Deepak Chopra: Metahuman, Irisana 2020

Alain Liechti, 2021

Metahuman ist ein Buch über die menschliche Fähigkeit über sich selbst hinaus zu wachsen und in einem neuen, vereinten Bewusstsein den vollkommenen Frieden und die sogenannte „virtuelle Realität“ zu erreichen.

Metahuman erschien in Deutsch im Mai 2020. Deepak Chopra, der Autor, ist Arzt und Gründer diverser Zentren alternativer Medizin. Seine Lehren in ayurvedischer Heilmethodik liessen ihn zu einem Arzt der Stars werden.

Was aber ist Metahumanität? Deepak Chopra beschreibt es als ein Loslassen der Illusion, in der wir alle gefangen sind. Wenn der Mensch realisiert, dass er alles, was er mit den Sinnen erleben kann, nur für sich wahrnimmt und sich der physischen Simulation bewusst wird, so kann er mit seiner eigenen Befreiung davon beginnen. Das Ziel ist eine Existenz in der unbegrenzten Realität, eine Art Weiterführung des Advaita, in der es keine Zeit und nur Frieden geben soll. Die Theorie des Advaita (Monismus) lehrt die Nicht-Dualität (Körper und Welt zusammen als ein einziges Sein), das Eins sein mit allem, wie ein Tropfen, der ins Meer fällt. Das Erkennen von Advaita, dass der Körper und die Umwelt ein einziges Ding sind, sei der erste Schritt zur Erleuchtung. Diese unbegrenzte Realität nennt Chopra auch Quantenebene. Auf dieser Quantenebene ist nichts gebildet und nichts geformt. Alles ist reine Existenz. Die Quantenebene hat dabei nichts mit Physik zu tun, sondern besteht aus Energiewellen und –schwingungen, die den Körper heilen sollten. Dabei gilt es, den eigenen Körper so zu steuern und sich auf die Realität hinter der Scheinwelt einzulassen. Der Körper und vor allem das Gehirn, sind nicht für den „Geist“ einer Person zuständig, denn sie behindern den Geist beim Erlangen der Metahumanität. Als Metahuman soll der Geist den Körper und das Gehirn beherrschen und nicht umgekehrt. Das Gehirn arbeitet nur, damit der Geist nicht überarbeitet wird. Dabei sind gelernte Dinge einfach da, was auf eine Existenz des Bewusstseins ansprechen sollte und natürlich nichts mit der Entstehung von Synapsen zu tun hat. Die Synapsen existieren nur, weil der Geist sie braucht um von Anfang (Geburt) an nicht überfordert zu werden. Die Entwicklung des Gehirns geschieht laut Chopra ebenfalls nur, weil das Bewusstsein entscheidet, was der Mensch zum Leben brauche und das Gehirn folgendermassen eine notwendige Sache sei.

Dabei kann Eine Person im Metahuman-Zustand sich selbst von Krankheiten und physischen Beeinträchtigungen heilen, denn sie hat eine Kontrolle über sich selbst und die Welt. Auch Neurodiversität wie Depression, ADHS oder Vergleichbares sind auf diese Weise heilbar. Sobald der Mensch erkennt, dass er seinen Körper „hacken“ kann, wird sogar Altern verhindert werden. Der Tod ist dabei immer noch ein Bestandteil des Lebens, wie auch die Geburt. Dies kann nicht geändert werden, auch nicht als Metahuman. Aber es ist möglich, sich damit abzufinden, denn eine Person im Metahuman-Zustand hat keine Ängste und auch keine Sorgen.

Der Grundbaustein der Metahumanität ist das Bewusstsein. Das Bewusstsein existierte schon immer und als Menschen, Homo sapiens, ist es uns vorbehalten, das Bewusstsein endlich richtig zu gebrauchen, um den Zustand der Metahumanität zu erreichen. Chopra behauptet, der Mensch sei für Bewusstsein vorbestimmt. Bewusstsein ist nicht etwas, das sich durch Jahrtausende gebildet hat, sondern etwas, das der Mensch schon seit jeher hatte und einfach spaltete, weil es für das Überleben besser war, wenn er Moral und Amoral trennte. Chopra widerspricht der Meinung, der Mensch sei nur zufällig durch Evolution entstanden. Der Geist könne nicht logisch erklärt werden und wer dies versucht, liege man falsch. Alles sei vorherbestimmt und darauf vorbereitet, dass man sich der Metahumanität hinzugeben.

