Katechismus der Neuapostolischen Kirche, Bischoff 2012

Rolf Weibel, 2013

Im vergangenen Dezember und Januar hat die Neuapostolische Kirche (NAK) ihren Katechismus vorgestellt, den ersten in ihrer 150-jährigen Geschichte. Das bisherige Glaubensbuch «Fragen und Antworten über den neuapostolischen Glauben», erstmals 1916 herausgegeben, wurde mehrmals überarbeitet, in den letzten Jahren mit Änderungsmitteilungen versehen sowie mit thematischen Broschüren und neuen Lehraussagen ergänzt und modifiziert. In den Gesprächen mit der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Schweiz, die 2003 inoffiziell aufgenommen worden waren und seit 2008 offiziell sind, wurden die bis anhin vorliegenden Selbstdarstellungen der NAK als überholt wahrgenommen und die Gespräche bis zum Erscheinen des Katechismus ausgesetzt. Mit dem Katechismus können diese Gespräche wieder aufgenommen werden, und es könnten und sollten auch weitere ökumenische Gespräche aufgenommen werden. Wohl kann er trotz seiner nicht ganz 500 Seiten die neuapostolische Glaubenslehre nur in ihren Grundzügen darstellen. Entscheidend indes ist, dass das, was nun vorliegt, als verbindlich, insbesondere als verbindliche Lehre betrachtet werden darf.

Möglich wurden diese Gespräche, weil neuere Entwicklungen in der NAK einen Öffnungsprozess erkennen liessen. (1) Diese Glaubensgemeinschaft schaut auf eine komplexe Geschichte zurück und wird noch heute unterschiedlich eingeschätzt. In konfessionskundlichen Handbüchern wird sie als «christliche Sondergemeinschaft» oder gar als «christliche Sekte» bezeichnet. Die Angehörigen und vor allem auch die Amtsträger dieser Glaubensgemeinschaft möchten verständlicherweise nicht länger in die Sektenecke gestellt werden. Zum Sektenimage beigetragen hat sicher auch, dass sich die Neuapostolischen lange Zeit selber abgeschottet hatten. Seit einigen Jahren steht ihre Kirche jedoch in einem Öffnungsprozess. Zum einen wurden von der kirchlichen Autorität Änderungen der Lehre vorgenommen und zum andern liess sie eine ungewohnte Gesprächsbereitschaft erkennen. Sie liess sich auf Aussteiger und Kritiker in den eigenen Reihen ein, nahm Kontakt zu Gemeinschaften auf, die sich im Verlaufe der Zeit von ihr getrennt hatten, und ihre neu eingerichtete Projektgruppe «Ökumene» kam so auch mit der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Schweiz ins Gespräch. In der Schweiz zählt die NAK allerdings nur rund 33 000 Mitglieder, während es weltweit über 10 Millionen sind. Mit 350000 Mitgliedern ist sie in Deutschland allerdings grösser als alle Freikirchen zusammen.

Die NAK versteht sich als Nachfolgerin der katholisch-apostolischen Gemeinden. Entstanden waren diese in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in England. Unter dem Eindruck der Französischen Revolution machten sich vor allem britische und amerikanische Protestanten Gedanken über die Endzeit und studierten deshalb intensiv die Offenbarung des Johannes. Zentrum der Bewegung in England war der «Albury-Kreis» um Henry Drummond. In diesem Kreis wurde der Gedanke entwickelt, die Kirche durch eine Erneuerung als Kirche der Endzeit zur apostolischen Ordnung zurückzuführen. So beriefen Propheten aufgrund von Eingebungen Apostel. 1835 war die Zwölfzahl erreicht, und diese Apostel zogen sich zu Gebet und Studium nach Albury zurück.

