Timm Kruse: Roadtrip mit Guru. Wie ich auf der Suche nach Erleuchtung zum Chauffeur eines Gurus wurde, Eden 2015

Vorab: Kruse erklärte nach dem Erscheinen des Buches in einem Interview, dass er absichtlich alle Namen (ausser der eigene und die seiner engen Familie) geändert hat, um keiner betroffenen Person zu schaden. Dabei hat er sich jedoch nahe an den richtigen Namen orientiert, wie das beim Guru zu erkennen ist. Es darf stark angenommen werden, dass es sich bei dem im Buch als Sri What genannten Guru um Sri Vast handelt, was im Folgenden anhand diverser Punkte festgemacht wird. Daher wird in diesem Text von Sri Vast und nicht Sri What die Rede sein.

«Mit dem Abstand von mehreren Jahren bin ich mir zwar sicher, dass niemand gegen seinen Willen gelenkt werden kann, aber wer im Bann eines Gurus steht, ist bereit, sich lenken zu lassen. Sonst wäre er auch nicht dort gelandet» (S. 123) Dieses Zitat umschreibt Kruses Verhältnis zum Guru auf sehr einfache Weise. Er hat sich dem Guru ergeben, macht was ihm gesagt wird, lebte, wie ihm geraten wird und gibt was verlangt wird. Er lässt sich Jahre lang von einem Mann lenken, der ihm zeigt, wie er zu denken, sprechen und handeln hat.

Das Buch von Timm Kruse beschreibt eine von ihm erlebte Geschichte, die mit der Begegnung eines indischen Gurus seinen Anfang nahm. Über 300 Seiten veranschaulicht Kruse auf eine sehr eindrückliche und intime Art und Weise, was er auf seiner Reise an der Seite des Gurus erlebt hat. Ihren Anfang hat die Geschichte auf einem spirituellen Festival, an dem der indische Guru eine Rede hält und Kruse in den Bann zieht. Im Buch wird es als Festival in Blaufingen betitelt, welches aber als Rainbow Spirit Festival übersetzt werden kann, welches in Baden Baden stattfand. Der Guru spricht auf diesem Festival gesellschaftskritisch und erklärt, dass jeder bereits erleuchtet sei und authentisch sein soll, was Kruse sofort gefällt. Er entschliesst sich kurzerhand dazu, seinen Job als Journalist zu kündigen, seine Familie hinter sich zu lassen und folgt dem Guru durch die Welt. Dabei wird er zu einem engen Vertrauten und erhält Einblicke in das Leben und Wirken eines erleuchteten Gurus, der im Verlaufe der Zeit jedoch mehr und mehr menschliche Züge annimmt. Auf der Suche nach Erleuchtung und dem Selbst gerät Kruse in Gefahr, sich selbst zu verlieren.

Sri Vast ist ein typisch indischer Guru, der man auf Anhieb als solchen erkennt. Im weissen Gewand, mit Vollbart und krausem Haar erscheint der angeblich Erleuchtete auf Festivals, in Ashrams, bei Satsangs oder an einer Tankstelle in den USA. Auf gestellte Fragen gibt er kryptische Antworten, bei denen man sich den Sinn nach einigen Gedankengängen selbst erschliessen muss. Die Anhänger umschwirren ihren Angebeteten, um näher an der Erleuchtung zu sein und die Weisheit von seinen Lippen zu lesen. An einigen Stellen schafft Kruse auch Analogien zu Jesus und seinen Jüngern. Und auch der Guru selbst erklärt: «Ich führe die Arbeit von Buddha, Jesus und den anderen grossen Meistern fort.» (S.217) Immer wieder wird seine gottesähnliche Person beschrieben, wie er die Menschen auf seinem goldenen Thron durchschaut. Er ist ein Guru, ein Phänomen. «Er verachtete profane, alltägliche Probleme. Er war für Höheres berufen worden.» (S. 261)

Interessant ist, dass im Buch immer wieder Bezüge zu Osho gemacht werden. Sri Vast wird von vielen Anhängern als dessen Nachfolger gesehen. Einige seiner Anhänger sind Osho jahrzehntelang gefolgt und sehen in Sri Vast einen weiteren Erleuchteten. Immer wieder wird von seiner Aura gesprochen, von seinen Augen, die die Menschen um ihn in den Bann ziehen und seine Weisheit offenlegen.