Als Konsequenz dieses Konzepts lehrt Chopra, dass jede angebetete Macht vom Bewusstsein erschaffen wurde und nicht umgekehrt. Der „Urgott“ ist nach Chopra also das Bewusstsein. Alles, was jetzt nicht erklärbar ist, lässt sich spätestens durch die vollständige Entwicklung seines Bewusstseins erklären. Alle Mysterien des Lebens und der Welt werden aufgelöst, sobald das Bewusstsein die Stufe der Metaphysik erreicht hat. Alle Funktionen des Körpers werden durch das Bewusstsein gesteuert, sogar die kleinsten Atombewegungen sind eine Folge davon. Nur sind wir uns dessen nicht bewusst, weil unser Bewusstsein durch unsere eigenen Einschränkungen begrenzt ist. Ohne Menschen gibt es keine Wirklichkeit, denn wir haben sie für uns selbst erschaffen. Die physische Existenz ist nur deshalb da, weil sie wahrgenommen und aus der virtuellen Realität eine physische Realität erstellt wird.

Chopra erklärt auch, warum den Eingang in die Metahumanität so schwierig ist: Die Menschen haben sich schon seit ihrem Ursprung in Gruppen eingeteilt, und diese sind nur noch zahlreicher geworden (u.a. Geschlecht, Aussehen, Lieblingssportvereine, etc.). Diese Bildung des individuellen „Ichs“, der Persönlichkeit, sei deshalb verhängnisvoll für die Entwicklung eines offenen Geistes. Sie schränke zu sehr ein. Was uns am Fortschritt hindert seien Anhaftungen an Geschichten und Gruppen. Dabei werden andere Geschichten und Gruppen ausgeschlossen, was uns weiter von der virtuellen Wirklichkeit fernhält. Die Entstehung einer persönlichen Wirklichkeit hindere den Menschen am Erreichen seiner wahren Fähigkeiten. Dies sei ein uns schon seit der Geburt vom Umfeld gelehrter Mechanismus, um den Menschen selbst vor einer Überforderung durch die virtuelle Wirklichkeit zu schützen. Die Anpassung im Menschen, Evolution, wird dabei nicht durch äussere Einflüsse erreicht: Die Vergrösserung des Gehirns war ausschlaggebend für eine Vergrösserung des Bewusstseins, bis das Potenzial des Bewusstseins zu viel wurde und man sich künstlich einschränken musste, um nicht überfordert zu werden. Ohne den Instinkt zu handeln oder reagieren, der den Tieren immer noch gegeben ist, seien wir Menschen nur von uns selbst abhängig. Dies öffnet uns einen weiteren Spielraum, denn wir können von uns selbst geistig immer mehr verlangen, was eine Evolution auslöst.

Zivilisationen seien nach der Erkenntnis des „Ichs“ entstanden. Alle Namen, die wir uns selbst gegeben haben und die uns gegeben werden, halten uns im mental einschränkenden Konzept des „Ichs“ gefangen. Dies sei aber nicht das einzige Problem: Durch die Bildung des „Ichs“ gibt es „andere“ und somit Konflikte, Krieg und Tragödien. Durch die Vernichtung des „Ichs“ wird also das Konzept „andere“ und somit Konflikte, Krieg und Tragödien gelöst und es herrscht vollkommener Frieden. Wir haben uns selbst geteilt und somit beschränkt. Gewalt und Mord geschehen, weil unser Selbst geteilt ist. Friede und Gewalt gehören je zu einer anderen Seite, die durch die Metahumanität vereinigt werden sollte. Das Ziel ist deshalb die Vernichtung des „Ichs“.

Chopra erwähnt dabei die Tiere, die über ein Bewusstsein verfügen, das aber nicht fähig sei, sich der Metahumanität hinzugeben ist (S. 102). Somit seien Tiere Teil der virtuellen Realität, und trotzdem nicht ein Teil davon. Ausserdem sagt Chopra nichts über Pflanzen und Pilze, deren Schmerzgefühl bewiesen wurde. Er spricht aber von der Existenz von Ausserirdischen, die „(…) (er) nur dann als überlegene Wesen betrachten (würde), wenn sie „alles, immer und überall“ verstehen.“ (S. 136).

