Glaube ist nichts, was man jemals besitzen könnte – also kann man ihn auch nicht verlieren

mein gott
war
am himmel
in festen
kreisen

fiel plötzlich ab
von der bahn

kam
auf den müll
meines lebens
und schlug
wurzeln

(Monica Bürki)

Dieses Gedicht drückt meinen „spirituellen“ Werdegang aus – einen langen (nie abgeschlossenen), intensiven, teilweise schmerzhaften aber auch sehr wertvollen Prozess. Ich bin in einem „christlichen Elternhaus“ aufgewachsen, was ich nicht unbedingt positiv erlebt habe. In der Pubertät sträubte ich mich gegen alles „Christlich-Fromme“ und habe mich mit Schriften von J.-P. Sartre und Camus, mit Nihilismus und Atheismus befasst. Ich fühlte mich damals sehr einsam, hatte tausend Fragen und keine Antwort oder Perspektiven.

Später, als Achtzehnjährige, begann ich trotzdem regelmässig die (damals neu gegründeten) ICF-Gottesdienste zu besuchen – weil sich dort die Möglichkeit bot, „lässige“ Leute kennenzulernen. Bald schon hatte ich einen grossen „christlichen“ Freundeskreis, was mich sehr freute. Während meiner Zeit bei ICF-Church (zuvor Limmat-Gemeinde genannt) und in anderen evangelikalen Kreisen, glaubte ich zunächst, alle Antworten gefunden zu haben auf die Frage nach dem „rechten“ Glauben, der „richtigen“ Lebensweise, der „Richtigkeit“ und „Wahrheit“ überhaupt. Zudem hatte ich „gute“ Freunde gefunden, mit denen ich sonntags den Gottesdienst besuchen, Musik machen (ich spielte in der Band Keybord), Hauskreise abhalten und auch sonst vieles unternehmen konnte. Es war immer jemand da, den ich anrufen und (meist in irgendeinem „christlichen“ Zusammenhang) etwas abmachen konnte. Ich hatte zuvor nicht allzu viele KollegInnen und Freunde gehabt; deshalb schätzte ich diesen „neuentdeckten Freundeskreis“ sehr. Das Leben schien mir damals einfach, weil überschaubar und hübsch in „Schwarz-Weiss“ geordnet – aber irgendwie auch etwas fad und „unwirklich“, als sei es auf unbestimmte Weise ohne Boden. Es schien auf alles eine Antwort zu geben; und eine Weile gelang es mir auch, die „kritische Stimme“ in mir zu unterdrücken.

Aber immer öfter hatte ich das Bedürfnis, mit jemandem ein echtes, möglichst unvoreingenommenes Gespräch, eine Diskussion zu Glaubensthemen zu führen- und biss dabei regelmässig auf Granit. Ich fühlte mich unverstanden, bekam immer dieselben „Standard-Antworten“ zu hören. Wenn ich beispielsweise „wagte“, an der Güte und Grösse Gottes zu zweifeln, hiess es: „Das ist eindeutig eine Anfechtung. Lass uns beten, dass du darüber hinwegkommst. Gott hat den Sieg, auch über deine Zweifel“, etc.. Ich fühlte mich sehr alleingelassen. Bei sämtlichen Problemen wurde mir als „Lösung“ entweder ein Bibelwort oder ein Gebet vorgeschlagen.

Ich begann, an mir selbst zu zweifeln – und wusste doch zutiefst, dass meine „innere Stimme“ nicht schweigen würde, bis ich ihr Raum zum Sprechen gab. Während meines Studiums begann das „Schwarz-Weiss“ und „Gut-Böse“ -Schema noch mehr zu bröckeln. Ich lernte jetzt auch Menschen kennen, die nicht (oder nicht mehr) in evangelikalen Kreisen verkehrten. Nun realisierte ich, dass ich mehrere Jahre in einer Art „christlichem Ghetto“ gelebt hatte. Immer mehr suchte ich bewusst Kontakt zu Leuten, die mit evangelikalen Kreisen nichts am Hut hatten. Ich interessierte mich für ihre Sichtweise vom Leben, ihre Art zu leben. Ihnen konnte ich von meinen Zweifeln und Fragen erzählen, ohne dafür verurteilt oder mit Ratschlägen eingedeckt zu werden. Mit vielen von ihnen habe ich echte Freundschaft geschlossen. Ich konnte jetzt wieder aufhören, die Menschen in „Christen“ und „Nichtchristen“ einzuteilen. Ich lernte, eigene Standpunkte einzunehmen und zu vertreten – ohne mir Gedanken zu machen, ob diese wohl ins „fromme Schema“ passen würden oder nicht. Ich kam zur Ueberzeugung, dass es keinem Menschen ansteht, über den Glauben oder die „Rettung“ anderer zu urteilen. Mir wurde klar, dass mein Leben nicht in erster Linie dadurch reich wird, dass ich Antworten finde, sondern dadurch, dass ich die Fragen lebe. Immer weniger musste ich Angst haben, den „rechten“ Glauben zu verlieren, weil ich merkte, dass Glaube nichts ist, was ich jemals „besitzen“ könnte – also auch nicht verlieren. Ich fasste wieder Mut, mich den Fragen zu stellen, mit Gott zu ringen, an ihm zu zweifeln. Der Zweifel ist für mich ein wesentliches Element des Glaubens im weitesten Sinn geworden.

Heute habe ich das Gefühl, im Leben selber verwurzelt zu sein – nicht in irgendeiner Ideologie.
In diesem Sinn möchte ich mit dem Zitat von G.Buddha schliessen:

„Glaubt den Büchern nicht, glaubt den Lehrern nicht, glaubt auch mir nicht. Glaubt nur das, was ihr selbst sorgfältig geprüft und als Euch selbst und anderen zum Wohle dienend erkannt habt“.

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