Aus dieser katholisch-apostolischen Bewegung heraus entstanden katholischapostolische Gemeinden. 1855 starben die ersten Apostel; die hinterbliebenen Apostel wussten sich aber nicht ermächtigt, neue Apostel zu berufen. Damit war Heinrich Geyer, Prophet der katholisch- apostolischen Gemeinden in Deutschland nicht einverstanden. Er berief neue Apostel, trennte sich damit 1863 von den katholisch-apostolischen Gemeinden und gründete in Hamburg die «Allgemeine Apostolische Gemeinde» (später: «Allgemeine christliche apostolische Mission»). Streitigkeiten führten 1878 zur Abspaltung der apostolischen Gemeinden ausserhalb Hamburgs von der «Allgemeinen christlichen apostolischen Mission». Die abtrünnigen Gemeinden entwickelten sich unter der Führung von Apostel Friedrich Wilhelm Schwartz und seinem Nachfolger Apostel Friedrich Krebs allmählich zur neuapostolischen Bewegung. Friedrich Krebs zentralisierte die Bewegung und nahm die Amtsbezeichnung «Stammapostel» an. Ab 1907 bezeichnete sich die Gesamtorganisation als «Neuapostolische Gemeinden» und seit 1938 als «Neuapostolische Kirche». Der Verzicht der Albury-Apostel, die verstorbenen Apostel durch Neuberufungen zu ersetzen, entschied über die Zukunft der katholisch-apostolischen Gemein- den. Seit dem Tod des letzten Apostels Francis Valentine Woodhouse 1901 konnten keine Versiegelungen und Ordinationen mehr vorgenommen werden. Seit dem Tod des letzten von einem Apostel ordinierten Priesters 1971 können die katholisch-apostolischen Gemeinden auch keine Eucharistie mehr feiern. Die katholisch-apostolischen Gemeinden bestehen nur noch aus wenigen Laien, die wöchentlich zu einem Litaneigebet zusammenkommen; die Sakramente empfangen sie in anderen Kirchen. Heute gibt es in der Schweiz acht katholisch-apostolische Gemeinden; 1901 waren es noch 41.

Mit den Übergängen von den katholisch-apostolischen Gemeinden zu den apostolischen Gemeinden in Deutschland, den neuapostolischen Gemeinden und schliesslich der Neuapostolischen Kirche waren Lehrentwicklungen verbunden. Was unverändert geblieben ist: auch die NAK versteht sich als eine Kirche der Endzeit, auch sie erwartet die baldige

Wiederkunft Jesu Christi, heute allerdings ohne einen Termin zu nennen. (2) Was sich im Verlauf der Entwicklung verändert hat, sind namentlich die Zentralisierung der Ämterstruktur und die Haltung anderen Christinnen und Christen gegenüber. Die NAK vertrat bis in die jüngere Vergangenheit einen strengen Exklusivitätsanspruch: bei seiner Wiederkunft werde Jesus nur jene, die durch einen Apostel der Neuapostolischen Kirche versiegelt wurden, zu sich nehmen. Alle anderen Menschen, verstorbene und noch lebende, müssten im Endgericht, im Jüngsten Gericht vor dem Herrn als Richter erscheinen. Der Katechismus lässt nun offen, ob es auch Ausnahmen gibt. «Ob darüber hinaus Gott anderen Menschen die Gnade der Entrückung zuteil werden lässt, entzieht sich menschlicher Beurteilung und unterliegt der Entscheidung Gottes» (368).

Den alten Exklusivitätsanspruch relativiert der Katechismus bereits im Vorwort: «Der Weg zum Heil in Christus wird nach den Massgaben gegenwärtiger Erkenntnis beschrieben. Das geschieht in dem Wissen, dass Gott in seiner Allmacht über den offenbarten und erkennbaren Weg hinaus Menschen Heil zukommen lassen kann […] Das Aufzeigen der Besonderheiten neuapostolischen Glaubens will andere nicht ausgrenzen oder sich vor ihnen verschliessen, sondern kann vielmehr Ausgangspunkt für einen fruchtbaren Dialog mit anderen Christen sein.» Dieser Dialog ist angesichts der neuapostolischen Sonderlehren notwendig, und dazu bietet der Katechismus hinreichend Gesprächsstoff.