Der Mensch ist neben seinem Körper und den Gruppen auch noch durch Schmerz und Krankheiten in der physischen Illusion gefangen. Schmerz ist ein Indikator, des Einlasses auf Illusionen, denn Schmerz selbst ist eine Illusion. Schmerzen sind aber auch Zeichen des Bewusstseins und somit ein Beweis für unsere Fähigkeit, in die Metahumanität aufzusteigen. Jedoch fügt Chopra hier an, dass jede Spezies durch Evolution einen Kontakt zur Metawirklichkeit hat, denn die Evolution nimmt die Möglichkeiten auf und somit entsteht Vielfalt. Trotzdem ist das was uns von den Affen unterscheidet die Realitätsverschiebung, die Fähigkeit die Metahumanität zu erkennen und zu erreichen. Die Affen könnten schlussendlich gar nicht in die Metarealität aufsteigen, weil sie dazu nicht das Potential haben. Tiere sind immer noch vom Menschen in ihrem Verhalten zu unterscheiden. Trotzdem gibt es Überschneidungen im Verhalten untereinander und auch vom Tier zum Menschen, welche man aber nicht einer Bewusstseinsentwicklung zugestehen kann. Tiere sind dennoch nicht Menschen, die das grösste Potential haben. Ist das eine Erklärung für diejenigen, die es trotz Chopras Anleitung nicht schaffen, sich in die Metahumanität zu begeben?

Ist der Mensch eine bessere Lebensform, weil wir zu etwas Besserem evolviert waren? Sind wir deshalb mehrdimensional und nur dadurch fähig zur Metahumanität? Chopra beantwortet diese Fragen schlussendlich nur peripher mit Ja. Er impliziert es jedoch ziemlich offensichtlich, da Chopra die Beispiele des Verhaltens der Tiere mit dem des Menschen vergleicht. Die reine Vielfalt seiner Bemerkungen zum Tierreich lassen den Leser annehmen, der Mensch übernähme Mechanismen und Methoden von Tieren. Die Tiere selbst seien jedoch immer noch grundlegend anders als Menschen, denn der Mensch sei für die Metahumanität geschaffen, während die Tiere es nicht seien.

Die Mehrdimensionalität besteht laut Chopra besteht aus der materiellen Welt, der Quantenrealität und der virtuellen Welt, wo die göttliche Energie herrscht. Die materielle Welt ist diejenige, die vom unerleuchteten menschlichen Bewusstsein wahrgenommen wird. Das Erreichen der Quantenrealität ist die Voraussetzung der Metahumanität.

Zuletzt behandelt Chopra die Frage der Zeit. In der Metawirklichkeit existiert Zeit nicht, denn auch für uns in der physischen Wirklichkeit ist Zeit etwas, das sich jeder Mensch individuell zur Realität macht. Für jeden Menschen vergeht Zeit anders, je nach Situation oder Bewusstseinszustand ist Zeit langsam, schnell, oder scheint überhaupt nicht zu vergehen. Deshalb ist eine grosse Aufgabe der Übenden der Metahumanität, sich vom Gefängnis der Zeit zu befreien.

Unter anderem werden Träume als ein grosses Hilfsmittel angepriesen. In Träumen gibt es für die Träumenden keinerlei Begrenzung. Das Bewusstsein wird näher zur vollständigen Form erweitert, was uns einen Einblick geben kann, was uns erwartet.

Chopra schreibt auch über die Religion. Er selbst wurde in einer katholischen Schule erzogen und schloss sich diversen Ayurvedischen Richtungen an. Er erwähnt die Transzendentale Meditation, eine umstrittene neohinduistische Bewegung, der er einige Jahre angehörte, nicht mit Namen, doch weist er auf sie hin und verwendet deren Meditationstheorien.

Über den Glauben sagt er: „Moses, Jesus und Buddha werden Ihnen nicht helfen (aber natürlich können Sie, da es ja keine Regeln gibt, auch einer Religion angehören, wenn Sie möchten).“ (S. 285). Diese leichte Kritik an den Lehren u.a. der Bibel benutzt er weiter, um zu zeigen, dass alle Religionen Widersprüche beinhalten. Man soll aber das Gute darin nutzen, um schlussendlich sich selbst zu verlieren. Spiritualität kann also auf dem Weg zur Metahumanität hilfreich und wiederum eingrenzend sein. Chopra sieht jedoch die Botschaft Jesu als eine Variante seiner eigenen. Jesus habe damals dieselbe Botschaft erhalten und diese an das damalige Verständnis angepasst weitergegeben. Jetzt, in der heutigen Zeit, sind die Menschen viel auffassungsfähiger und deshalb bereit, die der von Chopra gegebenen, ausführlichen und wahren Botschaft zuzuhören.

