Besuch eines Gottesdienstes der Hillsong Church Zürich

Laura Patrizzi, 2016

Als ich mich auf meinen Besuch bei Hillsong Zürich vorbereitete, habe ich viel über die erstaunliche Grösse der Megachurch Hillsong gelesen. Nach eigenen Angaben besuchen weltweit 100’000 Gläubige jeden Sonntag die Hillsong Churches – die Gemeinde ist riesig. Dementsprechend halten meine Kollegin und ich auf unserer Suche nach dem Eingang zum Gottesdienst der Hillsong Zürich Ausschau nach einer grossen Menschenmenge, die sich vor einem Lokal drängt, und Fahnen und einem Empfangskomitee. Tatsächlich ist das Areal um die Bananenreiferei in Zürich so verlassen, dass wir die beiden Frauen in Leuchtwesten beinahe übersehen hätten. Nur das Hillsong-Logo auf ihrem Rücken sagt uns, dass wir hier am richtigen Ort sind. Wir sprechen die beiden an, worauf eine uns den recht komplizierten Weg durch den Gebäudekomplex zum Raum weist, in dem das „Gathering“ stattfinden soll. Dort fällt uns als erstes ein Verkaufsstand auf, an dem Bücher und CDs, aber auch Necessaires angeboten werden. Zudem kann man hier Zettel mit Gebetsanliegen oder Geschichten von Gebetserfüllungen ausfüllen und in einen kleinen Eimer legen. Kurz haben wir Zeit, uns umzusehen: Vorne im Hauptraum ist ein grosses Bild von einem Adventskranz mit der Aufschrift „Welcome Home“ auf eine Leinwand projiziert, davor stehen Stühle und kleine Tischchen mit Adventsverzierung (es ist der 1. Advent). An den Wänden hängen Lichterketten. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raums gibt es eine Kaffeebar, um die sich die Leute versammelt haben. Es sind beinahe ausschliesslich junge Menschen, der Männeranteil ist erstaunlich hoch (mindestens 50%) und einige der wohl ungefähr hundert Personen sehen international aus. Als wir später mit ihnen ins Gespräch kommen, stellen wir fest, dass viele der Anwesenden Studenten sind.

Wir haben den Raum kaum betreten, als uns ein Orangen-Kiwi-Stick angeboten wird. Beinahe gleichzeitig werden wir von einer jungen Frau angesprochen, die uns gerne einige Fragen beantwortet. Sie ist seit den ersten Treffen der Gemeinde in Zürich dabei und besuchte davor die Gottesdienste in Konstanz. Ein junger Mann beteiligt sich an unserer Unterhaltung, er kommt aus Luzern. Der lange Weg und das frühe Aufstehen am Sonntagmorgen lohnen sich, meint er lachend. Er hat ein halbes Jahr in Australien verbracht und war dort in Kontakt mit Hillsong gekommen. Während unseres Gesprächs werden uns selbstgebackener Kuchen, Sandwiches und Lebkuchen angeboten. Ich frage mich, woher das ganze Essen wohl kommt.

Mit zwanzig Minuten Verspätung beginnt dann der Gottesdienst mit einer Art Trailer von Hillsong – ein aufwändig geschnittenes Video mit lachenden Gesichtern, eindrücklichen Landschaften und glücklichen Menschen in Hillsong-T-Shirts, begleitet von erhebender Musik. Dann tritt ein junger Herr in grauem Hoodie und schwarzem Cap auf die Bühne (er wird uns später als Simon vorgestellt), begrüsst uns zum heutigen Gathering, trägt die Gebetsanliegen und –Erfüllungen vor und ruft zum gemeinsamen Gebet auf. Als fertig gebetet ist, bittet er einen ebenfalls jungen Mann auf die Bühne, der uns von seinem letzten Besuch in Berlin berichtet, wie er da im Dom gewesen sei und gleichzeitig all die Mahnmale an die Weltkriege gesehen habe, um dann zum „Geben“ für die Gemeinde aufzurufen, denn wir alle wollten doch etwas aufbauen, das auch in kommenden Jahrhunderten eine Bedeutung habe und das die Menschheit dann nicht reue. Ein grosser Eimer geht durch die Reihen. Ob der Spendenaufruf jeden Sonntag in eine solche kleine Geschichte verpackt ist, weiss ich nicht.

Es folgen die Church News, wobei sie eher wie Church Werbung wirken. Das neu auf Deutsch erhältliche Buch „Sisterhood“ der australischen Lead Pastorin Bobbie Houston wird vorgestellt, und es wird für einen Event in Amerika und einen Weihnachtsanlass in Deutschland geworben. Anschliessend tritt der Mann im Hoodie wieder auf und möchte uns ebenfalls ermutigen, das neue Buch von Bobbie Houston und eine neu erschienene CD am Verkaufsstand zu erwerben – und das Album sollten wir am besten auch gleich noch auf iTunes kaufen, damit es ganz vorne in den Charts landet. Er verteilt je zwei Gratisexemplare des Buchs und des Albums, was mit einem Applaus begrüsst wird. Langsam hege ich eine Vermutung, woher das Geld für all die Sandwichs und Kuchen kommt – bisher haben wir beinahe ausschliesslich Aufrufe gehört, Geld für die Gemeinde locker zu machen.

