Der Kaiser ist nackt!

Tami Lubitsh ist Avatar-Masterin und Wizard. Sie arbeitet als Journalistin und hat den folgenden Brief an eine holländische Kollegin geschrieben, die über Avatar berichten will.

Hallo Fremde,

ich habe keine Ahnung, wer du bist und dennoch hast du die eine Frage gestellt, die mir Klarheit gebracht hat. Als ich heute morgen aufwachte, fühlte ich mich kristallklar und endlich frei. Nach der E-mail, die ich Dir gestern geschrieben habe, hatte ich das Gefühl, dass da irgendwo das fehlende Glied versteckt ist. Etwas, das ich schon kenne, aber immer noch nicht ganz verstehe.

Du musst deinen Artikel heute fertigstellen, also schreibe ich diese Mail hauptsächlich für mich selbst, als Dankeschön für den kurzen, nachhaltigen Besuch, den du in meinem Leben abgestattet hast.
Es ist das, was ich als die Wahrheit über den Avatar-Kurs und über Star´s Edge betrachte.

Du bist schon drin in diesem Spiel, du hast schon einen Köder geschluckt. Der Avatar-Kurs, der Masterkurs, der Professional- und der Wizardkurs basieren alle auf einer einzigen Indoktrination: „Dies ist ein ganz besonderer und fortschrittlicher Kurs über die Technologie des menschli-chen Lebens.“
Die Wahrheit ist, dass das nicht wahr ist. Man kann die Avatar-Materialien in ein paar Sätzen zusammenfassen und man braucht keine grossartigen Studien, um zu begreifen, wie selbstver-ständlich und gewöhnlich diese Ideen sind. Der Kernpunkt ist, dass hier niemand überhaupt irgendwelche Materialien verkauft!
Was sie verkaufen, ist lediglich die Idee, dass dies eine Art von einzigartigem Werkzeug sei, fast magisch. Wenn Du erst einmal diese Überzeugung von ihnen angenommen hast, hängst Du schon am Haken fest, wie ein Fisch, der den Köder geschluckt hat. Ich bin Avatar aus mei-nem Leben nicht mehr losgeworden, weil da tief in mir drin der Gedanke war, dass da etwas ganz Besonderes dran sein müsse und ich sei nur zu dumm, um es zu begreifen. Natürlich fragt man sich, ist es wirklich möglich, dass alle diese freundlichen und netten Leute so begeistert sind von einem derartigen Nichts? Das klingt doch völlig verrückt und unmöglich.

Aber genau das ist der Fall. Der Kaiser ist nackt. Die wunderbaren Kleider sind nicht zu kurz oder zu lang, zu hell oder zu dunkel, zu wirksam oder zu wenig wirksam. Da sind ganz einfach überhaupt keine Kleider.

Schauen wir uns einmal dieses ganz besondere Avatar-Kleid an: Alles dreht sich darum, die Achtsamkeit zu verschieben.

Der erste Teil, das ReSurfacing, ist eine Reihe von Übungen, die sich um das Setzen von Zie-len und das Verschieben von Achtsamkeit drehen. Das ist ungefähr so komplex wie das, was Eltern tun, wenn ihr Baby schreit. Sie versuchen, seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken. Ich sehe ein, dass das funktionieren kann und dass es Erwachsenen helfen kann, sich daran zu erinnern, dass man seine Aufmerksamkeit immer auf irgend etwas anderes richten kann, wenn es irgendwo wehtut. Das hilft vielleicht, wenn das Problem in einem geistigen Alp-traum besteht. Aber wenn du Krebs hast und richtest deine Aufmerksamkeit auf etwas anderes, dann wird das Resultat sein, dass du nicht mehr rechtzeitig die notwendige medizinische Be-handlung bekommst. (Eine Avatar-Masterin aus meinem Bekanntenkreis ist gestorben, nach-dem sie sich entschieden hatte, das Problem gehöre endgültig der Vergangenheit an, wenn sie einfach die Realität kreiert: „ich bin gesund“