Das Buch ist insgesamt voller Begriffe und Konzepte, die verwirren und gleichzeitig vollkommen logisch scheinen. Die Grundaussagen erinnern an den Film „Matrix“, eine Illusion aus der wir aufwachen und uns aus dem Gefängnis befreien sollen. Ob wir uns aber zu einem Neo entwickeln können, bleibt dahingestellt.

Chopra benutzt viele medizinische, philosophische und physikalische Begriffe, die aber wenig Zusammenhang haben und gleichzeitig vom Leser ein gewisses Vorwissen verlangen. Diese Theorien werden von diversen Beispielen begleitet, die sich zum Teil in die Leere verlaufen und den roten Faden zerschneiden. Trotzdem hat Chopra einen Schreibstil, der den Lesenden zum Teil schmeichelt, zum Teil überrumpelt und Fragen aufwirft, die man ganz nach meditativen Prinzipien leicht und doch nicht so einfach beantwortet werden können. Lesende könnten den Eindruck erhalten, Chopra gebe mit seinem gesammelten Wissen an, denn es vergeht kaum ein Unterkapitel, in dem nicht ein Zitat oder eine Theorie vorkommt, die angeblich seine eigenen Vorstellungen bestätigen. Dabei sind nicht nur Physiker und Ärzte, sondern auch Philosophen aus mehreren Strömungen und die Grundzüge diverser Religionen vertreten. Ein Zitat zeigt seine Einstellung zu manchen Theorien, die er zu widerlegen versucht:

„Wie üblich verlassen sich die Wissenschaftler auf die physischen Beweise“ (S. 118).

Sobald Chopra seine Schlussfolgerung erreicht, wendet er sich einem anderen Thema zu, nur um sich einige Unterkapitel später wieder mit demselben Thema zu befassen, welches er schon diskutiert hatte. Dem Leser wird kaum Zeit gegeben, um die Konflikte zwischen seinen Schlussfolgerungen zu erkennen. Während der Lektüre wäre zum Teil ein breiteres Ausholen zu wünschen, oder das Gegenteil, wenn die Lesenden dasselbe zum dritten Mal lesen dürfen. Der Begriff „Metahuman“ zum Beispiel wird allein in den ersten 25 Seiten drei Mal erklärt. Dabei verwendet Chopra meist dasselbe Schema, nämlich das Erklären einer Theorie mittels komplizierter Begriffen und der Annahme eines Vorwissens in vielen Disziplinen, gefolgt von Beispielen aus der Natur, Forschung oder Religion. Diese Beispiele sind meist einfacher zu verstehen und sehr lehrreich, aber manchmal fragt es sich, warum Chopra diese verwendet, wenn er in seinem Buch die Tiere nicht als Teil der Metahumanität sieht und die Religionen als irrführend bezeichnet.

Chopra benutzt sich selbst ebenfalls als Quelle und verweist auf einige seiner über 80 erschienenen Bücher hin, sowie auf seine angebotenen Programme. Beinahe offene Werbung ist sein Hinweis bei der NETI-Umfrage zur Metahumanität im Chopra Center (Nondual Embodiment Thematic Inventory), bei der er stolz auf die höheren Resultate nach dem „Perfect Health-Programm“ hinweist (S. 39). Das Perfect Health-Programm wurde von ihm und dem Chopra Center entwickelt. Bei der NETI-Umfrage handelt es sich um eine Selbsteinschätzungsumfrage, bei der Teilnehmende Eigenschaften von einer Skala von 20 bis 100 bewerten sollen. Da dieser Fragebogen speziell auch auf Metahumanistische Merkmale ausgerichtet ist und von Chopra erstellt worden war, macht es Sinn, dass die Absolventen seines Programmes besser abschliessen sollten als zum Beispiel Psychologiestudenten.

Als Teil des Buches wird das Programm für die Bewusstseinserweiterung und für die Öffnung zum „unendlichen Potential“  angepriesen. Ich selbst habe dies im Januar 2021 begonnen und die vollen 31 Tage durchgeführt. Die täglichen Aufgaben bestehen je aus ein bis zwei Seiten mit einer Einführung in ein Konzept und einer Anleitung einer mehr oder weniger klar beschriebenen „Hausaufgabe“. Diese nahmen für mich jeweils fünf bis zwanzig Minuten in Anspruch und sind  nicht allzu schwer. Am zweiten Tag nach meinem Beginn bekam ich jedoch Kopfschmerzen, die sich weiter hielten. Ob dies nun eine Folge meines erweiterten Bewusstseins war, kann ich nicht mit voller Sicherheit sagen.

