Michelle Hunziker: Ein scheinbar perfektes Leben, Lübbe 2018

Als Anfang der 2000er-Jahre bekannt wurde, dass die schweizerisch-italienische Fernsehmoderatorin Michelle Hunziker zur Anhängerschaft einer esoterischen Heilerin namens Giulia Berghella zählte, war das Interesse der Medien gross. Mit Erstaunen und Bedauern nahm die Öffentlichkeit zur Kenntnis, wie erst Michelle Hunzikers Ehe mit dem italienischen Sänger Eros Ramazotti zerbrach und Hunziker daraufhin eine Beziehung mit dem Sohn von Giulia Berghella und dann mit deren vorherigem Partner einging. Besorgnis erregte auch die Tatsache, dass Michelle Hunzikers bisheriges Umfeld, darunter ihre Mutter, jeden Kontakt zur Tochter verlor. Die Hinweise auf problematische Strukturen waren so deutlich, dass es die Öffentlichkeit mit grosser Erleichterung aufnahm, als sich Michelle Hunziker im Jahr 2006 von der Heilerin trennte.

Nun hat Michelle Hunziker ihre damaligen Erfahrungen in einem Buch verarbeitet, welches 2017 auf Italienisch und im vergangenen Oktober im Lübbe-Verlag in deutscher Übersetzung erschien: „Ein scheinbar perfektes Leben. Wie ich aus Liebe zu meiner Tochter den Fängen der Sekte entkam“, Köln 2018.

Wer seinerzeit vermutete, dass die Medien die Gemeinschaft um Giulia Berghella in zu düsteren Farben malen würden, sieht sich nun eines besseren belehrt. Die Gruppe um Berghella, die zu ihren besten Zeiten fast 100 Mitglieder zählte, gegen Ende der Mitgliedschaft von Michelle Hunziker aber nur noch gut 20 Personen umfasste, präsentiert sich als typisches Beispiel einer hochproblematischen esoterischen Kleingruppe.

Die damals in Mailand lebende Giulia Berghella, die im Buch von Michelle Hunziker als Clelia bezeichnet wird, war in der Werbung tätig, bevor sie sich der Pranaheilung und der Lichtarbeit zuwandte. Pranaheilung ist eine Form des Geistheilens, welche auf die hinduistische Lehre einer universalen Lebensenergie Bezug nimmt, die im Sanskrit „Prana“ genannt wird. Wer sich dem Prana öffnet, so die Vorstellung, könne diese Energie nutzen, um Ratsuchende zu unterstützen und im besten Fall auch zu heilen.

Die Lichtarbeit vertritt ein theosophisches Weltbild von der allmählichen Höherentwicklung des Menschen durch zahllose Inkarnationen hindurch, und verbindet dies mit der Vorstellung eines bevorstehenden Aufstiegs der Erde hin zu einem spirituellen, pazifistischen, ökologischen und sozialen Paradies.

Erreicht wird dieser Aufstieg durch eine betont asketische Lebenspraxis, so forderte Berghella strikten Veganismus (eine Diät, welche Michelle Hunziker vor den Augen der besorgten Fernsehöffentlichkeit zusehends abmagern liess), weisse oder mindestens helle Kleider, den Verzicht auf Alkohol und Nikotin, aber auch auf Masturbation.

Sexualität wurde nur innerhalb von festen Beziehungen geduldet – aber auch eingefordert, so verlangte der vormalige Partner von Giulia Berghella, Salvatore Passaro (im Buch Emanuele genannt), von Michelle Hunziker die Aufnahme einer Beziehung mit der Begründung, dass nur der körperliche Austausch mit ihm Michelle Hunziker retten könne, wofür er sich aufopfern würde – eine Begründung, welche Meister (und auch einzelne Meisterinnen) immer wieder gerne einsetzen, wenn sie Anhängerinnen und/oder Anhänger zu sexuellen Gefälligkeiten motivieren wollen.

