länger her, seit ich das letzte Mal wegen «ein paar Fragen» mit einem Prediger sprach, und das Gefühl war entsprechend nostalgisch. Er zog sich aber erst um, also ging ich zu meinen Bekannten in ihr «Kafi nach dem Gottesdienst».

Christen auf Mission in der Gemeinde

Dort erzählte ich einem meiner Bekannten von meiner freikirchlichen Erfahrung, und dass ich für Relinfo da war. Er fragte also, wie es mit meinem Glauben im Moment aussähe. Um den Bericht nicht unnötig zu verlängern: Mein Glaube ist nicht sehr freikirchenkompatibel, und ich hätte ihn natürlich anlügen können, um Zeit zu sparen. Das war mir aber dann zu blöd und ich informierte ihn möglichst zeiteffizient. Er und meine andere Bekannte begannen also mit etwas, das sich wie ein «Missionierungsauftrag» ihrerseits anfühlte. Sie stellten zwar Fragen, aber bei vielen Fragen musste ich innerlich – teils auch äusserlich – etwas lachen, weil sie mir einfach so bekannt vorkamen. Einer der beiden tätigte die Aussage, dass die Bibel als einzige Schrift eine konsequente Geschichte erzählte und andere Schriften voller Widersprüche waren, und als ich ihn informierte, dass auch die Bibel Widersprüche beinhaltete, kam von der anderen Person die Frage, ob ich denn die Unterschiede zwischen Altem und Neuem Testament meine. Darüber hatte ich vor mehr als 8 Jahren mal in einem konservativ-freikirchlichen Gottesdienst eine Predigt angehört, also informierte ich sie, dass mir der Grund dafür durchaus bekannt war. Ich beschäftige mich aber ungern mit genauen Diskussionspunkten, um mit glaubenden Menschen zu diskutieren – es nützt sowieso nichts – und schlug die fortführende Frage, was ich denn genau meine, aus. Sie vertraten auch die Meinung, dass die Bibel als Gottes Wort bewahrt wurde. Als ich persönlich in meiner Jugend herausfinden musste, dass die Bibel sich ursprünglich mit dem Urchristentum weiterentwickelte, und Kirchengeschichte wohl wichtig wäre, um das alles nachzuvollziehen, war ich enttäuscht, und wollte mich also auf diese Diskussion auch nicht einlassen. Etwas unterhaltsam war es aber schon. Mit meinem Hintergrund, den sie ja durchaus kannten, könnte man ja sagen, ich kenne das Evangelium, und ich kenne die ganzen Argumente. Ich diskutierte sie ja mit meiner Familie, sogar meinem Biolehrer. Mich brachte es damals nicht vom Glauben ab, und meine Familie ebenso wenig zum Glauben. Der Biolehrer tat damals das einzig richtige und blockte die Diskussion ab, also versuchte ich es auch hier, indem ich sie informierte, dass mir das Evangelium bekannt war, und ich einen Zugang zu Gott wieder alleine finden müsste, wenn es denn so kommen würde. Ich fühlte mich in diesem Moment etwa bedrängt, und mein Abblocken war gar nicht erfolgreich, da sie dann kommentierten, ich solle doch die Bibel mal für mich alleine lesen. Was ich ja noch nie gemacht hatte, damals, als ich sie vollständig durchlas. Ich nahm beide nicht als böswillig wahr – sie sind eben beide überzeugt davon, dass der Mensch sündig ist, dass er Jesus als Retter braucht, um nicht ewig im Elend zu sein. Für Christen, die eine vergleichbare Überzeugung haben, ist der Missionierungsversuch teilweise sogar ein Zeichen von Liebe. Ich würde mich aber geliebter fühlen, wenn meine Grenzen respektiert würden, und wenn man mich nach klarem Ausformulieren meiner Stellung nicht zum Christentum zu argumentieren versuchte. Vielleicht hätte ich einfach «Stop» sagen sollen, wie es Kinder machen, oder das Thema komplett wechseln müssen. Wie es scheint, waren die beiden aber im Vergleich zur restlichen Gemeinde doch sehr missionarisch tätig. Bei anderen Gemeindemitgliedern, so erzählte mir der Prediger, würde er sich teilweise doch etwas mehr missionarischen Ansatz erwünschen. Ich persönlich bin ja froh, dass nicht die ganze Gemeinde so missionsfokussiert ist, ein Besuch dort wäre ansonsten viel anstrengender. Irgendwann hatte der Prediger sich umgezogen und tauchte wieder auf, um mich von meinem Leiden zu erlösen, oder alternativ: um über meine Fragen zu sprechen.