Chopra selbst sagt, dass der Kurs nicht automatisch zum Erfolg führt. So sollte man ihn bei Bedarf wiederholen. (S. 309)

Die „Hausaufgaben“ repetierten sich manchmal, so wurde diejenige des ersten Tages zum Teil Wort für Wort am sechsten Tag wiederholt. Die Grundlagen der jeweiligen Übungen waren ähnlich, aber das macht inhaltlich durchaus Sinn, da der gewünschte Effekt der Metahumanität durch wiederholtes Erkennen der Metawirklichkeit ermöglicht werden sollte. Somit muss der Mensch sich immer wieder auf die Grundlage des Selbsterkennens besinnen und die Übungen reflektieren dies.

Tag 1 zum Beispiel fing an mit dem Erwachen, nicht nur geistig, sondern auch körperlich. Dabei war die Aufgabe:

Nehmen Sie Kontakt mit den Grundlagen auf. Setzen Sie sich einen Moment hin und richten Sie Ihre ganze Aufmerksamkeit auf die einfachsten Wahrnehmungen von Licht, Wärme, in Ihre Nase steigenden Gerüchen, dem Geschmack von Speisen. Entspannen Sie sich in die Erfahrung hinein. Beobachten Sie einfach. Je mehr Sie sich entspannen können, desto müheloser wird das Erwachen sein. Die Entspannung in den Moment hinein ist der Schlüssel. Wenn Sie entspannt sind, beruhigt sich Ihre geistige Aktivität, und das Beobachten Ihrer direkten Erfahrung geschieht ganz natürlich.

So leicht, so gut. Jedoch ist es eine etwas vage Anleitung. Der Zeitpunkt der Übungsausführung ist laut dieser nicht so einfach am Morgen nach dem Aufstehen zu setzen, wie sonst Meditation oder Yoga-Übungen, die oft einen festen Platz im Tagesablauf haben. Natürlich sind die vorgestellten Beispiele nur einen kleinen Teil der Möglichkeiten, so ist diese Übung immer ausführbar (ausser es gibt viel zu tun und keine Zeit für Entspannung).

Ich erinnerte mich bei der eigenen Ausführung an eine alte CD, die mir bei der Bewältigung von Migränen helfen sollte. Diese CD enthielt eine gesprochene Anleitung fürs Entspannen und Locker sein. Soweit so gut, die Sinne sind entspannt und so ist auch mein Körper. Nun jedoch die Frage: Wie lange soll man denn in diesem entspannten Zustand sein? Den gesamten Tag? Chopra spricht in der Einleitung zu den Übungen von dem Vorteil der mehrfachen Ausübung, der Leser soll den Aufgabentext jeweils mehrmals am Tag lesen. Somit versuchte ich dies auch und öffnete das Buch sobald ich in Gedanken auf die Aufgabe zurückkam.

Die folgenden Übungen bestehen aus der grundlegenden Erkenntnis, dass unsere Ansicht auf die Welt beschränkt ist. So können unsere Sinne eingeschränkt werden mit minimalem Aufwand und wir nehmen nur unsere eigenen „Kanäle“ wahr. Unter Kanälen versteht Chopra die Bandbreite der Wirklichkeit, auf die wir eingestellt sind und die von Person zu Person und von Lebewesen zu Lebewesen unterschiedlich ist. So ist auch der Körper ein Kanal, keine Sache. Er verbindet Wahrnehmungen und bildet aus ihnen einen festen Gegenstand, die Erfahrung des Körpers ist der Körper selbst. Diese Wahrnehmungen sind jedoch vergänglich, flüchtig und kurz und Menschen sind nur fähig, die momentane Aufnahme des Zustandes zu realisieren. Ein Tisch ist solide und hat vielleicht eine Holzmaserung, doch erst wenn der Mensch ihn sieht und berühren kann ist er in den eigenen Kanälen „real“. Wie sonst kann der Mensch sicher sein, dass der Tisch existiert? Nur indem der Kanal des Tisches in Verbindung mit dem Kanal des Menschen gebracht wird, kann der Mensch von dessen Existenz überzeugt sein. Die Übungen sollen helfen, diese Ansicht zu erweitern und auszubauen, sodass der Mensch die Kanäle ohne Überschneidungen wahrnehmen kann, das heisst den Tisch wahrzunehmen ohne ihn mit dem Körper wahrzunehmen.