Typisch für problematische esoterische Kleingruppen ist der ausgeprägte Elitarismus, den Giulia Berghella vertrat. Sie verstand sich als Offenbarerin, welche die Universale Religion der Zukunft verkünden würde, wobei vor allem eine Anhängerin Berghellas im Sinne des für die Lichtarbeit typischen Channelings als Kanal höherer Wesenheiten diente. Deren Durchgaben beschränkten sich aber nicht auf Spirituelles, vielmehr machten sie konkrete Anweisungen fürs Leben der Anhänger, so wurde Michelle Hunziker über Channeling von den höheren Wesenheiten befohlen, die von ihr selbst begründete und finanzierte Agentur Tuenda an Salvatore Passaro zu überschreiben. Michelle Hunziker fiel zwar auf, dass die Durchgaben aus höheren Sphären oftmals so passend waren, so dass sich die Frage stellte, ob das Mitglied, welches als Kanal diente, nicht im Voraus von Berghella und Passaro instruiert worden war.

Trotzdem kam Michelle Hunziker der Anweisung nach. Sie tat dies, weil Giulia Berghella ihre Anhängerschaft mit Belohnung und Strafe sehr strikt führte, im Sinne des sog. „Love Bombing“: Neue Mitglieder und sich wohl verhaltende alte wurden mit Zuwendung überschüttet, wer sich aber einer Weisung widersetzte oder auch nur leise Zweifel äusserte, wurde mit Isolation bestraft. Die Strafe der Isolation wog vor allem darum besonders schwer, weil Berghella ihre Schülerinnen und Schüler von deren sozialem Umfeld systematisch entfremdete. So bezeichnete sie etwa Michelle Hunzikers damaligen Ehemann Eros Ramazotti als den Antichrist, der versuchen würde, Michelle Hunziker von ihrem spirituellen Weg abzubringen und damit ihr Seelenheil zu gefährden.

Wer sich wohl verhielt, wurde belohnt durch die Gewissheit, zur kleinen Schar der Auserwählten zu gehören, zu den Kriegern des Lichts (guerrieri della luce), welche seit vielen Inkarnationen auf ihre hohe Aufgabe vorbereitet wurden. Wie in anderen esoterischen Kleingruppen üblich teilte Giulia Berghella ihren Schülerinnen und Schülern hohe Inkarnationen zu, so soll Michelle Hunziker in einem früheren Leben eine Schwester von Jesus gewesen sein, ihren Bruder aber damals verraten haben, weil sie es vorzog, einen römischen Legionär zu heiraten. Giulia Berghella selbst sah sich als Reinkarnation der zweiten Ehefrau von Jesus, welche dieser geheiratet habe, nachdem sich seine erste Gattin, Maria Magdalena, zusammen mit Jesu Jüngern aufgemacht habe, in Gallien zu missionieren und dort den Gral zu verstecken. Die diesen Ereignissen vorangegangene Kreuzigung habe Jesus dank der Heilkünste der Essener überleben können.

Ein wichtiges Thema, insbesondere in den Botschaften, welche sich an Michelle Hunziker richteten, war die „Geldenergie“. Diese würde Michelle nicht guttun, sie solle sich auf das Künstlerische beschränken und die Finanzen der Gemeinschaft resp. deren Leitung überlassen. Michelle Hunziker schätzt, dass sie in den fünf Jahren ihres Mittuns ein bis zwei Millionen Euro, vielleicht auch mehr, investiert hat.

Ein Teil dieses Geldes floss nach Michelle Hunzikers Ausstieg in den Aufbau eines neuen Zentrums in Martina Franca in Apulien, welches Giulia Berghella zusammen mit ihren beiden Söhnen und mit ihrem (Wieder-)Partner Salvatore Passaro im Jahr 2007 erwarb. Auf 2012 soll Berghella den Aufstieg der Erde in die fünfte Dimension erwartet haben, wie das im Bereich der Lichtarbeit üblich war.

Heute ist das Zentrum unter dem Namen „La rosa dei 4 venti“ aber vor allem ein Yoga-Retreat, in welchem Yogalehrende aus aller Welt ihre Kurse durchführen, darunter manche Yoga-Anbieter aus der Schweiz. Eine Yogaschule aus Zollikon hat Giulia Berghella gar zu einem mehrtägigen Workshop in die Schweiz eingeladen. Von der Lichtarbeit scheint sich Berghella inzwischen allerdings distanziert zu haben: Auf aktuellen Fotos tritt sie mit schwarzen und roten Kleidern auf, was für Lichtarbeitende schwer vorstellbar wäre.

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