Ja zu Jesus als «freie Wahl»?

Ich setzte mich also mit ihm in ihr Kaffee draussen, in welchem sie jeweils unter der Woche für ein bis zwei Nachmittage offen hatten, und holte meine Notizen hervor. Ich stellte mich vor und erklärte meinen Hintergrund, dass ich in einer doch sehr konservativen Gemeinde war und jetzt für Relinfo schrieb. Im Rückblick hätte ich diesen Hintergrund vielleicht kurz auslassen können, bis er danach fragte, da mir ja die ganzen freikirchlichen Begriffe nicht fremd sind. Ich quetschte ihn also aus, zu ihrer Auffassung bezüglich Entrückung, zweites Kommen von Jesus, der Endzeit, Geistesgaben und der Wiedergeburt. Diese Begriffe sind alle unten erklärt, für alle, die keinen Hintergrund in Freikirchen haben. Die FKU spricht, teilweise zum Murren einiger Gemeindemitglieder, selten über die Entrückung und das zweite Kommen von Jesu, und Prediger Stefan Hardmeier gab mir gegenüber offen zu, dass er häufiger darüber sprechen könne. Er sei aber auch kein «Endzeitspezialist», und müsste sich zu allen drei Themen mehr einlesen. Sein Fokus liegt, so erzählt er mir, darauf, bei seiner Gemeinde die «Vorfreude» auf den Himmel zu wecken – was mit seiner Predigt inhaltlich übereinstimmt – und weniger einen «Zwang» auszulösen, wie ich es von meiner Zeit kenne. Er erzählt mir von der Geschichte der FKU, wie sie sich von der reformierten Kirche abspalteten, weil ein Pfarrer sagte, Jesus sei nicht leiblich auferstanden, dass sie wegen einer Änderung im Kantonsgesetz den Status als Minorität verloren, und dass sie jetzt eine «freie Freikirche» wären; voll und ganz. Sie sind zwar noch mit anderen Gemeinden in der evangelischen Allianz und tauschen sich auch mit den Leitungen der anderen Freikirchen Usters aus, aber sie nehmen sich als frei war. Im Vergleich zu meiner Erfahrung sind sie zumindest freier, es sind weniger Sachen, die «sündhaft» sind, die Religion wird nicht so extrem ausgelebt, und Unbekehrte verspüren wohl nicht so einen Druck, sich endlich zu bekehren. Wie sich dies im Gemeindeleben äussert, können unbekehrte Jugendliche aber vielleicht besser beurteilen als ich als Besucherin. Hardmeiers Beschrieb, dass er lieber Menschen hineinzog als hineinstiess, schien mir zwar sympathisch, ich fragte mich dann aber schon, ob es nicht ein Zwang war, wenn man denn glaubt, dass es die ewige Verdammnis gab. Da dachte er etwas nach, murmelte vor sich hin und meinte dann «ja, da hast du recht. Hier gibt es nur zwei Optionen.» Die ewige Verdammnis oder das ewige Leben. Eine schöne Auswahl, aber doch auch im freikirchlichen Raum verbreitet. Notwendig für das ewige Leben sind Bekehrung und Wiedergeburt, die FKU glaubt also auch an eine Wiedergeburt, und akzeptiert grundsätzlich Geistesgaben. In den Gottesdiensten gäbe es einfach keinen Platz dafür, aber wer es zuhause machen wolle, könne das. Ausserdem gäbe es ja die pfingstliche Gemeinde, die ganz in der Nähe war, bei der die Geistesgaben wohl eher noch Platz im Gottesdienst fänden, und zu der man ja bei Bedarf gehen könne.

Der Teufel und der Exorzismus

Neben diesen grossen Themenblöcken war auch die «sichtbare» und die «unsichtbare» Welt ein Thema, vor allem, weil alle Taufenden bei ihrem Zeugnis erklärten, dass sie dieses Bekenntnis vor beiden, der sichtbaren und der unsichtbaren Welt, ablegten. Ich fragte den Prediger, was für sie denn alles zur unsichtbaren Welt gehöre, mal neben dem dreieinigen Gott und dem Teufel. Dazu gehören für sie Dämonen, Engel, natürlich eben auch der Teufel. Die Nachfrage zu Exorzismen schien er mit der fast schon mittelalterlichen Ausübung zu vergleichen und verneinte es, erwähnte aber, wer ein Anliegen hätte, könne zu ihnen – zum Ältestenrat, auch Gemeindeleitung genannt – gehen und um Gebet bitten.