Tag 8 war nun etwas spezieller. So habe ich bei vorherigen Tagen eine Sonnenbrille, den Fernseher oder ein Salzkorn verwendet, doch nun muss ein Blatt Papier her. Alltagsgegenstände, die zum Glück immer in Reichweite sind. Doch im Gegensatz zu den vorherigen Gegenständen (ausser vielleicht das Salzkorn) muss das Papier beschädigt werden:

Nehmen Sie ein gewöhnliches DIN-A4-Blatt und stechen Sie mit einer Nadel in die Mitte ein Loch, Wenn Sie das Blatt nahe an Ihr Auge halten, können Sie durch das Nadelloch das ganze Zimmer sehen – dies ist Ihr geistiges Bild des Raumes. Halten Sie das Papier nun ein oder zwei Zentimeter vor Ihr Auge, bis Sie nur noch Teile vertrauter Gegenstände sehen – Teile von Lampen, Stühlen, Fenstern und so weiter. Versuchen Sie auf diese Weise durch das Zimmer zu gehen. Sie werden merken, dass dies ganz schön schwierig ist. Ihres geistigen Bildes beraubt, ist das Zimmer jetzt nur ein unzusammenhängendes Durcheinander von fragmentierten Bildern. Denken Sie darüber nach, wie Sie selbst im Geiste die vertraute dreidimensionale Welt konstruiert haben, die Sie für bare Münze nehmen.

So malträtierte ich ein Blatt nach Anweisung und irrte in meinem (zugegebenermassen kleinem) Zimmer herum. Der Sinn dieser Übung blieb mir nicht fern (die Realisation des beschränkten Umfeldes des Bewusstseins in Verbindung mit dem visuellen Wahrnehmen der Welt und dass die Absolventen das Umfeld geistig erweitern sollen), aber in der Praxis war dies etwas unnötig, da ich sehr wenig Spielraum habe. Die Bewegungsfläche meines Zimmers ist etwa eineinhalb Quadratmeter, aufgerundet. Somit musste ich wohl oder übel das Zimmer wechseln und ins Wohnzimmer gehen, wo ich den verwirrten Blicken anderer Menschen ausgesetzt war. Meine Versuche des Einsteigens in die Metawirklichkeit waren im Haus bekannt, aber die Methode schien dann doch etwas zu wunderlich und so bekam ich in Folge Spässe zu hören. Unbeirrt wandelte ich so durch das Wohnzimmer.

Was man dann mit dem Papier so macht, wird nicht erklärt. Soll ich dies aufbewahren als eine Erinnerung, so ich denn die Metahumanität erreichen sollte? Oder weiterverwenden? Diese Frage hat sich für mich beantwortet, denn ich benutzte es aus Versehen als Notizpapier, denn es lag auf meinem Schreibtisch in praktischer Griffnähe. Es gibt also keine Reliquie, die von meiner Metahumanität zeugen könnte. Das Loch war dabei nur ein kleines Hindernis. Aber ich kann dafür mit gutem Gewissen von Recycling sprechen.

Tag 14 gab mir ein besonderes Vergnügen:

Das Spiel des Bewusstseins umfasst die ganze Schöpfung. Heute können Sie in Form einer angenehmen Erfahrung bei dem Spiel mitmachen. Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um etwas zu tun, was Sie glücklich macht – ein Mittagessen mit einem Freund, ein Spaziergang durch den Wald, ein Betrachten des Himmels, ein Spiel mit Kindern. Und wenn es Ihnen Freude macht, um Mitternacht ein Eis zu essen, ist auch das in Ordnung. Was auch immer Sie tun, entspannen Sie sich in Ihrem Vergnügen und nehmen Sie es bewusst war. Geniessen ist der einfachste Weg, um jetzt hier zu sein. Allein dadurch, dass Sie Ihre Freude wahrnehmen, haben Sie sich selbst in das ewige Spiel des Bewusstseins versetzt.

„Chopra hat es erlaubt“, war Tageslosung. So lehnte ich mich zurück, Snacks in Griffnähe und verbrachte die Erfüllung dieser Hausaufgabe mit der Serie, die ich schon lange wieder mal ansehen wollte in einem bequemen Pyjama. Wenn das zur Erleuchtung führen sollte, so bin ich definitiv auf einem guten Weg! Und mal abgesehen davon war dies meine Lieblingsübung. Fast wollte ich das 31-Tage-Programm auf 32 Tage erweitern und diese Lektion noch einmal durchführen. Aber zwecks Recherche verblieb ich bei einem Tag der Musse.