Noch in der jüngsten Ausgabe von «Fragen und Antworten über den neuapostolischen Glauben» verstand sich die NAK exklusiv: «Die Neuapostolische Kirche ist die Kirche Jesu Christi, gleich den apostolischen Gemeinden zur Zeit der ersten Apostel» (Frage 167). Der Katechismus erklärt nun ausdrücklich: Kirche Christi ist nicht nur dort, «wo das Apostelamt wirkt – also im Erlösungswerk des Herrn –, sondern auch in den anderen Kirchen, wo sich christlicher Glaube in der tätigen Liebe zum Nächsten, im klaren Bekenntnis zu Jesus Christus und im ernsten Bemühen um Nachfolge Christi verwirklicht […]» (282). Am deutlichsten trete die Kirche Jesu Christi aber in der Neuapostolischen Kirche zutage, dort werde das Erlösungswerk des Herrn aufgerichtet, denn nur dort entfalte das Apostelamt seine Wirkung, werde die Braut Christi für die Hochzeit im Himmel vorbereitet. Bei der Wiederkunft Christi werde nur dieser Teil der Kirche entrückt, während der andere Teil auf der Erde zurückbleibe und sich in den antichristlichen Bedrängnissen zu bewähren habe. Damit ist das Heil nicht mehr ausschliesslich in der Neuapostolischen Kirche zu erlangen. Geblieben ist allerdings eine zeitliche Staffelung im Erreichen des Heils. Angeboten ist das künftige Heil «bis hin zu ewiger Gemeinschaft mit Gott in der neuen Schöpfung» (192) allen Menschen. Die zeitliche Staffelung ergibt sich aus der neuapostolischen Endzeitvorstellung, die einem futurischen Prämillenarismus, wie er auch im evangelikalen Protestantismus begegnet, entspricht. Die Brautgemeinde wird bei der Wiederkunft Jesu Christi entrückt. In der anschliessenden grossen Trübsal müssen Christen wegen ihres Bekenntnisses ihr Leben lassen; sie haben deshalb an der ersten Auferstehung teil und «regieren als Priester mit Christus» (189). Daran schliesst sich das Tausendjährige Friedensreich an, und in dieser Zeit «wird das Heil allen Menschen angeboten» (189).

Diese Eschatologie ergibt sich aus dem Offenbarungs- und Bibelverständnis. Offenbarung ist für den Katechismus der NAK zunächst «Kundgabe göttlichen Wesens, göttlicher Wahrheit und göttlichen, Willens» (124); Offenbarung wird zunächst als Belehrung verstanden und ist damit stark instruktionstheoretisch modelliert. Damit ist eine gewisse Nähe zu einer biblizistischen Hermeneutik, zu einem wortwörtlichen Verständnis des Bibeltextes gegeben. Für die Evangelien hält der Katechismus allerdings fest, dass sie keine Biographien sind, sondern Zeugnisse des Glaubens, «dass dieser Jesus von Nazareth der von Israel erwartete Messias ist» (33). Die apokalyptischen Bilder der Bibel werden dann aber unmittelbar in einen eschatologischen Ablaufplan übertragen. Das neuapostolische Offenbarungsverständnis markiert aber auch eine Distanz zu einer biblischen Hermeneutik. Denn nach diesem Verständnis gibt es «neben den in der Heiligen Schrift bezeugten Offenbarungen Gottes aus alter Zeit […] in neuer Zeit Erkenntnisse aus dem Heiligen Geist, die der Kirche Christi durch das Apostelamt übermittelt werden» (36f.). Dabei obliegt es «dem Stammapostel aufgrund seiner lehramtlichen Vollmacht, derartige Aufschlüsse aus dem Heiligen Geist zu verkündigen und zur verbindlichen Lehre der Neuapostolischen Kirche zu erklären» (48). Als wichtiges Beispiel einer neuen Einsicht nennt der Katechismus «die Lehre von der Heilsvermittlung für Entschlafene» (48). Diese knüpft an die Überlieferung bei 1 Petr 3,19 – 20 an, dass Christus in das Reich des Todes hinabgestiegen sei und dort gepredigt habe.