Homosexuelle, Bisexuelle und die, die beides sind

Ich fragte Stefan auch, wie sie als Gemeinde zur LGBTQI+-Community standen. Das Akronym schien schon zu viel zu sein, denn Stefan bezog sich jeweils auf ein Buchstabensalat à la «LGDT…I» oder sprach einfach von den «homo- oder bisexuellen, oder die, die beides sind». Das reichte schonmal, um die Grundakzeptanz und das vorhandene Wissen einzuschätzen. Ihre Position ist klar: Sie betrachten das «Ausleben» von Homosexualität als sündig, wer aber schwul sei und nicht mit Männern, oder nur mit der eigenen Ehefrau Sex hätte, das wäre dennoch in Ordnung. Im Sinne vom heute beliebten: love the sinner, hate the sin (liebe den Sünder, hasse die Sünde). Grundproblem ist dabei natürlich, dass der Mensch doch von Anfang an als Sünder dargestellt wird. Es scheint fast, als wäre Homosexualität eine grössere Sünde als anderes. Dies wird, auch bei der FKU und Stefan Hardmeier, gern abgeschwächt mit «ah, aber andere Sünden sind genauso schlimm! Beispielsweise Geldgier, und anderes». Geldgier und Homosexualität ist wohl nicht ähnlich angeboren, aber das hält Freikirchen nicht davon ab, sie bei solchen Gesprächen gleichzusetzen. Ja, ausserehelicher Sex und Geldgier, die genauso genetisch bedingt sind wie Homosexualität. Tatsächlich erzählte er mir aber, dass sie dieses Thema in der Gemeinde besprochen hätten, und dass sie eine Kultur des Willkommenheissens fördern wollten. Er kommentierte aber direkt im Anschluss, dass ein gleichgeschlechtliches Paar sich vielleicht in dieser Gemeinde nicht wohlfühlen würde. Ich kann mir schon vorstellen, dass all die strahlenden Gemeindemitglieder sichtliche Irritation auf ihrem Gesicht zeigen, vielleicht sogar nachfragen würden, wenn sie ein händchenhaltendes gleichgeschlechtliches Paar sähen. Andere Gemeinden und Organisationen, wie der Zwischenraum oder die reformierte Kirche Zürich wären da offener. Dabei zählt er aber nur wenige auf und stellt die FKU eher als Durchschnitt statt als Ausnahme dar, ganz in Ignoranz anderer Freikirchen, die da auch offener sind. Er kenne Christen, die lebten in einer homosexuellen Partnerschaft, obwohl sie nach der Bibel die Überzeugung haben, dass sie es nicht sollten. Doch sie schaffen es nicht, «ihre Triebe nicht auszuleben», wie er es formuliert. Zudem betonte er, dass dies immer noch besser sei als jemand, der dann die ganze Zeit Ehebruch beginge – oder eben viele verschiedene Männer gleichzeitig hatte. Das sei, sagte er, vor allem bei schwulen Männern häufig der Fall, nämlich dass sie oft mit anderen Männern ausserhalb ihrer Beziehung Sex hätten und den Partner somit betrogen. Davon habe ich auch schon gehört, nur leider kann ich mir gut vorstellen, dass die heterosexuellen Paare da wirklich nicht besser sind. Die homosexuellen Paare diskutieren die Option einer offenen Beziehung aber sicher häufiger als heterosexuelle Paare. Aus Sicht von «Gott» oder gewisser Bibelinterpretation sind offene Beziehungen aber auch nicht erlaubt, wenn solche Gemeinden überhaupt wissen, worum es bei diesem Konzept geht. Ich fragte ihn, ob er denn ein homosexuelles Paar trauen oder taufen würde, und er dachte eine Weile darüber nach. Dann meinte er «nein, das könnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren». Ja, ein Trauungsentscheid obliegt dem einzelnen Pfarrer, ich persönlich würde mich ehrlich gesagt auch nicht gern von einem homophoben Pfarrer trauen lassen, egal, wen ich heiratete. Stefan Hardmeier würde somit nur homosexuelle Personen taufen oder trauen, die ihre Homosexualität nicht «auslebten», wie auch immer dies mit einer Identität möglich ist.

Konversionstherapie gewünscht?