Die nächsten Übungen bilden die Grundlage für das Eintreten in ein zeitloses Sein. Der Austritt aus der vorgestellten Wirklichkeit wird mit der Entfernung des Bewusstseins von der Welt veranlasst. So soll man sich nicht des Körpers bewusst werden, sondern der Weise, in der man den Körper hinter sich lassen kann. So wird in Tag 17 z.B. die Aufgabe zur Gegenwärtigkeit erklärt. Diese Übung soll die Konzentration auf das Erkennen des „jetzt“ als Zustand richten.

Die geistige Aktivität haftet sich sehr schnell an. Sie haben einen Anteil an den Gedanken, Empfindungen, Bildern und Gefühlen, die durch Ihren Geist gehen. Aber Sie müssen nicht an diesen Gedanken, Empfindungen, Bildern und Gefühlen beteiligt sein. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Pendlerzug und schauen aus dem Fenster. Während die Landschaft vorbeirauscht, sehen Sie die einzelnen Gebäude, Bäume, Autos und Menschen nicht. Alles ist nur vorbeiziehende Landschaft. Und wenn Sie zufällig etwas bemerken, das Ihnen auffällt, zieht es genauso schnell vorbei wie die Dinge, die Sie nicht bemerken. Ersetzen Sie nun die Fenster durch Ihre Augen. Sie sitzen hinter ihnen und beobachten die vorbeiziehende Landschaft. Wenn Sie diese Sichtweise übernehmen, „Zeugenschaft“ genannt, nähern Sie sich für einen Moment dem permanenten Zustand des Erwachtseins.

Hier zeigt sich Chopras Talent, die normalerweise vielleicht etwas unverständlichen Prinzipien mittels Metaphern zu erklären. Das Zugfenster ist mir als Pendler wohl bekannt. Die Unfassbarkeit des „jetzt“ wird somit als Konzept greifbar (ironischerweise ist es ungreifbar).

Die Übung jedoch erinnert an Dissoziation. Der Begriff Dissoziation bezeichnet das (teilweise bis vollständige) Auseinanderfallen von psychischen Funktionen, die normalerweise zusammenhängen. Betroffen von dissoziativer Abspaltung sind meist die Bereiche Wahrnehmung, Bewusstsein, Gedächtnis, Identität und Motorik, aber manchmal auch Körperempfindungen (etwa Schmerz und Hunger). Ist dieses untersuchte psychische Phänomen Erleuchtung?

Die Gefahren von Dissoziation sind jedoch nicht zu ignorieren. Personen mit der vorexistierenden Neigung zu Dissoziation könnten mit dieser Übung eventuell selbst eine Episode auslösen, was je nach deren Gesundheits- und Mentalzustand problematische Folgen haben kann. Auch wenn der Absolvent normalerweise nicht dissoziiert, könnte er sich durch die Übungen einbilden, Dissoziation sei Erleuchtung.

Tag 25 ist besonders interessant, da die Geistheilmethoden Chopras hier genannt werden:

Wenn Menschen leiden – wenn sie sich deprimiert fühlen oder vielleicht eine lebensbedrohliche Krankheit diagnostiziert wird – ist die Versuchung gross, sich selbst die Schuld zu geben. „Habe ich mir das selbst angetan?“ ist eine Frage, die aus Schuldgefühlen heraus gestellt wird und Schuldgefühle lassen sich schnell auslösen. Die beste Antwort lautet, dass Ihr Leiden Teil der virtuellen Welt ist. Sie haben die virtuelle Welt akzeptiert, was Schmerz und Leid unvermeidlich macht. Deshalb sind Sie nicht unbedingt ganz verloren oder todgeweiht; einige Menschen entgehen ernsthaften Leiden. Aber Ihre Mitwirkung ist eine besiegelte Vereinbarung, egal wer Sie sind oder was mit Ihnen passiert, es sei denn, Sie verändern etwas.

Um das Leiden zu beenden, sollten Sie die Vereinbarung brechen. Durch Ihr Erwachen wird das Abkommen aufgehoben. Heute können Sie den Weg bereiten, indem Sie sich nicht Schmerz und Leiden als etwas Schicksalsvolles und Unvermeidliches zu eigen machen. Rufen Sie sich einige leidvolle Erfahrungen ins Gedächtnis – einen Trauerfall, Verlust, Krankheit, Verrat, Versagen, Demütigung und so weiter. Setzen Sie sich dabei ruhig hin, gehen Sie nach innen und seien Sie ganz bei sich selbst. Sie sind das gleiche Gewahrsein, das durch leiden, aber auch durch nichtleiden gegangen ist, das Schmerz aber auch Freude erlebt hat, das verloren, aber auch gewonnen hat. Bei allen Gegensätzen haben Sie beide Pole erlebt. Deshalb sind Sie keiner von beiden. Sie sind das unveränderliche Gewahrsein, das Veränderungen wahrnimmt, der Bildschirm, auf dem sich jede Erfahrung abspielt, ohne eine Erfahrung zu sein. Diese Erkenntnis birgt das ganze Geheimnis, das Leiden zu beenden.