Endlich kommen wir dann aber zum Hauptteil des Gottesdienstes, einem Stream (also keine Live-Übertragung) der heutigen Predigt von Pastor Freimut Haverkamp. Die leise klimpernde Klaviermusik, die bisher den ganzen Gottesdienst untermalt hat, verstummt nun langsam, als auf der Leinwand Haverkamp die Gemeinde in Konstanz, wo er sich gerade befindet, sowie die Gemeinden in München, Düsseldorf und Zürich begrüsst. Er beginnt die (in schönem, aber für Schweizer ziemlich schnellem Hochdeutsch gehaltene) Predigt mit der folgenden Geschichte: Seine Frau habe eines Morgens auf dem rechten Auge verschwommen gesehen und ihn deshalb gebeten, für sie zu beten, was er natürlich tat. Er haben den ganzen Tag über immer wieder gebetet – und am Abend habe seine Frau festgestellt, dass sie einfach die Kontaktlinse nicht in ihr rechtes Auge gesetzt habe. „Und da sind wir Christen so super geistlich, denken gleich, wir müssen beten, wir müssen beten, dabei hat sie bloss ihre Kontaktlinse nicht reingetan.“ Dann springt er zu einer kleinen Anekdote, die davon erzählt, wie er sich vor einer von ihm hoch respektierten Person blamierte. Davon auf Umwegen überleitend beginnt schliesslich der Hauptteil der Predigt. Darin erläutert Haverkamp drei Aspekte seiner Vorstellung von Jesus: 1. Jesus ist für alle da. 2. Jesus beurteilt dich nicht nach deiner Leistung. 3. Jesus ist der, der gibt, und nicht einer, der nimmt. Das Schlusswort der Predigt: „Jesus ist nicht gekommen, um dich zu richten. Er ist gekommen, um dich zu retten.“

Die ungefähr 40 Minuten dauernde Predigt schien mir nicht besonders gehaltvoll oder intellektuell herausfordernd, doch klang sie emotional sehr ansprechend, Freimut Haverkamp predigte mit viel Energie und bewegte sich frei auf der Bühne und das Publikum in Zürich applaudierte und stimmte den Bildern auf der Leinwand mit Zwischenrufen zu. Einige trugen Kopfhörer, mit denen sie die englische Übersetzung hören konnten, andere übersetzten ihren Freunden und Familienangehörigen den gesamten Gottesdienst in die jeweilige Muttersprache.

Auf die Predigt folgt das Abendmahl in Form kleiner Toaststücke und einem winzigen Plastikbecher Traubensaft für jeden. Danach wird ein gemeinsames Gebet gesprochen und nach einem Aufruf zu einer Spendenaktion für sozial Benachteiligte der Stadt Zürich endet der Gottesdienst.

Die wenigsten verlassen das Gathering sofort, die meisten verweilen noch bei der Kaffeebar, und auch meine Kollegin und ich sprechen noch mit einigen Gemeindemitgliedern. Dabei stellen wir fest, dass die Gemeinde in Zürich wirklich noch sehr jung ist. Regelmässige Treffen finden erst seit dem Juni 2016 statt, einen Gemeindeleiter gibt es nicht wirklich. Es existieren zwar Teams, die sich um Musik, Raumgestaltung oder Essen kümmern, und Kleingruppen, die sich unter der Woche treffen, aber ansonsten scheint es kaum irgendwelche Strukturen zu geben. Auch einen eigenen Prediger hat die Gemeinde nicht, obwohl Simon, der junge Herr im grauen Hoodie, schon einige Predigten gehalten hat. Hin und wieder kommt auch Freimut Haverkamp nach Zürich. Das Geld, das während der Gottesdienste zusammenkomme, bleibe in der Gemeinde Zürich und werde dort für Räumlichkeiten und das Essen verwendet. Auf unsere Frage nach der Haltung der Hillsong Church im Bezug auf die Evolutionstheorie, Homosexualität und Erziehungsmassnahmen wird uns von allen Seiten geantwortet, die Kirche habe dazu keinen offiziellen Standpunkt und diese Themen spielten ohnehin keine Rolle in den Gottesdiensten. Auch Funktionen, die Männern vorbehalten sind, gebe es keine.

Nach gut zwei Stunden verlassen meine Kollegin und ich die Bananenreiferei in Zürich. Überrascht haben uns der hohe Männeranteil, die abgelegene Lage und das viele Essen, das uns gratis angeboten wurde. Etwas irritiert hat uns, dass der erste Teil des Gottesdienstes so offensichtlich auf unsere Brieftaschen aus war. Die Predigt war uns etwas zu flach, dafür war uns die selbstkritische Geschichte von der Kontaktlinse zu Beginn der Predigt positiv aufgefallen. Auch die ungezwungene Atmosphäre und die Herzlichkeit, mit der wir aufgenommen wurden, haben uns gefallen. Trotzdem sind wir beide froh, uns draussen wieder zwei Schritte bewegen zu können, ohne von freundlichen Gleichaltrigen angesprochen zu werden.

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