Ich fragte ihn dann auch, wie er reagieren würde, wenn sein eigenes Kind – er hat vier davon – sich bei ihm outen würde. Besonders überrascht hat mich an seiner Antwort, dass er da tatsächlich auch schon darüber nachdachte. Es scheint fast, als würde die Idee, dass Sexualität angeboren ist, in der Gemeinde doch langsam Fuss fassen. Davon wurde ich enttäuscht, als er über einen Christen zu sprechen begann, der wohl «mit einer Belastung» (in diesem Kontext wohl ein Trauma) sich als schwul identifizierte, dann durch Gebet und Glauben die Belastung – und das Schwulsein – ablegte und nun mit einer Frau verheiratet war und Kinder hatte. Ja, Bisexualität, nämlich sowohl Frauen als auch Männer (sexuell) attraktiv finden zu können, das scheint im Raum der FKU doch noch ein Fremdwort zu sein. Man könne auch «beten», und wenn jemand sie um ein Gebet bitte, dann beteten sie gerne für diese Person. Auch als ich in nach den umstrittenen Konversionstherapien fragte, verneinte er zwar die Unterstützung derer, fand aber auch, das «Ablegen» dieses «Auslebens» könne nur über langjähriges Beten gemacht werden, und nicht mit einem einzelnen Gebet. Seine Überzeugung ist: «Wenn jemand Veränderung wünscht, führt der Weg über Therapie, Gebet kann diesen langen Prozess unterstützen. Doch längst nicht alle homosexuell Empfindenden erfahren eine Veränderung darin, obwohl gewünscht.» Für mich klingt das eher danach, dass er Konversionstherapien unterstützt, solange diese genügend Gebet und «christliche Ansätze», beispielsweise biblische Schwerpunkte, enthalten. Zumindest würde er seine Kinder nicht aus dem Haus schiessen, und zu ihrer Trauung gehen, auch wenn er sie – sofern sie es «auslebten» – nicht taufen oder trauen würde. Er betonte hier auch, dass das «Rausschmeissen» von Kindern ganz und gar nicht christlich war, und dass er seine Kinder immer lieben würde. Wenigstens das absolute Minimum, alles andere wäre darunter.

Das «Bestätigen» der «Geschlechtsidentität» in der FKU

Trotz des «T» in LGBTQI+ sprach er nur über Homosexualität und Bisexualität, und erzählte mir erst auf erneute Nachfrage von ihrer Haltung gegenüber trans Identitäten. Sie «bestätigen Jugendliche» in ihrer «Geschlechtsidentität», was ich fälschlicherweise und wohl aus Gewohnheit erst als Bestätigung der trans Identität interpretierte. Übersetzt heisst es aber, sie versuchen, für Männer und Frauen ein Bild zu schaffen, was ist ein Mann, was ist eine Frau? Mit diesem sollen die Jugendlichen, die ja auch viele körperliche Änderungen durchgingen, vor allem Mädchen, mehr Halt und Orientierung finden. Da wechselte er das Thema sehr schnell auf die Horrorgeschichten, von denen ich oben schrieb. Spannenderweise erwähnte er auch die Personen, die sich weder mit dem einen noch dem anderen identifizieren konnten – nicht-binäre Personen. Bei diesen meinte er, sie würden beten, dass sich die Personen dann doch irgendwie wohlfühlen konnten. Ich denke zwar, nicht-binäre Personen fühlen sich grundsätzlich in ihrer Identität wohl und dafür weniger in solchen Gemeinden, aber das geht wohl in eine andere Richtung.

Im Gegensatz zur Homosexualität scheint auch weniger Offenheit und «Akzeptanz», wenn man es überhaupt so nennen kann, für trans Personen da zu sein. Ich kann mir gut vorstellen, dass die ganzen Einzelfälle häufiger diskutiert werden als die grosse Mehrheit der zufriedenen trans Personen. Die nicht mit dem Körper gekoppelte Geschlechtsidentität scheint bei ihnen mit dem Körper verwechselt zu werden, und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich trans Personen auch nur ansatzweise in dieser Gemeinde wohlfühlen könnten.

Christliche Transphobie (und meine Meinung dazu)