Die Anspielung auf die Selbstverschuldung von Schmerz und Leid, Depression oder Krankheiten wie Krebs ist meiner Meinung nach sehr gefährlich. Vor allem in der Depression löst diese Einstellung noch schlimmere Gefühle aus und dies kann sehr böse enden. In keiner Weise gibt Chopra irgendeinen Hinweis auf die medizinischen Auslöser von Krankheiten (Erbkrankheiten etc.), sondern der Mensch ist selbst schuld, weil er sich in der virtuellen Wirklichkeit aufhält. Diese Übung mag falsche Hoffnungen bringen, die Hoffnung auf Heilung oder Wiederherstellung, welche fatal sein kann. Durch ausgebliebene Heilung und den Misserfolg kann eine Person in tiefere Abgründe gestürzt werden, denn sollte sie sich diese Einstellung zu Eigen machen, so ist es schlussendlich der eigene Fehler. Sie wäre dann nach Chopras Theorie nicht gut genug, um sich in die Metawirklichkeit zu bewegen und sich selbst zu heilen.

Diese Übung war für mich persönlich am problematischsten. Durch meine Recherche ist genau diese Einstellung des Selbstverschuldens etwas, das Personen mit Depression verlernen müssen. Dies ist deshalb ein falsches Versprechen. Wenn eine Person mit Depression sich nun so sehr in die Metawirklichkeit gibt, dass diese Medikamente oder Therapie absetzt, weil Chopra Selbstheilung verspricht, kann dies eine Gefahr für das eigene (körperliche und mentale) Wohl bedeuten. Trotz meiner offenen Einstellung gegenüber den Theorien von Chopra war mir dies dann einen Schritt zu viel. Die Übung selbst ist einigermassen einfach, da man sich auf traurige Ereignisse konzentrieren muss.

In den folgenden Tagen soll nun das Bewusstsein weiter entwickelt werden. Das Loslassen der virtuellen Welt soll mittels Sicherheit in der eigenen Fähigkeit, das virtuelle zu ignorieren gelingen. Der Absolvent soll durch die Übungen realisieren, dass die virtuelle Welt nicht alles ist, was wahrgenommen werden kann und Methoden lernen, wie man diese körperlichen Einschränkungen weitgehend überwinden könne. So sollen die Übenden Zeit, Alter und Krankheiten vergessen und sich ganz dem Existieren widmen. Der Mensch soll den eigenen Reichtum kennen lernen und realisieren, welche Freiheiten und Welten sich öffnen können. Gedanken, wie „verboten“ sie auch sind, sollen frei sein. Sobald diese gedacht werden, seien sie nicht mehr „verboten“. Das Ziel sei, die eigenen Möglichkeiten zu sehen. Der Kurs endet mit Tag 31, nicht mit einem Abschluss als solcher, sondern der Einladung, sich weiter mit der Entwicklung des Geistes zu befassen und die Grundlagen, die in diesem Kurs vermittelt worden sind mittels eigener Erfahrungen der Metahumanität zu erweitern.

Insgesamt ging ich mit offenen Erwartungen an diese Aufgaben heran. Chopra selbst meint schliesslich, die Metahumanität solle nicht wegen der Belohnung der Metahumanität erreicht werden, sondern weil sie eine natürliche Folge unserer Entwicklung ist. Jeden Tag konzentrierte ich mich also auf die Wirklichkeit und wie ich von der physischen in die virtuelle übergehen kann. Dies geschah mit variierendem Erfolg. Insgesamt glaube ich nicht, dass ich es geschafft habe, in diese virtuelle Wirklichkeit vollständig aufzusteigen. Doch das tägliche Meditieren und die Selbstbeobachtungen die ich durch die Übungen ausgeführt habe waren wenn nicht erleuchtend, dann ziemlich entspannend und liessen mich eine gewisse Ruhe finden. Somit war es also keineswegs eine reine Zeitverschwendung, aber hingegen ein grossartiger Aufstieg meiner Wenigkeit war definitiv auch nicht das Resultat. Vielleicht bin ich ja einfach nicht bereit.

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