Eine grosse Bedeutung für die NAK und damit auch für den Katechismus hat das Apostelamt, wie sie es in ihren Amtsträgern verwirklicht sieht. Die Kirche ist apostolisch, weil sie zum einen verkündet, was die Apostel gepredigt haben, und zum andern, «weil in ihr das apostolische Amt in gegenwärtig wirkenden Aposteln geschichtliche Realisierung erfährt» (68). «Durch die Apostel heutiger Zeit wirkt der Heilige Geist in der gleichen Fülle wie zur Zeit der ersten Apostel» (165). Wohl habe der Heilige Geist auch nach dem Tod der ersten Apostel gewirkt, «wenngleich nicht in der ursprünglichen Fülle» (275). Mit der erneuten Besetzung des Apostelamtes im Jahr 1832 sei die Apostolizität «in der sichtbaren Kirche wieder voll hergestellt» (275). «So sind das Amt und die damit verbundene rechte Sakramentenspendung sowie die rechte Wortverkündigung als wesentliche Elemente der Kirche Christi in der geschichtlichen Wirklichkeit erneut vollständig vorhanden» (276). Damit beansprucht die Neuapostolische Kirche das Apostelamt der katholischapostolischen Gemeinden, so wie es in der katholisch-apostolischen Bewegung verstanden wurde, fortzuführen. Im Blick auf dieses Apostelamt differenziert der Katechismus: «Zwischen dem urchristlichen und dem endzeitlichen Apostelamt besteht in Auftrag und Wirkung kein Unterschied, doch gibt es verschiedene Schwerpunkte in der praktischen Ausübung des Amtes. Es besteht zwar keine historische, wohl aber eine geistliche Sukzession» (298f.). In den katholisch-apostolischen Gemeinden war das Apostelamt charismatisch, durch ein geistliches Ereignis entstanden. Erfolgte beim Übergang in die neuapostolische Bewegung dann aber nicht doch eine dauerhafte Institutionalisierung eines ursprünglich eschatologisch gedachten Amtes? Angehörige katholisch-apostolischer Gemeinden lehnen die neuapostolische Interpretation dieses Übergangs jedenfalls als usurpatorisch ab. Eine gerechte Einschätzung der NAK darf indes nicht davon absehen, dass ihre heute lebenden Angehörigen diesen Übergang weder selbst gewollt noch selbst vollzogen und zu verantworten haben, dass sie vielmehr in diese Glaubensgemeinschaft hineingeboren wurden.

Bei der Beurteilung der Lehre der NAK und so auch bei der Beurteilung ihres Katechismus muss zudem genau auf den Sinn nicht nur einer Aussage, sondern auch eines Begriffs geachtet werden, denn die NAK hat wie jede Glaubensgemeinschaft ihre sprachlichen Eigenheiten. So wird unter dem Erlösungswerk des Herrn jener Teil der Kirche verstanden, «wo das Apostelamt, die Spendung der drei Sakramente an Lebende und Tote sowie die rechte Wortverkündigung vorhanden sind» (68) und «in dem die Braut Christi für die Hochzeit im Himmel bereitet wird» (69), also die Neuapostolische Kirche. Für das Verständnis der Gotteskindschaft gibt es im neuapostolischen Glaubensbekenntnis sogar einen eigenen Artikel: «Ich glaube, dass die mit Wasser Getauften durch einen Apostel die Gabe des Heiligen Geistes empfangen müssen, um die Gotteskindschaft und die Voraussetzungen zur Erstlingsschaft zu erlangen» (57).

Dass eine Glaubensgemeinschaft die für sie bezeichnenden Begriffe gerne beibehält, ist an sich verständlich. Nachdenklich macht indes, dass es sich hier um Begriffe handelt, die früher in engem Zusammenhang mit dem Exklusivitätsanspruch standen. Soll damit die Kontinuität der Lehre betont werden, damit die ebenfalls vorhandene Diskontinuität weniger herausfordert? Die Spannung zwischen Kontinuität und Diskontinuität kann an verschiedenen Stellen aufgezeigt werden. Für die weitere Entwicklung der NAK wird viel davon abhängen, wie Kirchenleitung und Kirchenmitglieder damit umgehen werden. Das ist auch für die ökumenische Gemeinschaft wichtig. Denn Sonderlehren werden von allen Kirchen vertreten. Die Frage ist nur, ob damit andere Kirchen und Glaubensgemeinschaften vom Heilsweg ausgeschlossen werden. Dass im Katechismus diesbezüglich auch missverständliche Formulierungen stehen, hat wohl damit zu tun, dass die NAK noch keine lange Erfahrung mit theologischer Arbeit hat. Theologischer Arbeit wird es auch bedürfen, wenn die NAK nach den biblischen Begründungen ihrer Sonderlehren gefragt wird. Und das wird sie, denn mit ihrer Öffnung hat sie sich bereit erklärt, im Kreis der ökumenischen Bewegung Red und Antwort zu stehen.

1) Katja Rakow, Neuere Entwicklungen in der Neuaposto- lischen Kirche. Eine Dokumentation des Öffnungspro- zesses, Berlin 2004.

2) Die Botschaft von Stammapostel Johann Gottfried Bi- schoff (1871–1960), dass der Herr zu seinen Lebzeiten wiederkommen werde, führte zu Spaltungen, die bis heute nicht überwunden sind.

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