Auch zu trans Personen erzählte er mir einige Horrorgeschichten. Ein Mädchen, das sich nicht in ihrem sich ändernden Körper wohlfühlte, und die Brüste wegoperieren liess. Eine halbe Klasse, die sich «plötzlich so fühlten». Personen, die das Ändern bereuten. Alles Horrorgeschichten, die – trotz statistischer Seltenheit – gern in solchen Kreisen geteilt werden. Wie schwierig es in der Schweiz für trans Personen lange war, um überhaupt etwas zu machen, wie stark trans Personen heute noch leiden, wie selten das Detransitioning (Zurück-Ändern) ist, und dass es vor allem bei den Personen geschieht, deren Umfeld sie trotz allem nicht akzeptiert: Nein, das gibt es in den Kreisen nicht. Es gibt nur die armen Jugendlichen, die wegen einer kurzen Aufklärung im Schulunterricht plötzlich alle auch trans sein wollen, es gibt nur diese teuflische Macht, die diese Kinder belastet und dazu verführt, jetzt auch trans zu sein, weil es eben gerade in Mode ist. «Früher gab es das ja auch nicht», erklärt mir Hardmeier. «Doch, schon», dachte ich und entschied ich mich wiederum dagegen, dies mit ihm zu diskutieren. Ja, ich dachte, die Verführungen des Teufels machten wenigstens Spass, wie es immer in diesen Kreisen behauptet wird, aber was trans Personen heute noch durchzugehen haben, das wünsche ich niemandem.

Fazit

Ich kann die FKU somit nur Personen empfehlen, die ebenfalls schon dieselben Auffassungen haben, und die ihre Kinder, wenn sie solche wollen, entsprechend erziehen wollen. Wer eine Familie gründen will, die Homosexualität und trans Identitäten mehr akzeptiert, ist bei der FKU am falschen Ort. Auch die Mission (was für mich persönlich ein imperialistisches Überbleibsel eines europäischen, hochmütigen Selbstbildes ist) kann ein heikler Punkt sein. Abgesehen davon – für mich beides sehr wichtige Faktoren – ist die FKU grundsätzlich angenehm. Sie leben ihren Glauben aufrecht aus und gehen einigermassen mit der Zeit, während sie gleichzeitig versuchen, diese mit der Bibel möglichst zu vereinen. Das klappt sicherlich nicht ganz und es wäre somit wohl auch möglich, die Homosexualität nicht mehr so zu verteufeln, aber zumindest haben die Frauen in der Gemeinde mehr zu sagen als in einigen anderen christlichen Gruppierungen.

Freikirchenglossar:

Bekehrung: Sündenbusse und Bekennung zu Jesus

Wiedergeburt: Wenn der heilige Geist im Menschen «ankommt»

Taufe: Bekenntnis zu Jesus, häufig mehrere Jahre nach der Bekehrung

Gläubig: Personen, die mit Jesus leben, häufig Notwendigkeit von «Bibeltreue»

Ungläubig: selten verwendetes Wort für Personen, die nicht «bibeltreu» an Gott glauben; häufiger: Personen, die in der Welt leben oder Personen, die ohne Jesus leben

Zeugnis ablegen: Häufig vor versammelter Gemeinde geteilte Erfahrung oder geteiltes Erlebnis, in welchem einen Gott als besonders präsent vorkam oder besonders half

Entrückung: Ereignis, in welchem alle Christen plötzlich verschwinden. Umstritten ist, wann genau dies stattfindet in Relation zum zweiten Kommen von Jesus und ob sie ihre Kleider zurücklassen oder nicht.

2. Kommen von Jesus: Auch bekannt als «jüngstes Gericht». Mal ist dies 7 oder 3.5 Jahre nach der Entrückung, häufig sind sie gleichzeitig. Jesus komme dann als «Richter».

Endzeit: Der letzte Teil der Zeit, bevor Jesus das zweite Mal kommt. Seit den Aposteln, oder Jesu erstem «Gehen» sagt man, wir leben jetzt in der Endzeit, ob wir aber 2 Tage vor Jesu 2. Kommen sind oder ein drittes Mal 1000 Jahre vor dem jüngsten Gericht entfernt, ist unklar.

Geistesgaben: In Pfingstgemeinden / charismatischen Gruppen beliebte Gaben wie Zungenrede, Prophetie, Heilung etc.

Predigttext Hebräer 12, 1-3 nach Elberfelderbibel (in diesem Gottesdienst verwendet):

1 Deshalb lasst nun auch uns, da wir eine so große Wolke von Zeugen um uns haben, jede Bürde und die ⟨uns so⟩ leicht umstrickende Sünde ablegen und mit Ausdauer laufen den vor uns liegenden Wettlauf, 2 indem wir hinschauen auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens, der um der vor ihm liegenden Freude willen die Schande nicht achtete und das Kreuz erduldete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. 3 Denn betrachtet den, der so großen Widerspruch von den Sündern gegen sich erduldet hat, damit ihr nicht ermüdet und in euren Seelen ermattet!

Angela Heldstab, 11.07.2023

Lexikoneintrag Freie Kirche Uster FKU
Lexikoneintrag Evangelische Bibelgemeinde EBG