Kommen wir zum zweiten Teil, ein weiterer Schritt auf dem Weg, in den Besitz der Magie zu gelangen. Hier gibt es drei Gruppen von Übungen: Bei einer geht es darum, sich mit den Gefüh-len von Objekten, Tieren oder Ideen zu identifizieren. Eine wohlbekannte Übung, die in Schau-spielschulen verwendet wird oder als grundlegende Meditationsübung: „Fühle Dich wie eine Tomate“. Wieder richtest du deine Aufmerksamkeit auf ein Objekt, konzentrierst Dich darauf und verschiebst Deine Gewahrsamkeit. Damit kann man seinen Geist beruhigen. Es ist eine grundlegende und wohlbekannte Übung, überhaupt kein Teil irgendeiner geheimen Methode. Man braucht da nichts drüber aufzuschreiben. Sie gibt den Leuten eigentlich sehr viele Möglich-keiten, aber die Anweisungen für die Übung sind sehr diffus und ungenau und man ist auf das OK des Masters angewiesen, um weiterzumachen. Hierdurch entsteht eine Situation, in der dein „Master“ etwas weiss, was Du nicht weisst, und dadurch in der Position ist, Dich zu testen, gerade so, als ob jemand anderer in der Lage wäre, zu beurteilen, was und wieviel du fühlst. (Nebenbei, mir ist noch nie eine Tomate begegnet, die sich beklagt hätte, sie sei nicht richtig gefühlt worden)
Wenn der Master mit dir zufrieden ist, kommst du zu einer Reihe von Übungen, die im Grunde nur aussagen, dass „wir nur das Etikett einer Sache spüren, aber nicht die Sache selbst“.
Bingo! Das ist jetzt aber ein gewaltiges Ding. Es bedeutet, wenn du etwas als wundervoll emp-findest, dann hat das nichts mit der Sache zu tun, sondern nur damit, wie du es siehst. Wenn da also Menschen mit Tränen der Rührung in den Augen erzählen, dass Avatar ihr Leben verän-dert habe und dass es der erstaunlichste Kurs sei, den sie jemals gemacht hätten, dann hat das mit dem Kurs doch überhaupt nichts zu tun. Es ist nur ein Gedanke, ein Etikett, das dir jemand aufgeschwatzt hat, und du warst hilflos genug, ihm das abzunehmen. Mit dem Kurs hat das gar nichts zu tun.
Die letzte Übung in diesem Teil behandelt das Kreieren von Realität. Wiederum ist es ganz ein-fach für jeden Menschen, zu kreieren: „ich bin glücklich, ich zu sein“ (das haben Menschen schon in extremsten Situationen kreiert.)
Zu kreieren: „ich bin gesund“, ist ganz einfach, wenn man es auch wirklich ist. Wenn man aber Krebs hat, ist das etwas ganz anderes.

Nach diesem Teil des Kurses muss man sich entscheiden, ob man weitermachen will oder nicht. Entscheidet man sich dafür, in dieses Königreich der allererstaunlichsten Technologie einzutreten, in diese wunderbare Welt, dann muss man jetzt aufschreiben, was es einem bisher gebracht hat. Das bedeutet, um es nun endlich zu bekommen, muss man bezahlen und zu-gleich seinen Master davon überzeugen, dass man es auch verdient hat. Schliesslich sind des Kaisers neue Kleider nicht billig, und sind auch nicht für jeden gedacht. An diesem Punkt muss der König seine Schneider bezahlen und ihnen zugleich beweisen, dass er überhaupt würdig ist, diese wunderbaren Gewänder zu tragen.