«Glaube und Gehorsam war das Gebot der Stunde» (S. 225) Dieses Credo zieht sich durch das gesamte Buch und erklärt in einem Satz, wie es um die Anhängerinnen und Anhänger des Gurus bestellt ist. Zweifel sind nicht erwünscht, weder gedacht noch ausgesprochen. Das muss Kruse mehrmals am eigenen Leib erfahren. Einerseits weist ihn der Guru in die Schranken, andererseits übernehmen das auch die treuen Anhängerinnen und Anhänger des Gurus. Der Ashram von Sri Vast setzt sich weitgehend aus westlichen Männern und Frauen zusammen. Dabei handelt es sich um Leute aus der Schweiz, aus Deutschland, den USA, Kanada, Israel und Schweden. Lediglich die Angestellten, die putzen, kochen usw. sind Inder. Auch dies ist bezeichnend für Sri Vast, der sich vorwiegend in diesen westlichen Ländern aufhält und sich mit westlichen Anhängerinnen und Anhänger umgibt. Eine besondere Betonung liegt im Buch auf den 5 Frauen (Schwedinnen und drei ziemlich nervtötende Schweizerinnen), die ihn umgeben. Kennzeichnend für die Gruppierung um Sri Vast ist weiter die weisse Bekleidung, welche die Gläubigen tragen. Mehrmals betont Krause, wie unwohl ihm in dieser (Ver)Kleidung ist.

Inner Yoga ist eine Praxis, die von Sri Vast gelehrt wird und von ihm erfunden, auch wenn er selbst behauptet, eine göttliche Eingebung gehabt zu haben. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass es sich um Sri Vast handelt. Inner Yoga ist eine spezielle, wenn nicht gar eigenartige Yogaform, bei der in einem ersten Schritt herumgerollt wird: ««Rollt den Hang runter», befahl der Angehimmelte. Er legte sich auf den Boden parallel zum Abhang und rollte hinab.» (S. 217) In einem weiteren Schritt soll man die Natur der Tiere nachempfinden und zu tanzen beginnen. ««Sei ein Krokodil» Wie damals im indischen Sandkasten sollten wir aus einer kauernden Angriffshaltung blitzartig nach vorne schnellen.» (S. 218) Gemäss Sri Vast bedeutet Yoga, dass man frei und mit der Natur verbunden ist, was mit dem Imitieren der Tiere erreicht wird.

Die Route, welche der Guru mit seinen Anhängern wählt ist etwas wirr geplant und führt vom Ashram in Indien über Schweden nach Spanien, nach Kanada, in die USA, wieder nach Deutschland, nach Schweden und nach Mitteleuropa. Diese Reiseziele können mit Sri Vast in Verbindung gebracht werden, der zwei Ashrams (eines in Indien und eines in Schweden) aufgebaut hat und zusätzlich einige Reisen in andere Länder unternahm. Kruse zeigt in seinem Buch auf, wie sie als Gruppe diese Orte und die dort lebenden Anhänger besuchen, um sie für die geplanten Projekte des Gurus zu begeistern und so finanzielle Unterstützung zu erhalten. Ein grosses Projekt ist dabei der Bau von Appartements in Indien, die nur für die «treusten» Anhängerinnen und Anhänger reserviert sind, die sich bereit erklären finanziell zu investieren. «Zwei Stunden lang erklärte uns der Guru die Vorzüge dieser «Lofts»: «Sie sind offen, geräumig und bestehen aus feinsten Materialien. Und das für 60.000 Euro. Wenn ihr so etwas im Westen kaufen wollt, müsst ihr das Fünffache davon hinblättern»» (S. 101) Oder ein anderes Projekt: «Der Guru erzählte von seinem Plan, eine holistische Gesundheitsklinik für Westler aufzubauen. Zwei Millionen Euro Investitionsvolumen» (S. 213) Kruse hat im Verlauf der Reise sein gesamtes Vermögen dem Guru vermacht wie viele andere auch. Scheint es da ein Zufall zu sein, dass sich der Guru vorwiegend mit westlichen, teilweise sehr zahlkräftigen Leuten umgibt? Bei einigen handelt es sich um schwindelerregende Summen, von denen die Geldgeber nach dem Ausstieg nie mehr etwas sahen. Dass man dem Guru alles vermacht ist aber keine Frage und wenn es ein Problem darstellt, befindet man sich schnell ausserhalb des Kreises der Vertrauten. Dies mag auch der Grund dafür sein, dass viele Menschen auch dann beim Guru blieben, als es einige Ungereimtheiten in Bezug auf seine Person gab. Denn je mehr Geld man gibt, desto stärker ist man involviert. So kann man festhalten, dass die unternommenen Reisen zwei Ziele hatten: die Beschaffung von finanziellen Mitteln und das Gewinnen von neuen Anhängerinnen und Anhängern – am besten beides zugleich.

