Carl J. Wiget hat den International Christian Fellowship (ICF) für einen Abend besucht

Es ist ein kalter Sonntagabend in Zürich. Patrick Huber (18) amtet als Türsteher beim Eingang zur ehemaligen Börse: Immer wieder wollen Jugendliche hereingelassen werden. Er öffnet die Tür, lächelt kurz und umarmt die Eintretenden. Hunderte von Besuchern nehmen an den Gottesdiensten des International Christian Fellowship (ICF) teil – während des ganzen Sonntags sind es rund 2100 Personen. Der ICF ist trotz des englischen Namens ein zürcherisches Eigengewächs mit Ablegern in anderen Städten.

Was zieht Patrick Huber zum ICF? «Es ist der Glaube an Jesus. Der Herr existiert, und ich weiss, dass er immer bei mir ist», bekennt der Zimmermann-Lehrling: «Klar, ich erlebe auch Zeiten des Zweifels und der Versuchung. Aber das hat mit Satan zu tun. «Was ist denn die stärkste Versuchung?» – «Die Frauen natürlich», lacht er. Sexualität sei nur in der Ehe erlaubt: «Aber ich glaube fest, dass ich bald eine voll gute Frau kennen lerne.»

Im vierten Stock, im «Cubanito» beginnt um 18 Uhr die Andacht für 16- bis 19-Jährige. Eine Band spielt und der «Youth Planet»-Leiter «ND» Andi Strupler (26) vermittelt locker und easy einige Lebensregeln. Danach stehen die Jugendlichen in Grüppchen herum. Doch nicht die Geselligkeit ziehe sie am meisten an, sondern der Glaube, bekräftigen einige 19-Jährige: «Jesus hat mein Leben verändert.» Manche haben sagenhafte Dinge erlebt – so etwa die hilfreiche Hand Gottes bei einer Geldnot.

Unten im grossen Saal hat der Grossanlass mit Pastor Matthias Bölsterli (38) bereits begonnen. Einschmeichelnd ist der Sound, und spektakulär sind die Videoeinspielungen mit Szenen von Nero (Peter Ustinow) – und Adolf Hitler. Es geht um die Frage: Wer ist «666»? Hinter dieser okkulten Formel verbirgt sich Satan, der Anti-Christ. Sein Reich der Finsternis kämpft gegen das Reich des Lichts. Matthias Bölsterli zeigt, wo die Versuchung wirkt. Er berichtet, wie er einst abhängig war vom Dämon des Haschischs und wie er lernte, ihm zu widerstehen. Manche Besucherinnen wischen sich verstohlen die Tränen ab, als er von seinem Töchterchen erzählt, das lernte, einen kleinen Dämon vom Badezimmerfenster zu vertreiben: «Die Psychologen würden sagen, das war gar kein Dämon. Aber sie hat ihn gesehen, und er war für sie Realität.» Am Schluss beschwört der Pastor die Anwesenden, Jesus in ihr Herz aufzunehmen.

Danach, im Gespräch mit dem «Brückenbauer», meint Matthias Bölsterli: «Heute bin ich mit meiner Predigt etwas drastisch gewesen und an die Grenze dessen gegangen, was ich für vertretbar halte. Das Thema ‚Satan‘ ist heikel.»

Da kann man einwenden: Die Spaltung der Welt in Licht und Finsternis, in Gott und Satan, entspricht nun mal der fundamentalistischen Weltsicht vieler Freikirchen! Pastor Bölsterli macht keine Anstrengung, dies zu widerlegen. Er bekennt sich auch zu seinem missionarischen Drang, die Menschen für Jesus zu gewinnen: «Für mich ist die Beziehung zu Jesus Realität. Wenn ich die Augen schliesse, kann ich mit ihm Kontakt aufnehmen». Ein Bekehrungserlebnis hat den ehemaligen Aktivisten bei den Zürcher Jugendunruhen von 1980 verändert. Nun predigt er. Nicht bei den Methodisten wie sein Vater, sondern bei der erfolgreichsten religiösen Jugendbewegung der Schweiz.

Der ICF versteht sich als offene Gospelbewegung, frei von allem Zwang. Sie bietet rund 18 Stellen, hat ein Monatsbudget von 150000 Franken und plant ein 60-Millionen-Gemeindezentrum auf dem Sihlpapier-Areal – drei Millionen sind bereits zusammen, doch dafür brauchts noch mehr Spenden. Nicht bloss den zehnten Teil des persönlichen Einkommens. «Wir betonen aber ausdrücklich, dass niemand spenden muss», sagt Matthias Bölsterli. Jörg Weisshaupt von der reformierten Stelle «Kirche und Jugend» kritisiert hingegen den Spendendruck.

Der ICF sieht sich nicht als Sekte. Doch was ist eine Sekte?

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