Wenn diese kleine Zeremonie vorüber ist, beginnen die Studenten mit dem dritten Teil, in dem sie lernen, zu diskreieren. (Natürlich erst, nachdem sie erfolgreich gelernt haben, zu kreieren. Dieser Teil ist nun ein völliger Witz. Wenn es ein Theaterstück wäre, würde sich das Publikum vor Lachen wälzen. Leider ist es keine Komödie, sondern eine vollendete Gehirnwäsche. Das Ausmass an Dramatik in diesem Teil hängt völlig vom Master und seinen schauspielerischen Fähigkeiten ab.
Nach der Initiation probiert der Student seine neuen Kleider in allen möglichen Bereichen seines Lebens aus, und sie machen weiter und weiter und diskreieren alle möglichen Dinge in ihrem Leben. Der Kurs ist beendet, wenn sie buchstäblich alles diskreiert haben, was existiert, und dazu einen hübschen und möglichst überzeugenden Erfolgsbericht geschrieben haben.

Nach alledem sollte man eigentlich erwarten, dass der Kaiser, der gerade einen Haufen unsichtbarer Kleider gekauft hat, jetzt rufen würde, dass der Kaiser doch nackt ist, und dass er nichts anderes bekommen hat, als was in jedem beliebigen Buch über Persönlichkeitsentwick-lung beschrieben wird. Doch weit gefehlt! Selbst in dem Märchen war es nur ein kleiner Junge, der schrie: „Der Kaiser ist nackt!“ Niemals wird es der Kaiser selbst sein, der schreit !

Ist das Ganze denn nun gefährlich? Für manche sehr sensible Menschen, die kein starkes Selbstbewusstsein haben, kann der Gruppendruck vernichtend sein. Das zweite Problem, das für manche Menschen verheerend sein kann, besteht in der Kluft zwischen der wirklichen Reali-tät und ihrer selbstgeschaffenen. Je grösser diese Kluft wird, desto mehr tendieren diese Men-schen dazu, dem Kult zu verfallen; zu verleugnen, was wirklich los ist und sich letztlich in ihren Illusionen völlig zu verlieren.
Die Gefahr für „normale“ Menschen ist die Illusion von Allmacht, denn es ist eine Illusion, die früher oder später zusammenbrechen muss. Da stellt sich die Frage, wie wird ein Mensch rea-gieren, wenn das richtige Leben an seine Tür klopft und ihn dazu zwingt, aufzuwachen? Manch einen kann diese Erfahrung nahezu niederschmettern.
Die wesentliche Lektion, die ich in jener Zeit gelernt habe, ist es, sehr vorsichtig zu sein wenn jemand mir Werkzeuge anbietet, mein Leben zu verändern und eine bessere Zukunft zu er-schaffen. In den allermeisten Fällen werden sie Dir nämlich erst einmal ein grosses Stück dei-ner Selbstbestimmung wegnehmen. Im Fall von Avatar ist das im wesentlichen Dein Geld, das Vertrauen anderer Personen und Deine geistige Freiheit. Im äussersten Fall ist es wie mit Hitler, der dem deutschen Volk eine bessere Zukunft versprach (die es ja verdient habe, weil es den anderen so überlegen sei)

Jetzt möchte ich meine Geschichte erst einmal zu den Akten legen. Ich habe Dir ja geschrieben, dass ich es eines Tages würde abschliessen können. Nun ist dieser Tag früher gekommen, als ich erwartet habe. Ich weiss nicht, ob Du das verwenden kannst oder nicht. Aber wenn du es benutzt, dann kannst du mich mit meinem vollen Namen zitieren…..

Als Mensch und als Journalistin betrachte ich es heute als meine Pflicht, laut zu schreien: „DER KAISER IST NACKT!“ Schliesslich habe ich ungefähr 30.000 Dollar und etliche Jahre meines Lebens für diese unsichtbaren Kleider bezahlt.

Das war es nun, Unbekannte. Ich bedanke mich bei Dir, und ich wünsche Dir nur das Beste, egal wer Du bist und was Du grade tust.

Alles Liebe,
Tami Lubitsh

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