An einer Stelle fragt ein Mann Mitte vierzig den Kreis der Guru-Anhänger, wie es denn mit dem Sex in ihrer Gruppierung aussehe. Eine Anhängerin erklärt, dass Sex völlig überbewertet sei, dass man sich solch profanen Themen nicht widmen soll und zitiert damit die Worte des Gurus. Dass der Guru selbst der fleischlichen Lust gegenüber nicht gänzlich abgeneigt ist, wird im Buch jedoch schon früh angedeutet und ist am Ende auch ein Grund weshalb Kruse zu zweifeln beginnt. Denn Sex ist ein Thema, das den Guru (und verheirateten, zweifachen Vater) angeblich nicht beschäftig. Immer mehr Menschen vertrauen sich aber Kruse an und erzählen, dass sie wissen, dass der Guru Sex mit den Frauen um ihn herum habe. Kruse will dies zuerst nicht wahrhaben aber trifft auf immer seltsamere Ereignisse, beobachtet lüsterne Blicke, überhört Gespräche und hört es von einer Betroffenen selbst: «Wie alle schlafen mit ihm. Ich mittlerweile nur noch selten. Ricarda noch ziemlich häufig. Und seit ein paar Wochen Eden. Er hat sie süchtig gemacht, genau wie uns damals. Süchtig nach ihm.» (S.319) Die Hingabe dem Guru gegenüber endet nicht vor der Bettkante, wie es scheint. Befindet man sich im Ashram dieses Gurus, widmet man ihm sein Leben, sein Geist und sein Körper – besonders als junge Frau.

Kruse ist dem Guru auch dann noch ergeben, als sich die seltsamen Ereignisse überhäufen. Seine Rettung stellt ironischerweise sein Rausschmiss durch den Guru höchstpersönlich dar. Diesem gefällt es ganz und gar nicht, dass Kruse mit einer Anhängerin flirtet, deren Gesellschaft er scheinbar auch schon genossen haben soll. Der Guru meint daher «Es ist besser, wenn du uns jetzt verlässt, Timm.» (S. 328) Ohne Geld und Pläne steht er da, kauft sich mit einer Kreditkarte, die er noch bei sich hat ein Zugticket und fährt zu seiner Familie, die ihn liebend empfängt. Das Verhältnis zu seiner Familie war nach seinem Entschied dem Guru zu folgen sehr angespannt und zeigt sich auch an einem sehr intimen Briefwechsel zwischen seinem Vater und ihm, der im Buch hinterlegt ist. Dennoch findet er einen Weg zurück und beginnt das Erlebte zu verarbeiten. Er kauft sich ein Wohnmobil und versucht ehemalige Ashramis von seinen Erfahrungen zu berichten, was sie jedoch nicht hören wollen. Selbst die engsten Vertrauten und Bettgenossinnen des Gurus verabschieden Kruse mit den Worten: «Wir haben und Guruji verschrieben. Und wir werden bei ihm bleiben und ihn schützen, so lange wir können. Und wenn wir manchmal ungerecht wirken oder lügen und in deinen Augen falsch sind, dann nur, weil wir nicht anders können. Weil wir keinen anderen Ausweg sehen.» (S. 327) Kruse hat glücklicherweise einen Ausweg gefunden, wie auch andere Anhänger, mit denen er in Kontakt ist. Jedoch bleiben viele dem Guru treu ergeben, investieren ihr Geld, ihre Zeit, ihr ganzes Leben und Dasein in eine Person, der sie überallhin folgen würden. Ihrem Erleuchteten. Ihrem Guruji.

Für Kruse bleiben am Ende aber noch einige Fragen offen, auf die er wohl nie eine Antwort bekommen wird. Weder durch seine Erinnerung, noch durch den Mann, den er für Gott gehalten hat.

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